Weit mehr als 700 Schüsse soll der 58 Jahre alte Kraftfahrer in seinem jahrelangen, hemmungslosen Feldzug auf Lastwagen und Autos abgegeben haben. Wohl nur durch Zufall kam niemand zu Tode.

München. Er wähnte sich in einem Krieg auf der Autobahn: Weit mehr als 700 Schüsse soll ein 58 Jahre alter Kraftfahrer in seinem jahrelangen, hemmungslosen Feldzug auf Lastwagen und Autos abgegeben haben. Wohl nur durch Zufall kam niemand zu Tode. In diesem nach Einschätzung des Bundeskriminalamts (BKA) einzigartigen Fall der deutschen Kriminalgeschichte beginnt am Montag vor dem Landgericht Würzburg der Prozess.

Dem in der ehemaligen DDR aufgewachsenen und zuletzt in Kall in der Nordeifel lebenden Angeklagten Michael Harry K. droht eine lange Haftstrafe. Er ist unter anderem wegen sechsfachen versuchten Mordes, gefährlicher Körperverletzung, unerlaubten Führens von Schusswaffen, Sachbeschädigung und gefährlicher Eingriffe in den Straßenverkehr angeklagt. Allein für den Vorwurf des versuchten Mordes droht eine lebenslange Haftstrafe.

Die Staatsanwaltschaft hat ein psychiatrisches Gutachten zur Schuldfähigkeit des Angeklagten in Auftrag gegeben, zu Ergebnissen wollte ein Gerichtssprecher nichts sagen. Eine psychische Auffälligkeit hatten die Ermittler allerdings nach der Festnahme am 23. Juni vergangenen Jahres nicht feststellen können. Als „frustierten Einzelgänger“ beschrieb die Staatsanwaltschaft K., nachdem dieser festgenommen worden war.

Spätestens ab dem Jahr 2009 soll der gelernte Dreher auf Fahrten für seine Spedition auf andere Fahrzeuge geschossen haben. Die Waffen versteckte er im leeren Airbagfach seines Führerhauses oder in einem Kühlfach neben dem Fahrersitz.

K. schoss den Ermittlungen nach mehr oder minder freihändig, sowohl auf den Gegenverkehr auf der Autobahn als auch auf Fahrzeuge, die in seiner Fahrtrichtung unterwegs waren. Die Schüsse galten nach seiner Aussage der Ladung oder dem Laderaum von Lastwagen. Teilweise beschoss er aber auch die Fahrerhäuser der Lkw oder Pkw.

Ob K. gezielt auf Autos und Fahrerhäuser zielte oder ob es Irrläufer von für die Ladung gedachten Schüssen waren, spielt für die Anklage keine Rolle: Sie hält ihm vor, den Tod oder die Verletzung von Menschen billigend in Kauf genommen zu haben.

Das Motiv für diese beispiellose Tatserie nannte der geständige Fernfahrer den Ermittlern auch. Er gab an, bei einer seiner Fahrten selbst durch einen Autotransporter fast von der Straße abgedrängt worden zu sein. Daraufhin habe er sich entschlossen, anderen Lkw-Fahrern einen „Denkzettel“ für ihr Fahrverhalten verpassen zu wollen.

Allerdings steigerte sich K. im Laufe der Zeit nach der Anklageschrift immer weiter in seine Selbstjustiz hinein. Zu Beginn feuerte er mit jeweils einem Schuss auf Autotransporter. Später beschoss er auch geschlossene Lastwagen, einen Fahrer sogar viermal nach verschiedenen Überholmanövern. Auch ein Fenster eines Spielcasinos zerschoss der Angeklagte.

Neben mehreren Fahrern, an denen die Projektile knapp vorüber flogen, kam besonders knapp im November 2009 eine Frau auf der Autobahn A3 in Höhe der Rastanlage Würzburg-Süd mit dem Leben davon. Ein Schuss traf die Pkw-Fahrerin in den Hals. Die Frau verriss ihr Lenkrad und fuhr mit hoher Geschwindigkeit in die Leitplanke. Sie erholte sich glücklicherweise vollständig.

Obwohl der Angeklagte vorgibt, nur auf die Ladung gezielt zu haben, spricht nichts dafür, dass ihn die Gefährdung anderer Menschen berührt hat. So liegt noch in einer zweiten Sache eine Anklage gegen ihn vor: Weil er sich selbst drei Nägel in den Reifen gefahren hatte, verteilte er von 2011 bis 2012 in der Umgebung seines Wohnorts insgesamt 182 Mal mit Hilfe von kleinen Plättchen zum Stehen gebrachte Nägel auf der Straße. K. wollte laut Staatsanwaltschaft aus Rache die Reifen anderer Autofahrer zerstören. Auch in diesem Fall war es am Ende wohl nur Zufall, dass es zu einem schweren Unfall nicht kam.