Der Paralympics-Star sagte erstmals zu den Ereignissen am Valentinstag vor einem Jahr aus. Unter Tränen und mit brüchiger Stimme entschuldigte sich Oscar Pistorius vor Gericht für den Tod seiner Freundin Reeva Steenkamp.

Pretoria. Mit eisiger Miene, zusammengekniffenen Lippen und starren Augen verfolgt June Steenkamp das Schluchzen und Stammeln des Angeklagten. Scheinbar ungerührt lauscht sie den tränenreichen Beteuerungen von Oscar Pistorius, der sich für die „Tragödie“ entschuldigt. Die Mutter Reeva Steenkamps hat ihn nie bezichtigt, willentlich ihre Tochter getötet zu haben – aber die gramgebeugte Frau hat auch nie einen Hehl daraus gemacht, dass sie dem Sportidol schon immer misstraute.

Mitglieder der Frauenliga der südafrikanischen Regierungspartei ANC begleiten die leidgeprüfte Frau nach der Verhandlung nach draußen. Für die Liga ist Pistorius ohnehin ein Gewalttäter, einer der vielen südafrikanischen Männer, die ihre Frauen als Besitz willkürlich misshandeln. Viele Südafrikaner bezweifeln auch nach dem hochdramatischen Auftritt im Zeugenstand die verwegenen Darstellungen des Paralympics-Stars. „Ich hoffe, er bekommt lebenslänglich“, twitterte Josh Kloehr. „Die arme Reeva kann ihre Träume nie verwirklichen und der Idiot klagt über Alpträume“, schrieb David Williams.

Pistorius präsentierte sich als Zeuge häufig als ein Häufchen Elend. Seine Stimme klingt meist ängstlich, ist oft brüchig und zittert, immer wieder muss er weinen. „Ich schwöre die Wahrheit zu sagen, so wahr mir Gott helfe“, sagte mit leiser Stimme zu Beginn. Vorgestellt hatte er sich der Richterin mit „Oscar Leonard Carl Pistorius“, seinem vollständigen Namen.

Pistorius beschreibt sich als psychisches Wrack

Der früher so selbstbewusste Profisportler beschrieb sich selbst als psychisches Wrack mit nächtlichen Angstzuständen. Seit der Tragödie nehme er Antidepressiva, habe schlaflose Nächte. „Ich habe zu viel Angst, um zu schlafen, habe schreckliche Alpträume über die Dinge, die in jener Nacht geschahen. Ich rieche Blut und wache entsetzt auf.“ Der 27-Jährige schilderte sich als gottesfürchtigen Menschen. Er habe es als „Segen empfunden, dass Reeva sehr gläubig war“. „Sie betete immer für mich, in der Nacht, zu meinem Training... vor dem Essen“, berichtete Pistorius leise und brach dann in Tränen aus.

Sein Ruf in den Zeugenstand am 17. Verhandlungstag war keineswegs selbstverständlich. Angesichts des komplizierten Indizienprozesses hatte er darauf spekulieren können, dass er mangels eindeutig zu beweisender Schuld vom Mordvorwurf freigesprochen werden müsste. Dass Verteidiger Barry Roux ihn aber als Zeuge aufrief und Pistorius sich nun dem Kreuzverhör des gefürchteten Staatsanwalts Gerrie Nel stellen muss, könnte auf Schwächen der Verteidigung verweisen.

Experten glauben, dass in dem Mordprozess bisher die Zweifel an den Darstellungen von Pistorius gewachsen sind. „Die wichtigsten Beweise der Staatsanwaltschaft sind verschiedene Aussagen von Nachbarn, die alle von einem Streit mit seiner Freundin Reeva Steenkamp berichtet haben“, betonte der Rechtsexperte William Booth. „Es gibt sicher keine Grundlage dafür zu behaupten, dass irgendeiner dieser Zeugen lügt.“

Das Ringen um Glaubwürdigkeit

Der Ruf von Pistorius in den Zeugenstand berge enorme Gefahren, meinte der renommierte Jurist. „Ein falsches Wort“ könne unter Umständen genügen, dass ihm das Gericht die ganze Geschichte nicht mehr abnehme. Immerhin muss Pistorius die Richterin davon überzeugen, dass er in der Nacht zum 14. Februar 2013 seine damals 29 Jahre alte Freundin nur aus Versehen erschossen habe, weil er einen Einbrecher hinter der verschlossenen Toilettentür seines Hauses vermutete.

Um seine große Angst vor Gewalt und Kriminalität zu begründen, schilderte der behinderte Profisportler seine zahlreichen Erfahrungen mit Einbrüchen, Entführungen und Tätlichkeiten – wie sie halt „jeder Südafrikaner erlebt“. Daran wird auch die Staatsanwaltschaft kaum rütteln wollen – 16.000 Morde gibt es in Südafrika jährlich, fast 30 Mal so viele wie in Deutschland bei einer deutlich höheren Einwohnerzahl.

Aber der Staatsanwalt wird dennoch fragen, wieso Pistorius schon wegen des Verdachts, ein Fremder könnte in der Toilette sein, mit mörderischen Kugeln viermal durch eine verschlossene Tür schießen musste.