Mehrere Anschläge innerhalb kurzer Zeit erschüttern den zentralafrikanischen Staat. Bei zwei schweren Explosionen auf einem belebten Markt der Stadt Jos sterben mehr als 200 Menschen. Die Aggressivität der islamistische Boko Haram löst weltweit Entsetzen aus.

Jos/Abuja. Die islamistische Terrorgruppe Boko Haram hat ihre Anschlagserie in Nigeria offenbar fortgesetzt. Nach Informationen verschiedener nigerianischer Medien sollen Mitglieder der Gruppe in der Nacht zum Mittwoch den Ort Alagarno im Bundesstaat Borno angegriffen haben. Er liegt in unmittelbarer Nähe von Chibok, wo Boko Haram vor fünf Wochen mehr als 200 Schulmädchen entführt hat. Bei dem neuerlichen Angriff sollen mindestens 17 Menschen ums Leben gekommen sein.

Erst am Dienstag hatte es in der Stadt Jos in Zentralnigeria einen Doppelanschlag durch zwei Autobomben gegeben. Nach Informationen der Tageszeitung „Premium Times“ gehen die Behörden mittlerweile von mehr als 200 Toten aus. Die Anschläge ereigneten sich in unmittelbarer Nähe eines großen Marktes im Zentrum der Stadt. Zu den Opfern gehören Augenzeugen zufolge zahlreiche Frauen und Kinder. Bis in die Morgenstunden suchten Rettungskräfte am verwüsteten Tatort nach Toten und Verletzten.

Der nigerianische Präsident Goodluck Jonathan verurteilte den Anschlag scharf. Die bisher unbekannten Attentäter bezeichnete Jonathan als grausam und böse. Er sprach von einem „tragischen Attentat auf die menschliche Freiheit“ und betonte, seine Regierung werde weiterhin entschieden gegen Terrorgruppen vorgehen.

Rund um den belebten und zentralen Markt von Jos wurden den Angaben zufolge ein Krankenhaus, zahlreiche Läden und andere Gebäude beschädigt. Mächtige Rauchwolken lagen über dem Ort des Geschehens. Eine Bombe habe sich in einem Lastwagen befunden, ein anderer Sprengsatz in einem Minibus, berichtete ein Offizier der Spezialeinsatzkräfte.

Der Terroranschlag war besonders tückisch, weil eine Bombe erst 30 Minuten nach der Explosion des ersten Sprengsatzes gezündet worden war. Zahlreiche Helfer der Rettungsdienste, die sich nach der ersten Explosion um die zum Teil unter Trümmern begrabenen Opfer und Verletzten bemühten, wurden dabei in den Tod gerissen.

Ein weiterer Anschlag wurde am Montag in der Wirtschaftsmetropole des Nordens, Kano, verübt. Nach Schätzungen von Menschenrechtsorganisationen sind allein seit Jahresbeginn mehr als 2000 Menschen durch islamistische Gewalt in Nigeria ums Leben gekommen.

Boko Haram will fundamentalistisch-islamischen Staat errichten

Die islamistische Organisation Boko Haram ist seit 2009 verantwortlich für den Tod Tausender Menschen in Nigeria. Der Name bedeutet „Westliche Bildung ist Sünde“. Allein seit Jahresbeginn gab es nach nigerianischen Angaben insgesamt schon über 2000 Opfer. Die Streitkräfte des Landes hatten im Mai 2013 eine Offensive gegen die Gruppe begonnen, jedoch ohne großen Erfolg.

Die Terrorgruppe mit Kontakten zu nordafrikanischen Al-Kaida-Ablegern will im muslimischen Norden Nigerias einen fundamentalistisch-islamischen Staat errichten. Die Stadt Jos, die an der Grenze zwischen dem mehrheitlich muslimischen Norden und dem vorwiegend christlichen Süden Nigerias liegt, ist immer wieder Schauplatz von Gewalt.

Mitte April hatte Boko Haram mehr als 200 Schulmädchen im Norden Nigerias entführt. Die Islamisten drohen, die Mädchen zu verkaufen, wenn die Regierung in Abuja gefangene Boko-Haram-Mitglieder und deren Angehörige nicht freilässt. Bisher fehlt trotz der Unterstützung von amerikanischen und europäischen Experten und dem Einsatz von Aufklärungsflugzeugen noch jede Spur von den Mädchen.

Frankreich und Nigeria sowie vier andere afrikanische Länder hatten am vergangenen Sonnabend bei einem Anti-Terrorgipfel einen Aktionsplan gegen die Terrororganisation beschlossen. Man werde den Informationsaustausch der Geheimdienste verstärken, die Aktionen afrikanischer Militärs koordinieren und die Grenzen in Afrika kontrollieren, sagte der französische Präsident François Hollande. Eine Militäraktion des Westens gegen Boko Haram schloss Hollande allerdings aus.

Der Terror der Extremisten treibt im Norden Nigerias immer mehr Menschen in die Flucht: Rund ein Jahr nach der Verhängung des Ausnahmezustands in den besonders schlimm betroffenen Bundesstaaten Yobe, Borno und Adamawa wurden dort nach UN-Angaben 250.000 Menschen vertrieben. Rund 61.000 weitere hätten in Kamerun, Tschad und Niger Zuflucht gesucht.

Nigeria zählt nach aktuellen Schätzungen rund 170 Millionen Einwohner und ist das bevölkerungsreichste Land Afrikas. Über die Hälfte von ihnen bekennt sich zum Islam; vor allem der Norden ist fast ausschließlich islamisch geprägt. Der Anteil der Christen in Nigeria wird mit mindestens 40 Prozent angegeben. Die christliche Gemeinschaft nahm in den vergangenen Jahrzehnten stark zu und ist die größte auf dem afrikanischen Kontinent.