An mindestens 215 Kindern und Jugendlichen verging sich der verstorbene BBC-Entertainer Jimmy Savile. Schon 1963 gab es Anschuldigungen gegen ihn. Aber die Behörden unternahmen nichts.

London. Der Inhalt des anonymen Briefs war eindeutig: „Was nicht mehr akzeptiert werden kann und gestoppt werden muss, ist Jimmy Saviles Pädophilie. Er denkt, er sei unberührbar wegen der Menschen, mit denen er zusammen ist. Bitte, lassen sie ihn nicht unbestraft davonkommen. (…) Wenn Sie denken, das hier ist ein Scherz, überdenken Sie es. Nicht ich leide, wenn Sie nichts tun, sondern die Kinder.“

Ein Brief aus dem Jahr 1998, der Scotland Yard mehr als 14 Jahre vorlag – und niemals für den Beschuldigten Konsequenzen hatte. Am Dienstag bekam das Missbrauchs-Drama um den BBC-Star Jimmy Savile ein weiteres dunkles Kapitel hinzugefügt. Die englische Aufsicht für den Polizeidienst legte einen Bericht vor, der den Behörden ein erschütterndes Zeugnis ausstellt.

Mehr als fünf Jahrzehnte wurden Kinder, Jugendliche aber auch ältere Menschen Opfer des 2011 im Alter von 83 Jahren verstorbenen Savile. Doch trotz aller Hinweise geschah nichts.

Opfer sollten „das Ganze vergessen“

Bereits 1963 waren die ersten dokumentierten Anschuldigungen aufgetaucht. Ein Mann hatte sich an die Polizei in Cheshire gewandt, weil der Moderator und Diskjockey ihn vergewaltigt hatte. Die Beamten rieten dem Opfer nur, „das Ganze zu vergessen“. Ein anderer Mann, der den Londoner Diensten berichtete, Savile habe seine Freundin bei Aufnahmen der Hitparaden-Show „Top of the Pops“ überfallen, wurde gewarnt: Er könne für solche Vorwürfe im Gefängnis landen.

Selbst Berichte aus der Polizei selbst hatten keine Folgen für Savile. Die Beamten in seinem Heimatbezirk West Yorkshire wurden sogar ermutigt, engen und freundschaftlichen Kontakt zu dem Entertainer zu halten. Aussagen mit konkreten Vorwürfen wurden als „sensibel“ eingestuft und verschwanden in den Aktenschränken.

Der Grund: Saviles Star-Status. Der Londoner Polizeidienst Metropolitan Police verweigerte zwischen 2007 und 2009 Anfragen der eigenen Kollegen, die Zugang zu den Datensätzen der Met haben wollten.

Übergriffe auch auf dem BBC-Gelände

Seit eine geplante BBC-Dokumentation im vergangenen Herbst den Stein ins Rollen gebracht hatte, gehen die Behörden mindestens 214 Straftaten nach, 32 davon Vergewaltigungen. Und es kommen immer noch weitere Anschuldigungen hinzu. Savile hatte seine Opfer gezielt in Krankenhäusern oder Einrichtungen für Kinder gesucht, die er selbst mit seinen Wohltätigkeitsaktivitäten unterstützte. Aber auch auf dem Gelände der BBC hatte er sich an seinen Opfern vergriffen.

„Es ist jetzt klar, dass die Leute wegen Saviles Bekanntheit immer nach einem weiteren Beweis suchten, sich besonders vorsichtig verhielten wegen der Macht, die er ausübte“, sagte Drusilla Sharpling, Inspektorin der Aufsichtsbehörde.

Das Ergebnis des Reports ist nicht nur in Hinsicht auf den Fall Savile ein bitteres Zeugnis für die Arbeit der Polizeikräfte. Solche Fälle könnten immer wieder passieren, warnte der Leiter der Polizeibehörde von Greater Manchester.

„Einheitliche nationale Standards“ seien angesichts von 43 unterschiedlichen Behörden in England und Wales schwierig durchzusetzen. Das britische Innenministerium will in den nächsten Monaten seine Vorschriften mit dem Hintergrund der Savile-Ermittlungen überprüfen.