Schon fünf Dollar pro Liter. Präsident Obama ordnet nach Hurrikan Sonderlieferungen an. Auch Heizöl wird knapp. Notstand in Haiti.

New York. Die Warnung an einer Garage im New Yorker Stadtteil Queens ist unmissverständlich: "Plünderer werden gekreuzigt - Gott steh euch bei", droht der Besitzer nach dem Hurrikan "Sandy" Bösewichten mit Selbstjustiz. Auf die Polizei, die nach einer der schwersten Naturkatastrophen in der Geschichte der USA im Dauereinsatz ist, mag er sich nicht verlassen.

In der Tat zwingt "Sandy" das New York Police Department, wie die Behörde mit 50.000 Mitarbeitern heißt, zum Dauerspagat: Sie setzt Boote und Hubschrauber in überschwemmten Gegenden ein, besetzt Kontrollpunkte, zeigt Präsenz in Stadtteilen ohne Strom, regelt den Verkehr, sammelt und verteilt Lebensmittel, betreibt Notrufzentralen, bewacht gefährdete Objekte und stiftet Frieden unter Autofahrern, die sich vor den Tankstellen in die Haare geraten. Doch bisher ist die befürchtete Explosion der Kriminalität ausgeblieben. Seit "Sandy" wurde kein Mord gemeldet - normal ist einer pro Tag.

Nach den Verwüstungen droht jetzt im Großraum New York auch ein Kälteeinbruch, der die Temperaturen auf zwei bis drei Grad Celsius sinken lassen wird. Tausende Amerikaner in den Bundesstaaten New York, New Jersey und Connecticut müssen dann voraussichtlich ohne Heizung auskommen. Heizöl ist schon jetzt knapp, Lieferungen mussten rationiert werden. 5,8 Millionen Haushalte sind im Nordosten vom Öl abhängig, der weltweit größte Markt. Terminals, wo die Tanker im Normalfall entladen werden, können nicht arbeiten, weil sie keinen Strom haben. In zwei Raffinerien in New Jersey ruht die Arbeit wegen Überflutung, Transporte kommen auf zerstörten Straßen und Brücken nicht voran. "Das war der Letzte", sagte Nick DeMaria, Manager in einem Öllager in Brooklyn. "Ich habe eine ganze Reihe Tanklastwagen stehen, und die bekommen kein Öl. Wenn es jetzt kalt wird, müssen die Leute aber heizen können." Die Temperatur in New York fiel schon am Wochenende auf frostige Minusgrade. Bürgermeister Michael Bloomberg rief ältere Menschen ohne Heizung auf, in Notunterkünfte zu gehen, und ließ 25.000 Decken in der ganzen Stadt verteilen. "Wir sind New Yorker, und wir werden das durchstehen", sagte Bloomberg. "Aber ich will nicht, dass irgendjemand denkt, dass wir aus dem Gröbsten heraus sind."

Auch Benzin ist knapp. Präsident Barack Obama hat bereits den zusätzlichen Kauf von rund 45 Millionen Litern Benzin und knapp 38 Millionen Litern Diesel angeordnet. Doch das wird kaum ausreichen, um den Engpass zu beheben. Wucherpreise drohen. Schon jetzt wird Benzin von windigen Geschäftemachern zu vollkommen überhöhten Preisen angeboten. Statt vier Dollar kostet eine Gallone beispielsweise 20 Dollar, mehr als fünf Dollar pro Liter. Vielerorts bildeten sich kilometerlange Schlangen vor den Tankstellen. Ein chaotisches Bild bot sich an einer Tankstelle im New Yorker Stadtteil Brooklyn, an der die Nationalgarde gratis Benzin ausgab, um die Lage wenigstens etwas zu entspannen. Viele Menschen kamen mit leeren Wasserflaschen und warteten stundenlang zwischen hupenden Autos. "Es ist ein Chaos, ein wildes Durcheinander", sagte Chris Demon, der rund dreieinhalb Stunden anstehen musste.

In einigen Vierteln in New York, wie in Staten Island, stieg die Frustration darüber, dass die Reparaturen am Stromnetz in Manhattan schneller vorangingen als in den Außenbezirken. Der für gestern geplante New York Marathon wurde von Bürgermeister Michael Bloomberg abgesagt. Zahlreiche Athleten verabredeten sich über das Internet trotz der Absage zu privaten Läufen. Nach tagelanger Kritik hatte Bloomberg gerade noch einmal so die Kurve gekriegt, nachdem der Milliardär mit seinen Durchhalteparolen die von Sturm "Sandy" schwer gebeutelten New Yorker immer wieder vor den Kopf gestoßen hatte. Er gilt als effizient und pragmatisch, als Philanthrop und Modernisierer, macht allerdings auch immer wieder den Eindruck, als verstehe er die Sorgen der einfachen Leute nicht. Als Bloomberg noch an seiner Entscheidung festhielt, den Marathon wie geplant starten zu lassen, führte er immer wieder ökonomische Argumente ins Feld. Die Großveranstaltung spüle Einnahmen von 340 Millionen Dollar (265 Millionen Euro) in die Kassen.

Angesichts von mehr als 40 Todesopfern allein in New York wirkte das auf viele herzlos. "Er hat keine Ahnung, mit was wir hier zu kämpfen haben", sagt Joan Wacks, deren Wohnung in Staten Island unter Wasser steht. "Er sollte der Bürgermeister der ganzen Stadt sein, aber er ist nur der Bürgermeister von Manhattan." Melanie Bright, die drei Tage ohne Strom und warmes Wasser auskommen musste, glaubt, dass Bloomberg schlicht die Verbindung zu seinen Bürgern verloren hat. "Er glaubt, die Leute sollten einfach weitermachen, obwohl sie alles verloren haben."

Während an der US-Ostküste die Menschen dabei sind, ein gewisses Maß an Normalität in ihr Leben zu bekommen, rief die Regierung Haitis den Notstand aus. Die Regenfälle des Wirbelsturms hatten in weiten Teilen des Karibikstaats die Ernten zerstört. Nun werden in dem noch immer unter der Erdbebenkatastrophe von 2010 leidenden Land Lebensmittel knapp. Außerdem nimmt die Zahl der Cholera-Fälle wieder zu. Mindestens 60 Menschen starben. Bisher entstand in dem Land ein Schaden von 104 Millionen Dollar. Insgesamt kamen bei Hurrikan "Sandy" 110 Menschen ums Leben.