Gestern um 13.34 Uhr öffnete sich die Stahltür der JVA Mannheim. Seitdem ist der TV-Moderator Jörg Kachelmann, 52, wieder ein freier Mann.

Mannheim. Gestern um 13.34 Uhr öffnete sich die Stahltür der JVA Mannheim. Seitdem ist der TV-Moderator Jörg Kachelmann , 52, wieder ein freier Mann, auf jeden Fall bis zum Prozessbeginn, der nach seiner Entlassung aus der U-Haft nicht mehr zwingend am 6. September beginnen muss. Wenn überhaupt. Kachelmann trug ein weißes T-Shirt. Er hat abgenommen, er war glatt rasiert und bemüht, souverän, neutral und freundlich zu wirken. Er herzte einen Vollzugsbeamten und murmelte ihm ein "Dankeschön!" ins Ohr. Ansonsten schwieg der einstige Dampfplauderer, der während seiner viermonatigen U-Haft freiwillig als Essensverteiler gearbeitet hatte. Und er lächelte einen Mix aus bescheidener Zuversicht und dem Leiden Christi; gewürzt mit einem Hauch jenes spitzbübischen Charmes, der seine Präsenz vor Wetterkarten, in Talkshows und Werbespots immer ausgezeichnet hatte.

1. HINTERGRUND: DIE CHRONOLOGIE DES FALLS "KACHELMANN"

So einer soll ein brutaler Vergewaltiger sein? Vor allem angesichts der bisher bekannt gewordenen Gutachten gibt es massive Zweifel. Und nach der heutigen Richterentscheidung erst recht. Auch die meisten Deutschen halten ihn nach einer Umfrage des "Sterns" für unschuldig, obwohl die "Bunte" bereits kurz nach seiner Verhaftung am 20. März mithilfe einiger indiskreter Ex-Geliebten seine Privatsphäre durchleuchtet hatte. Was Kachelmann in die Nähe der Vielweiberei rückte. Korrekterweise hätte es "egomanisches Liebesleben" heißen müssen.

2. PORTRÄT: JÖRG KACHELMANN

"Spiegel" und "Zeit" hatten frühzeitig auf die Unschuldsvermutung gesetzt und im Sinne der Verteidigung Passagen aus aussagepsychologischen Gutachten über die Ex-Geliebte zitiert, mit denen die Glaubwürdigkeit der Hauptbelastungszeugin erschüttert wurde. So erfuhr die Öffentlichkeit, dass die Schilderung der Vergewaltigung "nicht die Mindestanforderungen an die logische Konsistenz, Detaillierung und Konstanz" erfülle. Jetzt schloss die Dritte Strafkammer des Karlsruher OLG bei ihrer Entscheidung sogar "Bestrafungsmotive" der Klägerin nicht mehr aus. "Das Bedürfnis nach Rache ist in Sachen der Liebe am größten", schreibt die US-Psychoanalytikerin Jane Goldberg im Buch "Schattenseiten der Liebe". Frauen fühlten sich dann besonders gedemütigt, wenn sich Partner eine (oder mehrere) Geliebte nehmen und sie ins Hintertreffen geraten. Brennender Zorn schlage dann um in kalte Berechnung, wie man dem "Bösewicht" schaden könne. Wie - vielleicht - auch geschehen im Fall Jörg Kachelmann? Wenn Blutspuren an einem Messer nicht eindeutig zuzuordnen sind? Wenn sich das vermeintliche Opfer die Verletzungen auch selbst zugefügt haben könnte? Für die Ex-Geliebte des Moderators könnte am Ende eine Anklage wegen Vortäuschung einer Straftat sowie wegen falscher Beschuldigung herauskommen. Des Weiteren drohen ihr Schadenersatzforderungen. Doch gemach: Die Freilassung Kachelmanns ist noch kein Freispruch. Darüber befindet das Landgericht Mannheim im Prozess.

Der Fall Kachelmann hat das Spannungsverhältnis zwischen Persönlichkeitsrecht und Presse- und Informationsfreiheit erneut aufgeladen. Für Anwalt Matthias Prinz hätten es die Medien sogar geschafft, das 2004 vom Europäischen Menschenrechtsgerichtshof verhängte "Caroline-Urteil" aufzuweichen. Damals ging es "nur" um Privatfotos, bei Kachelmann dagegen um eine besonders schwere Straftat.

Nach Einschätzung des Bonner Medienrechtlers Gernot Lehr hat die Mannheimer Staatsanwaltschaft durch ihre Pressemitteilungen den Medien erst die Legitimation für die Berichterstattung verschafft. Diese aber hätten nur dann berichten dürfen, wenn ein Verfahren gegen Kachelmann eröffnet worden wäre und wenn die ihm vorgeworfene Tat im Zusammenhang mit seiner öffentlichen Funktion gestanden hätte. Das heißt: Auch Jörg Kachelmann kann eventuell die Justiz auf Schmerzensgeld und Schadenersatz verklagen. Für ihn steht jedoch noch mehr auf dem Spiel als nur Geld: Er braucht mindestens einen "Freispruch erster Klasse", um zumindest halbwegs normal leben und moderieren zu können.

Schweigen ist Gold: Jörg Kachelmann ließ sich nicht zu einem einzigen erklärenden Wort hinreißen, bevor er in den Range Rover seines Verteidigers Reinhard Birkenstock stieg, dem er das Reden überließ: "Gott sei Dank, es gibt noch Richter", rief der Anwalt aus, gelobte die "Wiederauferstehung der Unschuldsvermutung" und betonte, dass der "Beschluss einem Justizskandal Grenzen gesetzt hat. Dem OLG Karlsruhe verdanken wir in diesem Verfahren die Auferstehung der Unschuldsvermutung und die Rückkehr der Rechtsstaatlichkeit." Man werde sich jetzt mit Kachelmann auf die Hauptverhandlung vorbereiten, die er nicht zu fürchten habe, da Wahrheit, Wissenschaft und Recht auf seiner Seite stünden.