Mehr als 1100 Textilarbeiter kamen bei dem Einsturz vor genau einem Jahr ums Leben. Tausende Menschen gingen in Bangladesch auf die Straße und demonstrierten. 29 westlichen Modekonzernen wird vorgeworfen, sich aus der Verantwortung zu stehlen.

Berlin/Savar. Am Jahrestag des folgenschweren Fabrikeinsturzes in Bangladesch haben tausende Menschen vor den Trümmern protestiert. „Wir verlangen Entschädigung“ und „Tod den Schuldigen“, riefen die Demonstranten am Unglücksort in der Nähe der Hauptstadt Dhaka. Die Bundesregierung forderte die Textilbranche auf, sich auf einheitliche Sozial- und Umweltstandards in den Produktionsländern zu verpflichten. Die Europäische Kommission sieht bereits Fortschritte.

Vor der Ruine der Rana-Plaza-Fabrik versammelten sich am Donnerstag tausende Menschen. Auch Angehörige von 140 Arbeitern, die immer noch als vermisst gelten, nahmen an der Demonstration teil – darunter Kleinkinder, die Fotos ihrer Mütter hochhielten. In Dhaka kam es bei Protesten zu Zusammenstößen mit der Polizei. Aus Furcht vor Unruhen blieben nach Polizeiangaben einige Textilfabriken in Dhaka geschlossen.

Am 24. April 2013 war die Rana-Plaza-Fabrik eingestürzt, 1138 Textilarbeiter kamen ums Leben, mehr als 2000 weitere Menschen wurden verletzt. Zahlreiche westliche Firmen hatten in der Fabrik Kleider nähen lassen. In Bangladesch werden Textilarbeitern nur geringe Löhne gezahlt.

Arbeitsbedingungen dürfen nicht national begrenzt sein

Bundesarbeitsministerin Andrea Nahles (SPD) erklärte anlässlich des Jahrestags, gute Arbeitsbedingungen „dürfen nicht an den nationalen Grenzen halt machen“. Leib und Seele müssten am Arbeitsplatz „überall auf der Welt“ sicher sein. Das Beispiel Rana Plaza zeige, dass Staaten und Unternehmen in dieser Frage noch viel zu tun hätten.

Bundesentwicklungsminister Gerd Müller (CSU) erklärte, Deutschland müsse eine Vorreiterrolle für die Verbesserung von Arbeitsbedingungen einnehmen. „Die teilweise unmenschlichen Arbeits- und Lebensverhältnisse in der Textilindustrie in Ländern in Asien oder Afrika sind nicht länger hinnehmbar“, erklärte Müller. Beide Politiker ermahnten die Textilbranche zu einheitlichen Standards in sozialen Angelegenheiten und Umweltfragen.

Ein Sprecher von EU-Handelskommissar Karel De Gucht sprach von „deutlichen Fortschritten“, die schon erreicht worden seien. Es müsse aber noch mehr getan werden, erklärte er in Brüssel. „Signifikante Fortschritte bei den Arbeitsbedingungen sind wichtig für Bangladesch, um weiterhin einen priorisierten Zugang zur EU zu haben.“

Viele Entschädigungszahlungen stehen noch aus

Immer noch stehen für viele Betroffene Entschädigungszahlungen aus. Insgesamt sollen 3000 Textilarbeiter oder Angehörige eine Entschädigung erhalten. Das Geld kommt aus einem von der Internationalen Arbeitsorganisation (ILO) verwalteten Fonds, in den westliche Firmen einzahlten oder noch einzahlen sollen, die in der Fabrik nähen ließen.

Arbeits- und Menschenrechtsorganisationen werfen 29 westlichen Modekonzernen vor, sich aus ihrer Verantwortung zu stehlen. „Diese Firmen versagen ein zweites Mal“, sagte Ineke Zeldenrust von der Organisation Clean Clothes Campain. „Erst haben sie dabei versagt, dafür zu sorgen, dass die Fabriken, in denen sie nähen lassen, sicher sind, und jetzt lassen sie die Überlebenden und die Angehörigen der Opfer im Stich.“

Erst am Dienstag hatten Opfer und Angehörige Geld bekommen. Bangladeschs Vizearbeitsminister Mujibul Haque Chunnu und Gilbert Fossoun Houngbo von der ILO übergaben Schecks in Höhe von 50.000 Taka (rund 460 Euro). Es handele sich um eine „Vorauszahlung“, sagte Mojtaba Kazazi, Direktor der Rana-Plaza-Entschädigungsverwaltung.

Die tatsächliche Entschädigung soll demnach später berechnet werden – für Opfer des Unfalls nach dem Grad ihrer Verletzung, für Angehörige von toten Arbeitern nach dem Alter, der Summe, die sie noch verdienen hätten können, und der Anzahl der von ihnen Abhängigen. Auch Familien von vermissten Arbeitern sollen demnach Geld bekommen.