Über Sinn und Unsinn des RTL-Dschungelcamps wird leidenschaftlich diskutiert. Ein Pro und Kontra aus der Abendblatt-Redaktion.

Ganz kurz vorweg: Es zählt nicht zu meinen Hobbys, und ich finde es auch nicht erstrebenswert, Menschen im Fernsehen furzen, rülpsen oder lebende Kakerlaken essen zu sehen. So blöd bin ich jetzt auch wieder nicht. Aber ich glaube, dass es beim Dschungelcamp um etwas anderes geht.

Es geht, davon bin ich überzeugt, um die beste Unterhaltungssendung im deutschen Fernsehen. Sie ist das absolute Highlight eines sonst seichten, voraussehbaren, in weiten Teilen irrelevanten Fernsehjahrs. Zwei Wochen Dschungelcamp, das ist für mich wie zwei Wochen WM gucken: Jeden Abend sitzen Millionen Zuschauer zur selben Zeit vor dem Fernseher, gut vorbereitet und hoch konzentriert.

Sie finden das geschmacklos? Ich nicht. Ich finde hingegen sieben gebührenfinanzierte Talkshows pro Woche degoutant - oder Live-Übertragungen von Sport- und Gesangswettbewerben aus Staaten, in denen nachweislich Menschen gefoltert werden. Was aber ist das Dschungelcamp? Eine Show, in der elf Kandidaten freiwillig und mit hohen Gagen bedacht zwei Wochen lang miteinander im Freien verbringen. Ja, die Kandidaten essen da auch Insekten. Sie tauchen in Fischabfälle und springen durch Feuerwände. Das sind die Nebelkerzen, die die Verantwortlichen des Programms ganz bewusst werfen. Aber die eigentliche Hölle, das sind die anderen. Das hat schon Sartre gewusst, und es gibt eigentlich kein Drama, das existenzialistischer ist als "Huis Clos". Oder eben: dieses Camp.

Beim Dschungelcamp nimmt niemand irgendetwas ernst, selbst die Macher ihre eigene Show nicht. Nur die Kandidaten verbeißen sich irgendwann ineinander. Sie lästern, weinen, schmieden Ränke. Was Menschen eben so tun, wenn man sie lässt. Das ist manchmal erschreckender als jede Dschungelprüfung. Und es ist überdies eine kluge, Abend für Abend zelebrierte Medienkritik. Das Dschungelcamp bricht mit Konventionen, es verstößt gegen jeden Konsens der Unterhaltungsindustrie. Hier wird niemand hochgejubelt, weil er gerade eine CD vermarkten will, ein Buch oder einen Film. Hier wird dieser Mechanismus sehr zynisch hinterfragt.

Sie sagen, das gesamte deutsche Privatfernsehen ist ein Hort des Zynischen? Stimmt. Aber wenigstens tut man hier gar nicht so, als wäre es anders. Als es neulich in einer Folge um die Themen Bulimie, Pornosucht und Drogenkonsum von Jugendlichen ging, hakte Moderatorin Sonja Zietlow ein: "Aber das sind doch alles Themen für das RTL-Nachmittagsprogramm!" Wie wahr, wie wahr.

Das Dschungelcamp ist für mich zu einem seltsamen Innehalten im Fernsehjahr geworden. Man kommt zur Arbeit, erzählt, was man am Abend zuvor gesehen hat - und streitet. Ja, doch: In Deutschland diskutieren Menschen morgens über das Fernsehprogramm! Das gibt es noch.

Das Dschungelcamp entlarvt die deutsche Fernsehlandschaft als das, was sie ist: das Ende der Ideen. Dann doch lieber Kakerlaken essen.

Die andere Meinung:

Sven Kummereincke, stellvertretender Ressortleiter Lokales

Kontra: Das Schwarzsauer des deutschen Fernsehens