Ein Schulleiter macht seinem Ärger über Helikoptereltern Luft und erntet Lob dafür – Die Gegenrede einer Betroffenen.

Stuttgart. Als Gott die Hölle schuf, reservierte er sieben Achtel für Elternabende. Eltern können verdammt anstrengend sein. Diese Erfahrung macht jeder, der nur einmal in die Verlegenheit geriet, Stunden auf einem Elternabend abzusitzen. Man trifft Mütter und Väter, bei denen man sich mit leisem Schrecken fragt, wie es wohl wäre, wenn man sich mit ihnen auch nur einen Tag lang ein Büro teilen müsste.

Erwachsene Menschen, die genau das fragen, was zuvor schon gefühlte 99 Mal beantwortet wurde. Die nebenbei ans Handy gehen, wenn es mitten in der Veranstaltung klingelt („Nein Yannick, der Elternabend ist noch nicht vorbei, die Mama beeilt sich aber, okay?“) und gar nicht daran denken, sich für diese Störung zu entschuldigen. Die den Abend unnötig in die Länge ziehen mit Vorträgen über erste Warnsignale von LRS oder Laktose-Intoleranz, deren Ratschläge an andere Eltern in Forderungen umschlagen „Geben Sie Ihrem Kind um Gottes Willen keine Schokolade mit. Meine Tochter hat eine Nuss-Allergie.“

Es kostet also nicht viel Fantasie, sich vorzustellen, was in solchen Momenten im Kopf einer Lehrerin oder eines Lehrers vor sich geht. Und entsprechend verständnisvoll reagierte die Öffentlichkeit jetzt, als die „Stuttgarter Zeitung“ den Brief eines Grundschulleiters veröffentlichte , der genau solche Formen von elterlichem Gluckengebaren geißelte. Ralf Hermann heißt der Mann, er leitet eine Grund- und Realschule im Stuttgarter Stadtteil Bad Cannstatt, eine gute Adresse, der Kurpark in der Nähe, Kinder, die in Jugendstilvillen aufwachsen und mit dem SUV morgens zur Schule chauffiert werden.

Man kann sagen, in Bad Cannstatt sei die Welt noch in Ordnung, wenn, ja, wenn da bloß nicht die Eltern wären: Nur-Hausfrauen, viele Akademiker. Menschen, die das Kind als Projekt betrachten und ihren Job 150-prozentig ernst nehmen. Sogenannte Helikopter-Eltern also. Väter und Mütter, die beim Elternabend als erste die Hand heben, wenn wieder mal ehrenamtliche Helfer gesucht werden. Kuchen backen für den Adventsbasar, Kostüme nähen für das Krippenspiel, die Klasse auf der Klassenfahrt begleiten. Auf eigene Kosten, ist doch klar.

Man hätte gern die Gesichter dieser Väter und Mütter gesehen, als sie jetzt Post vom Schulleiter bekamen. In einem Brief an alle Eltern der Grundschulkinder hat Ralf Hermann seinem Ärger Luft gemacht. Er erlebe es täglich, dass „viele Eltern ihre Kinder mit dem Auto zur Schule bringen, verkehrswidrig und häufig gefährlich an der Kreuzung vor dem Haupteingang parken, Kind und Schulranzen ausladen, den Ranzen teilweise bis ins Klassenzimmer tragen, dem Sohn oder der Tochter die Jacke abnehmen und dann noch die Gelegenheit nützen, die unterschiedlichsten Dinge mit der Klassenlehrerin zu besprechen“, schreibt er in seinem Brief. Zum Beispiel, warum das Kind in der Mathe-Arbeit nur eine Drei und keine Zwei bekommen habe. Von „Störungen des Unterrichts“ durch Elterngespräche im Flur oder winkende Eltern an den Fenstern ist die Rede. Und davon, dass sich übereifrige Eltern auch noch in die Erziehung anderer Kinder einmischten.

Man würde mit dem Schulleiter gerne sprechen, aber er will nicht. Er sagt, der Brief sei in Auszügen ohne sein Wissen veröffentlicht worden. Es sei ihm unangenehm. Dabei schwappt ihm bundesweit eine Welle der Sympathie entgegen. Bei der Gewerkschaft Erziehung und Wissenschaft (GEW) in Stuttgart heißt es, die Schillerschule sei kein Einzelfall. Schon seit zehn Jahren beobachte man mit Sorge, dass „Eltern immer häufiger Grenzen“ überschritten. Für eine bessere Note zögen einige sogar vor Gericht. Auch aus der Bevölkerung bekommt Ralf Hermann Applaus. Endlich habe mal jemand den Mut gehabt, den Eltern die Rote Karte zu zeigen, heißt es in Kommentaren im Internet. Für Eltern wie in Bad Cannstatt müsse es „Hausverbot“ geben.

Die Helikoptereltern, der Schrecken der Nation? Und das, wo doch sonst immer die Lehrer als Prügelknaben herhalten müssen?

Der Konflikt ist nicht neu. Schon seit zehn Jahren suche man nach Wegen, das Verhältnis zwischen Lehrern und Eltern im Interesse der Schüler zu verbessern, heißt es bei der GEW. Noch gibt es Nachholbedarf, hat 2012 eine Umfrage des Allensbacher Instituts für Demoskopie ans Licht gebracht.

Danach glauben nur 25 Prozent der Lehrer, dass Eltern Verständnis für ihre Situation aufbringen. 57 Prozent aber gaben an, sie fürchteten, dass es Eltern schwerfalle, Kritik an ihren Kindern zu ertragen. Lehrer, die sich vor Eltern fürchten und am liebsten ihre Ruhe haben wollen? Dieses Bild zeichnet die Umfrage. Und vor diesem Hintergrund erscheint der Brief des Schulleiters in einem anderen Licht – als Verzweiflungstat. Ein Schulleiter, der nicht in der Lage ist, „elternfreie Zonen“ in den Fluren einzurichten. Oder die Eltern einzuladen, gemeinsam eine Hausordnung zu entwerfen.

Wie arm ist das denn?