Nach den Überschwemmungen in Pakistan drohen nun Cholera und andere Seuchen. Kinder trifft es besonders hart.

Khandar/Islamabad. Bibi Gul sitzt in einem Notzelt. Sie gibt ihrem sieben Monate alten Sohn die Brust und weint dabei ununterbrochen. Als der heftige Monsun in der vergangenen Woche ihr Dorf im Bezirk Nowshera im Nordwesten Pakistans heimsuchte, riss das Wasser ihr Haus und mit ihm zwei ihrer fünf Kinder mit. Seit Tagen nun hat Gul keine Nachricht von ihrer Tochter und ihrem Sohn. Auch den kleinen Faraz in ihren Armen kann sie nicht trösten. "Das Wasser hat uns alles genommen. Es ist so plötzlich gestiegen, es hat alles weggeschwemmt", sagt die in Tränen aufgelöste Frau in einem der schnell und notdürftig errichteten Lager in Khandar.

Gul ist eine von mittlerweile 3,2 Millionen Pakistani , die von der größten Flutkatastrophe seit 80 Jahren betroffen sind. Unter den Notleidenden sind 1,4 Millionen Kinder, schätzt das Uno-Kinderhilfswerk Unicef. Von ihnen sind viele bereits an lebensgefährlichem Durchfall erkrankt. Zudem drohen Cholera, Malaria sowie Haut- und Augenkrankheiten. Schlammmassen haben Brunnen und Wasserwerke verseucht. In den Fluten schwimmen Tierkadaver. Es werden dringend sauberes Wasser, Nahrung, Medikamente und Kleidung benötigt. Das Rote Kreuz, der Rote Halbmond und andere Hilfsorganisationen haben an einigen Orten mobile Medizinstationen eingerichtet. Die Helfer sind im Dauereinsatz.

Besonders betroffen sind die Gebiete im Nordwesten um Swat, Schangla und Peschawar. Nach Schätzungen von Unicef sind bisher 1500 Menschen in den Fluten gestorben. Helfer glauben, dass die Zahl der Toten auf 3000 steigen könnte, da noch viele Dörfer von der Außenwelt abgeschnitten sind. Das genaue Ausmaß wird erst deutlich, wenn auch diese Gebiete erschlossen sind. "Oft führen nur Geröllstraßen in manche Orte. Die sind wegen der Flut unpassierbar geworden", sagt Dirk Kamm, Leiter des DRK-Büros in Islamabad. "Statt vier oder fünf brauchen unsere Transporte nun oft neun bis zwölf Stunden." Wenn sie überhaupt ihr Ziel erreichen. Die Überschwemmungen haben etwa 100 Brücken und viele Straßen mitgerissen.

Angesichts des Elends und der nur schleppend anlaufenden Hilfe wuchs bei den Betroffenen der Zorn auf die Regierung und die Behörden. Vor allem Präsident Asif Ali Zardari geriet zunehmend in die Kritik, weil er, statt im Land zu helfen, auf eine Europareise ging.

Schätzungsweise eine Million Menschen haben ihr Dach über dem Kopf verloren und sind auf der Flucht vor den Wassermassen. Sie campieren zum Teil mit ihren letzten Habseligkeiten auf der Straße. Immer wieder sind Schüsse zu hören, wie Korrespondenten berichten. Plünderer versuchen, von der Situation zu profitieren.

Andere finden Zuflucht in Zeltlagern der Regierung oder der Hilfsorganisationen - so wie Bibi Gul und ihre drei Kinder. Dreimal hatten sie zuvor versucht, in eines der Lager zu gelangen. Aber jedes Mal war es überfüllt. Erst im vierten Anlauf hatten sie Glück. Bibi Gul erzählt, dass sie noch nicht einmal Zeit hatte, Sachen für ihren Sohn Faraz zu greifen. Auch Tage nach dem Unglück ist der Säugling noch nackt. Bibi Gul sitzt nun mit Baby Faraz, Tochter Fiza, 5, und Sohn Hasan, 6, im Zeltlager und hofft, dass ihr Mann bald zurückkommt. Der Tischler hat sich aufgemacht ins Heimatdorf Malikabad, um nach den beiden vermissten Kindern der Familie zu suchen.

"Als das Wasser unser Dorf erreichte, hat jeder nur versucht, sein Leben zu retten. Ich weiß nicht mehr, wie ich meine beiden Kinder verlor", sagt Gul und versucht, mit einem Fächer die stickige Luft etwas erträglicher zu machen. Sie und ihre Familie stehen vor dem Nichts. Auch das eigene Vieh wurde bei der Katastrophe getötet. Wie lange die Familie dort noch aushalten muss, ist ungewiss.

Die Flut breitet sich unterdessen weiter aus. Der Fluss Indus trug die Wassermassen des Monsunregens in die südöstliche Provinz Sindh.