Der Schock von Aurora sitzt tief. Je mehr Details über die Opfer bekanntwerden, desto realer wird die Trauer der Amerikaner. Todesstrafe droht.

Washington. Stimmen die Verdächtigungen und Polizeiangaben über James Holmes, dann wollte er der ultimative Bösewicht sein. Bis auf die Zähne bewaffnet und martialisch gekleidet soll er im Kinosaal von Aurora kaltblütig Menschen erschossen haben. Sein erster Auftritt in der Öffentlichkeit, in einem Gerichtssaal des US-Staates Colorado, zeigte am Montag ein anderes Bild: Dort saß ein blasser junger Mann, sichtlich benommen oder übermüdet mit zufallenden Augen, völlig teilnahmslos. Seinen Kopf mit dem rot-orange gefärbten Haarschopf konnte er kaum aufrecht halten. Fast hätte er Mitleid erwecken können. Doch mit Mitleid kann er nicht rechnen.

Denn die Amerikaner trauern um die Opfer. Zunehmend werden Details aus deren Leben bekannt, die vor Augen halten, was der Massenmord im Kino angerichtet hat. Die meisten der zwölf Toten waren junge Männer und Frauen unter 30. Wie der 24-jährige Alexander, der laut „USA Today“ gerade sein Studium beendet hatte und eine Karriere als Psychiater plante. Jessica Ghawi, ebenfalls 24, war im Juni einer tödlichen Schießerei im kanadischen Toronto entkommen und auf gutem Weg, Sportreporterin zu werden. Der Teenager Alexander träumte davon, als Kunstlehrer zu arbeiten und eine Töpferei zu eröffnen. Und ein anderer feierte mit dem Kinobesuch seinen 27. Geburtstag.

Während Reporter versuchen, aus Gesprächen mit Weggefährten und Nachbarn ein Bild des Verdächtigen zu zeichnen, wollten zumindest die geschockten Bürger in Aurora am Wochenende nichts mehr von ihm hören. „Ich weigere mich, seinen Namen zu sagen“, rief der Gouverneur des Staates, John Hickenlooper, tausenden Trauernden bei einer Gedenkveranstaltung am Sonntag zu – und erntete dafür lauten Applaus.

Auch US-Präsident Barack Obama sprach bei seinem Besuch in Aurora bewusst nur über das Leid der Opfer. Er wolle den Angehörigen und den Verwundeten versichern, „dass obgleich der Verursacher dieser bösen Tat in den letzten Tagen viel Aufmerksamkeit erhalten hat, diese Aufmerksamkeit vergehen wird“, sagte der Präsident in einer Rede im Universitätskrankenhaus der Stadt. Woran man sich erinnern werde, „nachdem er die volle Wucht des Gesetzes zu spüren bekommen hat, sind die guten Menschen, die von der Tragödie erschüttert wurden“.

Doch mit Holmes’ Erscheinen vor Gericht rückte die Frage nach dem Warum wieder in den Vordergrund. Denn warum die zwölf Amerikaner, darunter auch die erst sechs Jahre alte Veronica, getötet worden sind, weiß bisher wohl niemand außer Holmes. Der jedoch schwieg auch am Montag bei seiner ersten Anhörung eisern. „He has lawyered up“, nennt das Auroras Polizeichef, Dan Oates. Holmes verschanze sich hinter seinen beiden Pflichtverteidigern, heißt das übersetzt. Die mussten ihn erstmal stützen, so schwach und benommen wirkte der junge Mann in Live-Bildern aus dem Gerichtssaal.

Bis zum Prozess könnte ein Jahr vergehen, sagte Staatsanwältin Carol Chambers, die auch eine Forderung der Todesstrafe für Holmes nicht ausschließt. Erst dann wird die Welt wohl erfahren, was den schüchternen Studenten der Neurowissenschaft zu der mutmaßlichen Tat bewogen haben könnte. Unvermittelt habe er sein Doktorandenstudium abgebrochen, heißt es. Er habe sich immer mehr in seiner Studentenbude isoliert.

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Die Staatsanwaltschaft hat nun eine Woche Zeit, die „riesige Menge“ an Beweisen zu prüfen, wie Chambers es ausdrückte. Dann muss die Behörde offiziell die Anklage einreichen. Schon jetzt kursieren viele Informationen in den Medien. Wenn sie stimmen, könnte Holmes das Massaker von langer Hand geplant haben. Das wäre dann so ein schwerer Fall, für den die Todesstrafe drohen könnte. Doch wenn die Bilder vom Montag tatsächlich den Zustand des Mannes widerspiegelten, dann könne die Verteidigung psychische Probleme des 24-Jährigen geltend machen, sagte ein Psychiater dem TV-Sender CNN.

Dazu passen Berichte von einem Schießstand, bei dem sich Holmes jüngst um eine Mitgliedschaft beworben haben soll. Der Besitzer Glenn Rotkovich erzählte CNN, zwei Nachrichten von Holmes auf dem Anrufbeantworter gehabt zu haben. Seine Stimme sei „kehlig, sonderbar, unheimlich“ gewesen. „Es hat mich so gestört, dass ich meinen Angestellten sagte, dieser Typ bekommt nichts, bis ich ihn persönlich treffe

(dpa/abendblatt.de)