Nach Bluttat von Ferguson entscheidet am Mittwoch ein Gericht. Und zugleich darüber, ob die Gewalt in der Stadt endet.

Ferguson. Auch in der Nacht zu Mittwoch erlebte Ferguson wieder Demonstrationen. Wie die Nächte zuvor, seit am 9. August der 18-jährige Michael Brown von einem weißen Polizisten erschossen wurde. Aber die Demos, die „Gerechtigkeit für Michael“ forderten, blieben vergleichsweise friedlich. Gegen Mitternacht flog eine Flasche Wasser gegen Polizisten. Die Einsatzkräfte , vor allem Nationalgardisten, stießen in die Menge vor, um einen Täter festzunehmen.

Insgesamt kam es in dem Städtchen im US-Staat Missouri zu 47 Festnahmen. Journalisten, die von den Polizeikräften in dem Vorort von St. Louis seit Tagen immer wieder in ihren Möglichkeiten zur Berichterstattung beschnitten werden, wurden mit Hinweis auf eine „Gefahrenlage“ erneut aufgefordert, sich fernzuhalten. In der Nacht zuvor hatte die Polizei mindestens elf Journalisten zeitweise festgenommen, darunter auch den Autor dieses Textes, der nach drei Stunden wieder freigekommen war. Inzwischen wurde auch der „Mugshot“, ein im Gefängnis angefertigtes erkennungsdienstliches Foto, veröffentlicht.

Dort findet sich als Grund für die Arrestierung und erkennungsdienstliche Behandlung die Angabe: „Weigerung, sich aufzulösen.“ Zusammen mit einem weiteren Korrespondenten wurde der Autor am Montag festgenommen, weit vor Beginn der Demonstrationen, als die Szenerie völlig ruhig und die Straße nahezu menschenleer war. Im Grunde sind die Festnahmen nur mit der Inkompetenz der Polizeiführung erklärbar.

Wie zuvor setzte die Polizei in der Nacht auf Mittwoch wieder Pfefferspray ein, diesmal aber dem Vernehmen nach weder Tränengas noch Gummigeschosse. Dass am Dienstag erneut ein Schwarzer von einem weißen Polizisten erschossen worden war, spielte bei diesen vergleichsweise harmlosen Unruhen keine große Rolle. Nur etwa sechs Kilometer entfernt von der Stelle, an der Michael Brown starb, hatte am Nachmittag ein 23-Jähriger zwei Polizisten mit einem Messer bedroht. Als der Mann die Waffe trotz mehrfacher Aufforderung nicht fallen ließ, schossen die Beamten. Zu diesem Zeitpunkt sei der Täter nur noch etwa einen Meter entfernt gewesen.

Mehr Einfluss auf die Stimmung in Ferguson dürfte die Große Jury haben, die am Mittwoch zusammenkommt, um über ein mögliches Gerichtsverfahren gegen Darren Wilson zu entscheiden, den 28-jährigen Polizeibeamten, der Michael Brown mit sechs Schüssen getötet hatte. Sollte die Jury gegen die Erhebung einer Anklage etwa wegen Mordes, Mordes zweiten Grades (nach deutschem Recht annähernd mit Totschlag vergleichbar) oder fahrlässiger Tötung entscheiden, könnte zwar immer noch das Bundesjustizministerium zum Beispiel einen Prozess gegen Wilson anstrengen. Aber die Chancen auf eine Verurteilung würden sinken.

Wilson, der nach den Schüssen von der Polizei beurlaubt wurde, aber weiterhin sein Gehalt bekommt, wird möglicherweise bei der Auftaktsitzung der Großen Jury zugegen sein. Er tauchte nach der Tat ab. Sein Wohnhaus außerhalb von Ferguson ist verlassen. Im Internet war zu Racheaktionen gegen den Polizisten aufgerufen worden, nachdem einige Medien die Adresse öffentlich gemacht hatten.

Während die Demonstranten von der Schuld Wilsons überzeugt sind, haben angeblich Zeugen dessen Darstellung bestätigt: Brown habe ihn vor den tödlichen Schüssen angegriffen, und er habe in Notwehr gehandelt. Eine Rolle soll in diesem Zusammenhang gespielt haben, dass Wilson nach einer ersten mündlichen Konfrontation mit Brown und dessen ihn begleitenden Freund Dorian Johnson, die auf der Straße anstatt dem Bürgersteig gelaufen waren, Zigarillos in der Hand Browns aufgefallen seien. Dies habe ihn an einen Raub in einem nahen Geschäft erinnert, zu dem ihn kurz zuvor eine Funk-Meldung erreicht hatte.

Als er die jungen Männer daraufhin genauer überprüfen wollte, hätten sie ihn attackiert und versucht, seine Waffen zu greifen. Diese Darstellung einer bislang anonymen Zeugin wird allerdings konterkariert durch eine frühere Darstellung des Polizeichefs von Ferguson, Wilson habe während der Konfrontation mit den jungen Männern noch keinen Zusammenhang mit dem Raub der Zigarillos gesehen. Zudem sagte Johnson den Ermittlern, der Polizist habe seinen Freund attackiert und auf ihn geschossen, obwohl Brown die Hände erhoben und gerufen habe: „Nicht schießen.“ Der Ruf „Don’t shoot“ zu dabei erhobenen Händen ist das zentrale Symbol der Demonstranten in Ferguson geworden.

Am Mittwoch reiste auch Justizminister Eric Holder nach Ferguson, um sich ein Bild von der Lage zu verschaffen. Er wolle sich persönlich über die Ermittlungen informieren, teilte sein Ministerium mit. Die Bundesbehörden untersuchen, ob die tödlichen Schüsse eines weißen Polizisten auf den Farbigen Brown – neben einer Straftat – auch eine Bürgerrechtsverletzung darstellen. Holder hat eine „umfassende, faire und unabhängige“ Untersuchung des Falles durch die Bundesregierung in Washington angekündigt.

Eine zentrale Forderung der Demonstranten besteht in einem Haftbefehl und einer Anklageerhebung gegen Wilson. Sollte die Grand Jury, die auf unbestimmte Zeit tagen und auch Zeugen einvernehmen kann, in diesem Sinne entscheiden, würde mutmaßlich viel Druck aus dem Kessel genommen und der Erregungsgrad in Ferguson verringert werden. Umgekehrt könnte eine Entscheidung der Jury gegen ein Gerichtsverfahren die Situation nochmals eskalieren lassen und weitere Gewalt nach sich ziehen.