Deutsche Mäster injizieren vermehrt Medikamente. Resistenzgefahr bei Menschen steigt

Hannover. Ihre Lebenszeit beträgt nur wenige Wochen, und diese kurze Zeit müssen Hähnchen in der Massentierhaltung zusammengepfercht zu Zehntausenden auch noch auf engstem Raum verbringen - um dann geschlachtet zu werden. Und da sich unter solchen Bedingungen Infektionen eines Tieres in Windeseile ausbreiten können, wird bei geringsten Anzeichen gleich der ganze Stall mitbehandelt. Zum Einsatz kommen meist Antibiotika, die auch Menschen gegen Bakterien schützen sollen.

Und genau hier beginnt das Problem. Zu starker Einsatz von Antibiotika kann bei Menschen dazu führen, dass sich Resistenzen bilden, also die Mittel im Falle einer Krankheit wirkungslos sind. Der Gebrauch von Antibiotika beim Mästen von Hähnchen ist in Niedersachsen, das mit 50 Millionen Tieren der größte deutsche Hähnchenproduzent ist, in den vergangenen zehn Jahren aber im Schnitt von 1,7 Behandlungen auf 2,3 Behandlungen je Tier gestiegen. Obwohl diese seit 2006 nicht mehr als Wachstumsförderer eingesetzt werden dürfen, hat der Verbrauch dennoch zugenommen.

Masthähnchen bekommen nicht selten zwei Drittel ihrer Lebenszeit Antibiotika

Genaue Zahlen, wie viele Medikamente insgesamt in Deutschland eingesetzt werden, gibt es nicht. Der ehemalige Leiter des Veterinäramtes in Cloppenburg, Hermann Focke, geht allerdings davon aus, dass die Antibiotika-Gaben bundesweit wesentlich höher sind. Er bezieht sich auf Informationen aus dem Ministerium, die in tierärztlichen Fachzeitschriften veröffentlicht wurden. "Deswegen können wir davon ausgehen, dass Masthähnchen nicht selten rund zwei Drittel ihrer Lebenszeit Antibiotika bekommen - sie leben ja nur 32 Tage", sagte Focke. Eine Behandlung mit Antibiotika dauert - wie in der Humanmedizin - mehrere Tage.

Ohne Einsatz von Medikamenten schafften es die Hühner in großen Ställen häufig nicht, bis zum Ende ihrer Mastzeit zu überleben, sagte die Leiterin der Abteilung Verbraucherschutz und Tiergesundheit im niedersächsischen Agrarministerium, Heidemarie Helmsmüller, gegenüber NDR Info.

Vor diesem Hintergrund stellte der Agrarexperte der Grünen-Landtagsfraktion, Christian Meyer, die von der Landesregierung behaupteten Fortschritte beim Tier- und Verbraucherschutz infrage. "Der offenbar unkontrolliert zunehmende Einsatz von Antibiotika und die damit einhergehende Gesundheitsgefährdung für die Konsumenten sind ein Skandal. Die Antibiotika lagern sich im Fleisch ab und können dazu führen, dass diese beim Menschen nicht mehr wirken", sagte Meyer.

Das Landwirtschaftsministerium wies den Vorwurf zurück. Der Einsatz von Antibiotika erfolge keinesfalls unkontrolliert, sondern finde im Rahmen ordnungsgemäßer Behandlungen durch Veterinäre statt, sagte eine Sprecherin. Zudem werde das produzierte Fleisch routinemäßig stichprobenartig auf für Verbraucher schädliche Rückstände überprüft.

Von 2012 an soll nach einer Bundesverordnung eine Datei erfassen, in welche Postleitzahlenregion wie viele Medikamente geliefert werden. Doch sieht die Verordnung eine Ausnahme für die Geflügelbranche vor. Hier wird nicht aufgeschlüsselt, wohin die Medikamente geliefert werden. Nach Angaben des Ministeriums sind datenschutzrechtliche Bedenken der Grund dafür.

Tierärzte vermuten, dass die Geflügel-Branche Druck auf die Politik ausübt

Mehrere Tierärzte bezweifelten gegenüber NDR Info diese Begründung. Dass es "ausgerechnet in der Geflügelbranche keine aufgeschlüsselten Daten geben soll", sei so nicht hinnehmbar, sagte der Veterinär Rupert Ebner. "Hier dürfte die Geflügelwirtschaft viel Druck auf die Politik ausgeübt haben."

In diesem Zusammenhang forderte die SPD-Fraktion in Hannover die Landesregierung auf, sich gegen Sonderrechte für die Geflügelwirtschaft auszusprechen, "die das Ausmaß des dortigen Einsatzes von Medikamenten verschleiern sollen".