Die älteste Tochter des begnadeten Schauspielers klagt ihren toten Vater an. Mit dem Missbrauchsvorwurf geht sie ein erhebliches Risiko ein.

Berlin. Er hat geschlagen, gepöbelt, beleidigt – Klaus Kinski verkörperte oft jenen „Zorn Gottes“, wie sich einer seiner erfolgreichsten Filme nennt. Aber hat der Schauspieler seine Tochter sexuell missbraucht? Seitdem Pola Kinski in Interviews und einem Buch solch schwere Vorwürfe gegen den vor mehr als 20 Jahren gestorbenen Schauspieler erhoben hat, taucht die Erinnerung an den gnadenlosen Egomanen in ein noch grelleres Licht.

Launen, Wutanfälle, Aggressionen – sie wurden zu Kinskis Lebzeiten als Charakterzüge eines genialen Exzentrikers geduldet. Die Bekenntnisse der heute 60-jährigen Tochter lassen ahnen, welche Wunden Kinski hinter all den PR-Tricks bei Mitmenschen hinterlassen hat. Einige sind bis heute nicht verheilt.

Pola Kinski beschreibt ein Bild des Schreckens – und der Zerrissenheit. Körperlich und seelisch habe sich der Vater an ihr vergangen. Schon mit fünf Jahren habe er sie mit offenem Mund geküsst. Sie habe schweigen müssen, weil der Vater immer wieder gedroht habe. „Schuldgefühle quälen mich: dass ich ihn enttäuscht habe, dass ich es überhaupt zugelassen habe. Ich weine hemmungslos“, schreibt sie in ihrem Buch „Kindermund“, das im Insel Verlag erscheinen soll.

Für den Psychologen Andreas Böhmelt (Münster) passt das Bekenntnis in das Bild vieler Missbrauchsfälle. „Immer wieder kommt es vor, dass Opfer sexueller Übergriffe, wie etwa bei den Missbrauchsfällen innerhalb der katholischen Kirche, die Öffentlichkeit suchen“, sagte Böhmelt.

Zwar musste der für seine Ausbrüche berüchtigte Kinski, der 1926 als Nikolaus Karl Günther Nakszynski in Zoppot bei Danzig geboren wurde, schon zu Lebzeiten als zuweilen schwer erträglicher Narziss toleriert werden. Er randalierte auf der Bühne und vor der Kamera, in einer Talkshow ging er auf den Moderator los, in einem Restaurant in Rom zertrümmerte er das Geschirr und prügelte sich mit Polizisten.

Der Regisseur Werner Herzog, der mit Kinski fünf Filme drehte und für seine Meisterwerke „Aguirre“ und „Fitzcarraldo“ mit ihm in den Amazonas-Urwald auf Kino-Himmelfahrtskommando ging, zeichnete ein Bild des Schreckens. „Er war die ultimative Pest“, sagte Herzog und nannte seine Dokumentation über den Schauspieler „Mein liebster Feind“.

All die Exzesse stellten den Ruf Kinskis als begnadeten Darsteller nicht infrage. Vom Berliner Schlossparktheater bis nach Hollywood - Kinski wurde weltweit als Deutschlands wildester Filmbösewicht bekannt. Er drehte mehr als 130 Filme und spielte für viele große Regisseure – von Douglas Sirk bis Billy Wilder. Auch seine sexuellen Obsessionen behielt er nicht für sich. „Ich bin so wild nach Deinem Erdbeermund“ heißt eines seiner Erinnerungsbücher.

Mit ihrem Buch „Kindermund“ wagt sich das älteste der drei Kinski-Kinder erstmals öffentlich in die Tiefen der Familiengeschichte. Ahnen ließ sich das Unheil schon vor Jahren. Sie habe lediglich fünf Minuten Trauer verspürt, sagte Tochter Nastassja nach Kinskis Tod im November 1991 in einem Interview. Zuviel Schmerz habe ihr der Vater zugefügt. Sohn Nikolai lehnt bis heute Fragen über sein Verhältnis zum Vater ab.

Für Andreas Böhmelt ist eine objektive Aufklärung der Taten heute nicht mehr möglich. Pola Kinski sei „ein erhebliches Risiko eingegangen, durch die öffentliche Reaktion auf ihre Vorwürfe selber in den Schmutz gezogen zu werden“.