Frankreich sucht mögliche Hintermänner der Terroristen, die das Land tagelang in Angst und Schrecken versetzten. Nach dem Ende der Anschläge und Geiselnahmen formiert sich eine Welle der Solidarität.

Paris. Nach dem dramatischen Ende der Anti-Terror-Einsätze konzentrieren sich die französischen Ermittler auf die Suche nach möglichen Unterstützern der islamistischen Gewalttäter. In Paris rief Staatspräsident François Hollande am Sonnabend erneut Minister und Sicherheitsdienste zu einer Krisensitzung zusammen. Auch nach dem Tod der drei Terroristen bleibt Frankreich im Alarmzustand und richtet sich bereits auf einen Solidaritätsmarsch am Sonntag in Paris ein.

Der Gründer der rechtsextremen französischen Partei Front National (FN), Jean-Marie Le Pen, hat die Solidarität mit dem linken Satire-Magazin „Charlie Hebdo“ am Sonnabend verweigert. Alle sagten derzeit, „Wir sind Charlie“ oder „Ich bin Charlie“, aber dem könne er sich nicht anschließen, sagte Le Pen in seinem im Internet veröffentlichten Videotagebuch. „Es tut mir Leid, ich bin nicht Charlie.“

Er bedauere den Tod von „zwölf französischen Mitbürgern“, doch teile er nicht deren politische Überzeugung, sagte Le Pen mit Blick auf den tödlichen Angriff auf „Charlie Hebdo“. „Ich fühle mich keineswegs dem Geist von Charlie verbunden. Ich werde nicht kämpfen, um den Geist von Charlie zu verteidigen, der ein anarchisch-trotzkistischer Geist ist, der die politische Moral zersetzt.“ Der Angriff auf das Magazin sei ein Beweis für die zunehmende Unsicherheit im Land. Die Regierenden der letzten Jahrzehnte trügen die Verantwortung, da der Terror „offensichtlich“ mit der Masseneinwanderung verbunden sei.

Le Pen kritisierte, dass seine Partei nicht zur geplanten Großkundgebung am Sonntag in Paris eingeladen sei. Letztlich sei dies aber eine „Würdigung“ seiner Partei, die von den Bürgern auch als solche gewertet werde, sagte der FN-Gründer. Die rechtsextreme Partei war demonstrativ nicht zu der Demonstration eingeladen worden, mit der der Opfer des islamistischen Anschlags auf „Charlie Hebdo“ und der Geiselnahme in einem jüdischen Supermarkt gedacht werden soll. An dem „republikanischen Marsch“ nehmen praktisch alle französischen Parteien, Gewerkschaften und zahlreiche ausländische Politiker teil.

Alarm auf höchster Stufe

Die Abwehrmaßnahmen und Warnungen gegen Anschläge blieben unverändert auf der höchsten Stufe, kündigte Innenminister Bernard Cazeneuve an. Weitere spezielle Maßnahmen gegen den Terror seien für die kommenden Wochen geplant. „Wir sind Gefahren ausgesetzt“, warnte er von neuem. Mit Blick auf die geplante Kundgebung, an der zahlreiche europäische Regierungschefs teilnehmen wollen, kündigte nach Regierungschef Manuel Valls auch Cazeneuve alle notwendigen Maßnahmen an, um eine Veranstaltung in Gedenken und Respekt zu gewährleisten. Valls hatte zuvor versichert, der „republikanische Marsch“ nach Anschlägen und Geiselnahmen mit 17 unschuldigen Opfern werde massiv geschützt.

An der Kundgebung für die Opfer des Anschlags auf das Satiremagazin „Charlie Hebdo“ vom Mittwoch wollen auch Bundeskanzlerin Angela Merkel, Vizekanzler Sigmar Gabriel, Großbritanniens Premier David Cameron, Spaniens Ministerpräsident Mariano Rajoy und sein italienischer Kollege Matteo Renzi teilnehmen. „Es ist ein wichtiges Zeichen deutsch-französischer Freundschaft, dass wir in diesen Stunden zusammenstehen“, sagte Merkel in Hamburg.

Terrorgruppe Al-Kaida droht mit weiteren Anschlägen

Unterdessen drohte die Terrorgruppe Al-Kaida auf der Arabischen Halbinsel (AQAP) Frankreich mit weiteren Anschlägen. Es werde neue Angriffe geben, sollte das Land nicht damit aufhören, den Islam, seine Symbole und die Muslime zu „bekämpfen“, schrieb die Dschihad-Beobachtungsplattform Site. Sie berief sich auf eine per Video verbreitete Rede von Harith bin Ghasi al-Nadhari, einem der wichtigsten Glaubenshüter der Gruppe.

Die Terrormiliz Islamischer Staat (IS) drohte mit einer größeren Terrorkampagne und weiteren Angriffen in Europa und den USA. „Wir haben mit der Operation in Frankreich begonnen, für die wir die Verantwortung übernehmen“, sagte der IS-Prediger Abu Saad al-Ansari nach Angaben von Anwesenden beim Freitagsgebet in einer Moschee der nordirakischen Stadt Mossul. „Morgen werden es Großbritannien, die USA und andere sein.“ Einen Zusammenhang mit IS behauptete auch Amedy Coulibaly, einer der am Freitag getöteten Terrorverdächtigen.

Die Polizei jagte derweil auch am Samstag die weiterhin flüchtige Freundin von Coulibaly (32). Die 26-jährige Frau wird im Zusammenhang mitder Schießerei vom Donnerstag im Süden von Paris gesucht, bei der eine Polizistin starb. Dafür wird Coulibaly verantwortlich gemacht, der später Geiseln in einem jüdischen Geschäft im Osten der Hauptstadt nahm.

Spezialeinheiten der Polizei erschossen am Freitag in Dammartin-en-Goële etwa 40 Kilometer nordöstlich von Paris das Brüder-Paar Chérif (32) und Said Kouachi (34), das hinter dem Anschlag auf „Charlie Hebdo“ mit zwölf Toten stecken soll. Fast zeitgleich beendeten sie die Geiselnahme im Pariser Osten. Dort soll der Täter in einem jüdischen Lebensmittelgeschäft vier Geiseln ermordet haben.

„Keine Geisel wurde während des Polizeieinsatzes getötet“, resümierte der Staatsanwalt von Paris, François Molins. Vier Menschen wurden verletzt. Als Polizisten das jüdische Geschäft stürmten, erschütterten laute Explosionen das Stadtviertel an der Porte de Vincennes. Etliche Geiseln rannten aus dem Laden und brachten sich in Sicherheit.

Die drei Attentäter hatten sich nach einem Bericht des französischen Fernsehsenders BFMTV bei ihren Taten eng abgestimmt. In einem Gespräch sagte Coulibaly, er habe sich mit den Brüdern Kouachi abgesprochen. Die beiden sollten das Satireblatt angreifen, er selbst wollte Polizisten ins Visier nehmen. Coulibaly sagte auch, er habe Instruktionen der Terrormiliz IS bekommen.

Molins bestätigte, dass sich beim Überfall der beiden „Charlie-Hebdo“-Attentäter auf die Druckerei ein Angestellter verstecken konnte – im zweiten Stock des Gebäudes in einer Kantine unter einem Spülbecken. Medienberichten zufolge informierte dieser Mann die Polizei. Die Attentäter nahmen laut Molins zunächst den Geschäftsführer der Druckerei als Geisel, ließen ihn dann aber frei.

Die Fahnder wollen herausfinden, woher die Waffen der Terroristen stammten und ob die Männer Anweisungen erhielten, „aus Frankreich, dem Ausland oder dem Jemen“. Chérif Kouachi hatte sich 2011 im Jemen aufgehalten.

Die drei Gesichter des Schreckens für Frankreich

CHÉRIF KOUACHI

Der 32-Jährige war den französischen Sicherheitsbehörden schon lange bekannt: 2008 wurde er wegen seiner Zugehörigkeit zu einem Dschihadisten-Netzwerk zu drei Jahren Haft verurteilt, davon die Hälfte auf Bewährung. 1982 in Paris als Sohn algerischer Eltern geboren, war Chérif Mitglied des nach einem Park im 19. Pariser Bezirk benannten „Buttes-Chaumont-Netzwerks“, das Dschihadisten zum Kampf gegen die US-Truppen in den Irak schickte. Er wurde 2005 festgenommen, kurz bevor er selbst über Syrien in den Irak reisen konnte.

Seine Radikalisierung hatte bereits früher begonnen: Anfang der 2000er Jahre besuchte Kouachi in Paris Korankurse bei dem selbsternannten „Emir“ Farid Benyettou, der für den Dschihad im Irak warb. Bei Vernehmungen sagte Benyettou, Kouachi sei „sehr impulsiv und sehr aggressiv“ gewesen und habe von Plänen gesprochen, vor einer Ausreise zum Dschihad einen Angriff auf Juden in Frankreich zu verüben.

Im Gefängnis lernte Kouachi später den Islamisten Djamel Beghal kennen, der wegen der Vorbereitung von Anschlägen eine zehnjährige Haftstrafe absaß. Seitdem soll er unter dessen Einfluss gestanden und einen „sehr strengen Islam“ praktiziert haben, heißt es aus informierten Kreisen. Vor seinem Tod sagte er dem Nachrichtensender BFMTV, er sei vom Terrornetzwerk Al-Kaida im Jemen beauftragt und finanziert worden.

SAID KOUACHI

Der 34-Jährige wurde nie strafrechtlich belangt, die französischen Sicherheitsbehörden hatten sich vor allem bei Ermittlungen zu seinem jüngeren Bruder mit ihm beschäftigt. Offenbar hielt er sich aber 2011 mehrere Monate lang im Jemen auf und wurde dort von Al-Kaida unter anderem im Umgang mit Waffen trainiert.

Zuletzt lebte der arbeitslose Said Kouachi, auf Fahndungsfotos mit kurzen Haaren und Kinnbart zu sehen, mit seiner Frau und einem gemeinsamen Kind in einem Vorort der ostfranzösischen Stadt Reims. Sein Personalausweis wurde in einem der Fluchtfahrzeuge gefunden, was die Ermittler auf die Spur der Brüder brachte.

AMEDY COULIBALY

Coulibalys Fahndungsfoto lief am Freitag in allen Nachrichtensendungen: Der 32-Jährige soll zunächst am Donnerstag in Montrouge südlich von Paris eine Polizistin erschossen haben. Am Freitag dann tötete er in einem jüdischen Supermarkt im Osten von Paris bei einer Geiselnahme mehrere Menschen. Vor seinem Tod sagte er BFMTV, er sei Mitglied der Dschihadisten-Gruppe Islamischer Staat (IS) und habe seine Taten mit den Kouachi-Brüdern abgestimmt.

Coulibaly wurde in der Vergangenheit wegen Diebstahls, Raubs und Drogenhandels mehrfach verurteilt und hat Jahre im Gefängnis verbracht. Aber erst 2010 fiel sein Name in Verbindung mit einem islamistischen Unterfangen: Er war an Plänen beteiligt, einen inhaftierten Islamisten aus dem Gefängnis zu befreien, bei seiner Festnahme wurden bei ihm 240 Kalaschnikow-Patronen gefunden. Ende 2013 wurde er deswegen zu fünf Jahren Haft verurteilt, wegen seiner Zeit in der U-Haft kam er im vergangenen Jahr wieder auf freien Fuß.

Während einer seiner Haftstrafen lernte er Chérif Kouachi kennen – und den Islamisten Beghal, der auch auf ihn einen großen Einfluss ausübte.

Geboren wurde Coulibaly in Juvisy-sur-Orge im Süden von Paris als siebtes von insgesamt zehn Kindern – seine Geschwister sind allesamt Schwestern. 2008 und 2009 machte er eine Ausbildung in einem Coca-Cola-Werk nahe Paris. In der Zeit wurde er, zusammen mit anderen Auszubildenden, vom damaligen Staatschef Nicolas Sarkozy im Elysée-Palast empfangen.