Die Unruhen in Ferguson weiten sich aus, nachdem ein weißer Polizist den farbigen Michael Brown erschossen hatte. Die Reaktionen und Maßnahmen des Gouverneurs zeigen Anzeichen purer Verzweiflung.

Ferguson. Aufgebrachte Demonstranten werfen mit Molotowcocktails. Ein kleines Kind liegt bewusstlos am Boden, von Tränengaspatronen der Polizeikräfte getroffen. Zerstörte Verkehrsschilder, ausgeraubte Kaufhäuser, festgenommene Journalisten und bewaffnete Polizisten mit Schutzanzügen. Die Stadt Ferguson im US-Bundesstaat Missouri scheint sich im Krieg zu befinden, seit am 9. August der unbewaffnete 18-jährige Michael Brown aus ungeklärten Umständen von dem weißen Polizisten Darren Wilson erschossen wurde. Jay Nixon, Gouverneur des US-Staates und nicht verwandt mit Ex-Präsident Richard Nixon, rief jetzt die Nationalgarde zur Hilfe, um „Ruhe und Ordnung wiederherzustellen“.

Es ist das Amerika von heute – nicht die bekannten sozialen Brennpunkte der Großstädte wie New York oder New Orleans. Der Vorort von St. Louis galt als stabil und freundlich, bewohnt von netten Menschen, die sich respektieren und vertragen. 80 Prozent Schwarze, 20 Prozent Weiße. Bei der Polizei das umgekehrte Verhältnis. Doch plötzlich holt die Realität die Legendenbildung ein. Plötzlich eskaliert die Gewalt aus einer Mischung von lang unterdrücktem Rassenhass, Ressentiments und Minderwertigkeitskomplexen. In den vergangenen zehn Tagen ist der Ort zum Symbol der Scheußlichkeit geworden, die die Amerikaner sich nicht eingestehen wollen: Rassenkonflikte, Polizeimilitarisierung und politische Machtlosigkeit bestimmen nun ein Bild, das am Anfang von friedfertigen Demonstrationen geprägt war.

Gouverneur Jay Nixon hat versucht, behutsam auf die Unruhen zu reagieren. Zunächst sollten die lokalen Polizeieinsatzkräfte die Situation in den Griff bekommen und für Ruhe und Ordnung sorgen. Nach weiteren gewalttätigen Ausschreitungen verhängte er den Notstand und verfügte eine Ausgangsperre. Doch die Lage beruhigte sich nicht. Es mussten stärkere Kräfte her: die Nationalgarde.

Als die Kleinstadt zunächst in den nationalen und dann in den internationalen Nachrichten auftauchte, musste Jay Nixon sich im Klaren über eine Sache gewesen sein: Die Geschichte von einem weißen Gouverneur, der versucht, eine Gruppe von aufgebrachten schwarzen Demonstranten zu beschwichtigen, ist noch nie gut ausgegangen. Dieses scheinbare Axiom ist Bestandteil der Geschichte der Vereinigten Staaten. Nixon wollte Ruhe und Sicherheit wiederherstellen, obwohl ihm die Kontrolle über die Straße längst entglitten war.

Seit der ungeklärte Todesfall eine erneute Rassen-Debatte ausgelöst hat, zeigen die Reaktionen und Maßnahmen des Gouverneurs Anzeichen purer Verzweiflung. Es gibt nicht mehr viele Möglichkeiten für ihn, unbeschädigt aus der Sache herauszukommen. Zumal einem Obduktionsbericht zufolge Brown von sechs Kugeln getroffen wurde, zwei davon trafen seinen Kopf. Alle Schüsse waren von vorn auf ihn abgegeben worden. Die Familie des 18-Jährigen habe die Autopsie in Auftrag gegeben, nachdem bereits örtliche Experten die Leiche untersucht hatten, berichtete die Zeitung „New York Times“. Was für Nixon gilt, gilt auch für Präsident Barack Obama. Er zeigt sich zwar während seines Urlaubs als Oberkommandierender der Streitkräfte handlungsfähig im Irak, aber zu Ferguson hat er sich nach dem Geschmack der Medien und der öffentlichen Meinung viel zu spät und viel zu wenig geäußert. Am 12. August twitterte er, dass Browns Tod herzzerreißend sei. Obama hat sich derzeit in sein Urlaubsdomizil Martha’s Vineyard im US-Bundesstaat Massachusetts zurückgezogen. Es könnte für ihn zum Problem werden, keine Präsenz in der Sache Ferguson gezeigt zu haben.

„Ich bin eine schwarze, gewählte Beamtin“, sagte Missouri-Senatorin Maria Chappelle-Nadal dem Fernsehsender MSNBC. „Seit dem ersten Tag bin ich hier in Ferguson inmitten der Demonstrationen. Leider habe ich nicht viele meiner Kollegen gesehen. Ich habe zweimal Tränengas abbekommen. Es ist inakzeptabel für gewählte Volksvertreter, nicht an Ort und Stelle zu sein, sondern die Lage von weit weg – gar von zu Hause – zu beobachten und zu beurteilen. In diesen Zeiten müssen wir bei den Opfern sein.“

Die lauter werdende Kritik an Obamas Verhalten wirft die Frage auf, was genau vom ersten schwarzen Präsidenten der USA in solchen Momenten erwartet wird. Manche vergleichen den aktuellen Todesfall mit jenem des 17 Jahre alten Schwarzen Trayvon Martin, der im Februar 2012 unter ebenfalls ungeklärten Umständen erschossen wurde und eine Rassismus-Debatte in den USA auslöste. Damals zeigte Obama eine sehr emotionale Reaktion. So etwas hätten sich viele auch diesmal gewünscht, vielleicht wäre die Lage dann nicht derart eskaliert.