Der 52 Jahre alte Renfe-Mitarbeiter wird heute zum Zugunglück von Santiago de Compostela mit 80 Toten befragt. Abendblatt.de hält Sie mit einem Newsticker auf dem Laufenden.

Santiago de Compostela/Hamburg. Nach der verheerenden Zugkatastrophe mit 80 Toten in Spanien wird mit Spannung die erste Vernehmung des Lokführers erwartet. Der 52-Jährige soll sich nach Medienberichten bereits heute als Beschuldigter bei der Polizei zum Unfallhergang äußern. Er hatte nach Informationen aus Ermittlerkreisen eingeräumt, dass der Zug auf einer Tempo-80-Strecke mit 190 Kilometern pro Stunde gefahren sei. Gewerkschaften nahmen den erfahrenen Lokführer aber in Schutz und erklärten: Schuld war das ungeeignete Tempokontrollsystem.

Wie die Regionalbehörden in Galicien mitteilten, wurden bei dem schwersten Eisenbahnunglück in Spanien seit mehr als 40 Jahren 178 Fahrgäste verletzt. Bei 33 Menschen war der Zustand am Donnerstagabend noch kritisch, darunter vier Kinder. Nur 53 der 80 Todesopfer konnten rasch identifiziert werden. Gerichtsmediziner erklärten, die Identifizierung einiger Toten werde länger dauern.

Über den Grund der überhöhten Geschwindigkeit, mit der der Zug in die Kurve vier Kilometer vor dem Bahnhof des Wallfahrtsortes eingebogen sein soll, wurde zunächst nichts bekannt. Die staatliche Bahngesellschaft Renfe warnte vor vorschnellen Schlussfolgerungen. Renfe-Präsident Julio Gómez-Pomar erklärte, der Unglückszug sei am Morgen vor dem Unfall inspiziert worden. Er bezeichnete den Lokführer als erfahren und wies darauf hin, dass der Mann seit mehr als einem Jahr auf der Unglücksstrecke im Dienst gewesen sei.

Die Lokführer-Gewerkschaft (Semaf) brachte eine Debatte mit der Behauptung ins Rollen, die Tragödie hätte mit dem modernen ERTMS-Tempokontrollsystem an der Unglücksstelle verhindert werden können. Da die 2011 eingeweihte Hochgeschwindigkeitsstrecke aber vier Kilometer vor Santiago – kurz vor der Unfallstelle – ende, sei das ältere ASFA-System im Einsatz gewesen, das den Zug beim Überschreiten der erlaubten Geschwindigkeit nicht immer automatisch abbremse, klagte Semaf-Generalsekretär Juan Jesús Fraile im Radio. „Ideal wäre es gewesen, wenn man die Hochgeschwindigkeitsstrecke bis Santiago fertiggebaut hätte“, sagte er.

Die Eisenbahninfrastruktur-Behörde ADIF wies die Vorwürfe zurück. Im städtischen Raum und bei der Stationseinfahrt sei das ASFA das geeignete System, hieß es. Polizei- und Eisenbahnexperten untersuchen die Unfallursache. Einen Anschlag schlossen die Ermittler schnell aus.

Der Lokführer und sein Assistent überlebten das Unglück nahezu unverletzt. Nach Informationen der Zeitung „El País“ soll der Lokführer unmittelbar nach der Katastrophe über Funk der Leitstelle im Bahnhof von Santiago gesagt haben: „Ich hoffe, es gibt keine Toten, denn die gingen auf mein Gewissen.“

Erinnerungen an Eschede

Die verkeilten und zerstörten Waggons an der Unfallstelle erinnerten an das folgenschwere ICE-Unglück von Eschede 1998. Die Katastrophe nahe der Pilgerstadt Santiago de Compostela war das erste tödliche Unglück auf einer Strecke des spanischen Hochgeschwindigkeitsnetzes.

Der Wallfahrtsort, der das Ziel des Jakobsweges bildet, sagte alle Feiern zu Ehren des Heiligen Jakobs an diesem Wochenende ab. Die traditionelle Zeremonie ist das wichtigste Fest des Jahres in Santiago. Ministerpräsident Mariano Rajoy ordnete für ganz Spanien eine offizielle Trauer von drei Tagen an.

Auch Bundeskanzlerin Angela Merkel (CDU) äußerte sich erschüttert. Die Bilder von der Unglücksstelle „lassen das entsetzliche Leid nur erahnen“, schrieb sie in einem Beileidstelegramm an Rajoy.

Der Unglückszug war am Mittwoch auf der Fahrt von Madrid zur Küstenstadt Ferrol im Nordwesten Spaniens gewesen. Die Waggons des Zuges wurden bei dem Unglück auseinandergerissen und sprangen aus den Schienen. Einige Wagen prallten neben den Gleisen gegen eine Betonwand und stürzten um, andere Waggons verkeilten sich ineinander. Ein Wagen flog sogar über die Begrenzungsmauer hinweg.

Das Katastrophe war das drittschwerste Bahnunglück in der spanischen Geschichte. 1944 kamen bei einer Zugkollision bei León im Norden des Landes wahrscheinlich mehr als 500 Menschen ums Leben; die Zensur der Franco-Diktatur bezifferte die Zahl der Opfer auf 78. Im Jahr 1972 forderte ein Zugunglück in Andalusien 86 Menschenleben.

Über die Folgen des Zugunglücks von Santiago de Compostela hält Sie abendblatt.de mit einem Newsticker auf dem Laufenden:

+++ Lokführer festgenommen +++

13.53: Nach dem Zugunglück in Spanien ist nun der Lokführer festgenommen worden. Ihm werde Fahrlässigkeit vorgeworfen. Der 52 Jahre alte Francisco José Garzón sei noch nicht vernommen worden, die polizeiliche Befragung werde aber „in jedem Augenblick“ erfolgen, erklärte der Chef der Polizei der Autonomen Region Galicien, Jaime Iglesias, am Freitag am Unglücksort in Santiago de Compostela. Garzón werde „einer Straftat in Zusammenhang mit dem Unglück“ beschuldigt. Der Lokführer hatte bei dem verheerenden Unfall vom Mittwochabend eine Kopfverletzung erlitten. Er lag nach Medienberichten am Freitag unter Polizeiaufsicht im Krankenhaus.

Neben dem Verhalten des Lokführers untersuchten die Ermittler nach Angaben der Zeitung „El País“ auch mögliche Mängel am Bremssystem. Der Zug habe zu spät gebremst. Das automatische Überwachungssystem der Bahn habe zwar Alarm geschlagen, weil der Zug zu schnell unterwegs gewesen sei, schrieb „El País“. Der Lokführer habe versucht zu bremsen, habe die Tragödie aber nicht verhindern können.

Die Bahngesellschaft Renfe hatte am Donnerstag ein technisches Versagen an dem Zug ausgeschlossen. Bahnchef Julio Gomez-Pomar Rodriguez versicherte, der Zug sei erst am Morgen vor dem Unglück kontrolliert worden; die Wartung sei „perfekt“ gewesen.

Laut der Lokführer-Gewerkschaft ist der größte Teil der Strecke mit einem automatischen System der Geschwindigkeitskontrolle namens ERTMS ausgerüstet. Gewerkschaftschef Juan Jesus García Fraile sagte aber am Donnerstag, genau vier Kilometer vor Santiago ende dieses System. Daneben gebe es noch ein System namens ASFA, das die Einhaltung der Signale überwache. Dieses System sei jedoch „etwas abhängiger vom menschlichen Faktor“, fügte Fraile hinzu.

+++Medien: Spanischer Lokführer prahlte im Internet mit Raserei++

13:09 Uhr: Der Lokführer des in Spanien verunglückten Zugs soll Medienberichten zufolge in der Vergangenheit auf Facebook mit seinem hohen Tempo geprahlt haben. Der von örtlichen Medien als der 52-jährige Francisco José Garzón Amo identifizierte Eisenbahner habe einmal auf seiner Facebook-Seite das Foto eines Zug-Tachometers veröffentlicht, der 200 Kilometer pro Stunde anzeigte, berichteten spanische Zeitungen am Freitag. Das Bild habe Garzón mit den Worten kommentiert: „Ich bin am Anschlag, ich kann nicht schneller fahren, sonst kriege ich eine Strafe.“

Den Berichten zufolge schrieb Garzón zudem einmal auf seiner inzwischen gesperrten Seite in dem Online-Sozialnetzwerk: „Was für ein Spaß das wäre, sich ein Rennen mit der Guardia Civil (Polizei) zu liefern und sie zu überholen, so dass ihr Radar in die Luft gehen würde, haha. Was für eine Riesenstrafe für (die staatliche Eisenbahngesellschaft) Renfe.“ Laut Renfe ist der 52-Jährige seit 30 Jahren bei dem Unternehmen angestellt und verfügt über mehr als zehn Jahre Erfahrung als Lokführer.

Garzón sollte am Freitag erstmals vernommen werden. Er überlebte die Katastrophe, bei der 80 Menschen getötet wurden, mit leichten Verletzungen. Als mögliche Unglücksursache gilt ein völlig überhöhtes Tempo, mit dem der Zug in eine Kurve vor dem Wallfahrtsort Santiago de Compostela raste und entgleiste. Der Lokführer gab laut einem Zeitungsbericht in einem Funkspruch an, der Zug sei 190 Stundenkilometer gefahren, dabei waren nur 80 Stundenkilometer erlaubt.

+++Vernehmung des Lokführers verzögert sich+++

12:09 Uhr: Nach der Zugkatastrophe in Spanien mit 80 Toten haben die Ermittler die Blackboxes des Zuges gesichert. Das sagte eine Gerichtssprecherin am Freitag. Wie lange die Untersuchung dauern werde, um zu ermitteln, weshalb der Zug zum Zeitpunkt des Unglücks am Mittwochabend die Höchstgeschwindigkeit überschritten hatte, sagte sie nicht.

Ihren Angaben zufolge befindet sich der Lokführer noch im Krankenhaus. Er soll von der Polizei verhört werden, laut der Sprecherin sollte dies aber nicht mehr am Freitag geschehen.

+++Blackbox-Analyse soll Ursache des Zugunglücks klären+++

10:42 Uhr: Die Vernehmung des Lokführers und die Analyse der Blackbox sollen die Unglücksursache klären. Die Regional-Zeitung „La Voz de Galicia“ berichtete am Freitag unter Berufung auf Ermittlerkreise, bei einer ersten Auswertung der Blackbox sei festgestellt worden, dass der Zug Mittwochabend wenige Kilometer vor der Einfahrt in die Station von Santiago de Compostela im Tempo-80-Bereich mit 190 Kilometern pro Stunde unterwegs gewesen sei. Nach anderen Berichten hatte der Lokführer diese überhöhte Geschwindigkeit eingeräumt.

+++ Sicherheitschef: Spanien über Durchschnitt +++

8.53 Uhr: Spaniens Bilanz in Sachen Sicherheit liegt über dem europäischen Durchschnitt. Das erklärt Chris Carr, Leiter der Abteilung Sicherheit bei der Europäischen Eisenbahnagentur. EU-Statistiken zufolge sinkt die Zahl der Zugunglücke pro Jahr in der 28-Staaten-Union um etwa sechs Prozent. Das bedeutet einen Rückgang um 70 Prozent in der Zeitspanne von 1990 bis 2012. Dennoch besagt ein Bericht der Behörde vom Mai, dass jedes Jahr ungefähr 2400 „bedeutende“ Unfälle passierten. Zum größten Teil handele es sich dabei aber um Kollisionen mit Autos auf Bahnübergängen oder um Menschen – oftmals Selbstmörder -, die von einem Zug getroffen würden. Derartige Vorfälle kosten dem Report zufolge jährlich etwa 1200 Menschenleben.

Wenn man diese Statistik betrachte, verblassten dagegen alle anderen Todesopfer-Zahlen bei Zugunglücken, sagt Carr. Fast alle Todesfälle gingen auf Zusammenstöße auf Bahnübergängen und Suizide zurück. Fest steht laut Carr, dass die EU-Mitgliedsstaaten angewiesen sind, jeweils national genau zu überwachsen, ob Sicherstandards auch eingehalten werden. Das gelte für Wartungsarbeiten an Schienen und Zügen, aber auch für die Aus- und Weiterbildung von Mitarbeitern. „Es ist eine ziemlich robuste Struktur“, sagt Carr. Aber es gebe trotzdem unausweichlich Situationen, „in denen die Dinge schieflaufen“.

Mangelhafte Teile, schlechte Wartung und menschliche Fehler sind die wahrscheinlichsten Ursachen bei Unfällen. Ein Zugkollision 2012 mit 16 Toten in Südpolen wurde verbreitet auf die schlechte Ausbildung eines Zugverkehrskontrolleurs zurückgeführt. Einige machten jedoch auch Sparmaßnahmen auf Kosten der Sicherheit bei der Modernisierung des Bahnnetzes für das Unglück verantwortlich. Polens Bahnsystem schließt moderne Züge und Bahnstationen ein, aber auch Züge und Schienen aus der kommunistischen Ära.

+++ Geschwindigkeit des Zuges im Fokus +++

8.18 Uhr: Die Ermittlungen konzentrieren sich jetzt auf die Geschwindigkeit des Schnellzuges. Dabei wird untersucht, ob der Lokführer fahrlässig zu schnell gefahren ist oder ob die Systeme zur Kontrolle und Regulierung der Geschwindigkeit versagt haben. Experten vermuten, dass mindestens einer der beiden Punkte zu dem Unglück am Mittwochabend geführt hat.

+++ Lokführer unter Polizeibewachung +++

8.07 Uhr: Nach dem schweren Zugunglück im Norden Spaniens soll nun der Zugführer von der Polizei verhört werden. Das ordnete der mit den Ermittlungen betraute Richter an. Es wird damit gerechnet, dass die Befragung noch heute stattfindet. Der leicht verletzte Zugführer befindet sich im Krankenhaus unter Polizeibewachung. Die Schwere seiner Verletzung ist noch nicht klar. Laut Berichten lokaler Medien handelt es sich um einen 52-jährigen Mann. Nach Angaben der Staatsbahn Renfe ist er seit 30 Jahren im Unternehmen und seit mehr als zehn Jahren Zugführer. Bei der Vernehmung werde ihm ein Anwalt zur Seite gestellt, sagte eine Sprecherin des Regionalgerichts von Galicien.

+++ Eschede-Hinterbliebener fordert mehr Sicherheit +++

7.58 Uhr: Sicherheit muss im Bahnverkehr nach Ansicht des Sprechers der Hinterbliebenen von Eschede oberste Priorität und Vorrang vor Wirtschaftlichkeit und Tempo haben. Das forderte Heinrich Löwen, der bei der Katastrophe 1998 Frau und Tochter verlor. Auch lange nach der Katastrophe gingen die Gedanken an so ein Geschehen nie völlig unter. Bei Anlässen wie dem Zugunglück in Spanien kämen sie wieder hoch. Dort müsse den Angehörigen rasch und unbürokratisch geholfen werden, forderte Löwen. Er riet, die Menschen dürften sich nicht vereinzeln, sondern sollten sich gegenseitig unterstützen. Eine rückhaltlose Aufklärung sei selbstverständlich. Im niedersächsischen Eschede starben 101 Menschen, 105 weitere wurden verletzt.