Darmstadt. Der Vorsitzende Richter habe den Vorgang vor dem tödlichen Zwist mit Tugce auf dem Offenbacher McDonald's-Parkplatz falsch dargestellt.

Überraschung am siebten Verhandlungstag: Im Prozess um den gewaltsamen Tod von Tugce Albayrak hat die Verteidigung einen Befangenheitsantrag gegen den Vorsitzenden Richter Jens Aßling gestellt. Die Anwälte hätten Ende März eine Haftbeschwerde an das Oberlandesgericht gestellt und vor zwei Tagen Antwort erhalten, erläuterte Strafverteidiger Stephan Kuhn am Freitag im Landgericht Darmstadt. Richter Aßling habe in seiner Stellungnahme nicht die vollständigen Unterlagen beigefügt, so fehle das Video der Überwachungskamera in der gesamten Länge. Außerdem habe er eine unzutreffende Beschreibung des Sachverhalts abgegeben.

Der Staatsanwalt Alexander Homm entgegnete, dass der Umgang mit der Haftbeschwerde nicht dem Vorsitzenden Richter angelastet werden könne, sondern das Oberlandesgericht betreffe. Auch sei eine subjektive Beschreibung des Sachverhalts durch den Richter nicht entscheidend, sondern die objektiven Tatbestände. Schließlich habe die Verhandlungsführung Aßlings nicht den geringsten Anlass gegeben, eine Parteinahme zugunsten einer Seite anzunehmen. Im Anschluss an die Unterbrechung der Verhandlung lud der Vorsitzende Richter die Zeugen vor wie vorgesehen. Ein Dutzend Polizistinnen und Polizisten waren zur Anhörung geladen.

Erklärung für Befangenheitsantrag

Nach der Mittagspause gab Aßling eine Erklärung zu dem Befangenheitsantrag ab. Er habe den Staatsanwalt gebeten, eine Kopie der DVD mit dem Video an das Oberlandesgericht zu schicken. Aufgrund eines Missverständnisses bei der Staatsanwaltschaft sei dies zunächst unterblieben. Nachdem er die Staatsanwaltschaft erneut darum gebeten habe, sei die Zusendung der DVD nachgeholt worden. Über den Befangenheitsantrag muss nach Gerichtsangaben der Vertreter des Vorsitzenden Richters entscheiden. Üblicherweise werde bis zum nächsten Verhandlungstag entschieden, der am 3. Juni stattfindet. Würde dem Antrag stattgegeben, müsste der Prozess neu aufgerollt werden.

Unter den geladenen Zeugen war einer der Streifenbeamten, die den Angeklagten am Haus des Fahrers mit dem gesuchten Kennzeichen am frühen Morgen auffanden. Sanel M. habe gesagt, er sei gerade vom Feiern in Frankfurt gekommen. Nach einer Belehrung über die Körperverletzung vor dem Offenbacher Schnellrestaurant habe er zugegeben, dort gewesen zu sein, aber hinzugefügt, weitere Aussagen werde er nur über einen Anwalt machen.

Polizist: Sanel zeigte keine Reaktion

Der Polizist, der Sanel M. kurz nach sieben Uhr aus der Zelle holte, gab an, dem Tatverdächtigen von den Folgen der Tat erzählt zu haben: Tugce Albayrak habe schwere Körperverletzungen erlitten, und es sei mit ihrem Tod zu rechnen. Sanel M. habe daraufhin keine Reaktion gezeigt. Er sei bei der Befragung ruhig und desinteressiert gewesen. Die Streife hatte bei seiner Festnahme einen Blutalkohol-Wert von 0,8 Promille gemessen.

Außerdem berichtete ein Polizist über die Vernehmung der zwei minderjährigen Mädchen aus der Toilette der McDonald's-Filiale. Der Szene wird eine besondere Rolle vor der tödlichen Konfrontation zwischen Sanel M. und Tugce Albayrak auf dem Parkplatz des Schnellrestaurants zugeschrieben. Die Mädchen hätten ausgesagt, dass der Angeklagte und zwei Freunde in die Damentoilette gekommen seien und sie angemacht hätten. Die Jungs hätten sie „geärgert“. Die Situation sei unangenehm, aber nicht bedrohlich gewesen. Tugce habe sich dazwischen gestellt und die jungen Männer angeherrscht: „Verpisst Euch aus der Toilette!“ Dann habe Tugce sich noch bei ihnen erkundigt, ob alles in Ordnung sei. Von den starken Männern, die die Jungs nach oben brachten, hätten die Mädchen nichts berichtet.

Urteil wird Mitte Juni erwartet

Der 18 Jahre alte, in Deutschland aufgewachsene Serbe Sanel M. hat die Studentin Tugce Albayrak laut Anklage im Morgengrauen des 15. November 2014 im Lauf eines Streits zwischen einer Gruppe junger Männer und einer Gruppe junger Frauen geschlagen, so dass sie stürzte und ins Koma fiel. Am 28. November, ihrem 23. Geburtstag, ließen ihre Eltern die lebenserhaltenden Maschinen abstellen. Der Angeklagte gestand zu Beginn des Prozesses die Tat, beteuerte aber, niemals mit Tugces Tod gerechnet zu haben. Ein Urteil wird für Mitte Juni erwartet. (epd)