Ein Polizeieinsatzleiter erinnert sich an die Kollision zweier Flugzeuge über dem Bodensee vor zehn Jahren. Alle 71 Insassen starben, darunter 49 Kinder.

Überlingen. Zehn Jahre nach dem Flugzeugunglück von Überlingen fällt es dem damaligen Einsatzleiter der Polizei, Hans-Peter Walser, immer noch schwer, die Gefühle von damals auszudrücken. «Es sprudelt nur so in meinem Kopf, wenn ich an den Abend denke, weil so unglaublich viele Gedanken gleichzeitig aus der Erinnerung zurückkehren», sagte der 68-Jährige. Die Kollision der russischen Passagiermaschine mit einem DHL-Frachtflugzeug über dem Bodensee, bei der alle 71 Insassen - darunter 49 Kinder – starben, bezeichnete Walser als das mit Abstand schlimmste Ereignis, das er in seiner rund 40-jährigen Dienstzeit erlebt hat.

Dennoch komme ihm auch immer wieder der unendlich große Teamgeist der Hunderten von Helfern in den Sinn, die sich bis an die Grenze der Belastbarkeit eingebracht hätten. Vor den Leistungen aller habe er hohen Respekt. «Ich bin auch dankbar, dass ich leitende Beamte um mich hatte. Ohne deren Kompetenz hätte ich es nicht geschafft.»

Als einer der ersten wird er am Abend des 1. Juli 2002 an die Absturzstelle gerufen. Die Einsatzleitung habe er schon vom Auto aus übernommen. «Ich weiß noch, dass jemand über Funk sagte: Es regnet Leichen vom Himmel», sagte Walser. An den Straßenrändern hätten bereits die ersten mit Tüchern bedeckten Opfer gelegen. «Ich habe versucht, den Fokus nur auf die Arbeit zu richten, dem Einsatz Struktur zu geben», erinnerte sich der pensionierte Beamte. Schließlich sei er verantwortlich gewesen, die Kräfte zu mobilisieren.

Schadenersatz nach Überlingen-Unglück

Brände hätten gelöscht werden müssen, Absperrmaßnahmen eingeleitet. Gleichzeitig wurde der Bodensee, der mehr als vier Millionen Menschen mit Trinkwasser versorgt, abgesucht. Und obwohl klar gewesen sei, dass bei dem Fall aus einer Höhe von knapp elf Kilometern niemand überleben kann, habe man die Hoffnung auf ein Wunder nicht aufgegeben. Noch in derselben Nacht seien auch Seelsorger der Polizei und der Kirche hinzu gerufen worden. «Ich habe immer gesagt: Wer an die Grenze stößt, soll sich sofort fachlichen Rat suchen.» Es habe auch jederzeit die Möglichkeit bestanden, sich von dem Einsatz abziehen zu lassen.

Er selbst sei in der ersten Nacht 22 Stunden auf den Beinen und «sehr nah dran gewesen». Wann er das erste Mal zur Ruhe gekommen sei und realisiert habe, was er in den Tagen des Sommers 2002 erlebt habe, könne er heute nicht mehr sagen.

«Der belastendste Tag war der, als die russischen Angehörigen der Opfer aus Baschkortostan zur Identifizierung kamen. Die unendliche Trauer war in ihren Gesichtern abzulesen.» Damals nahmen auch viele Eltern an einem der Wrackteile symbolisch Abschied von ihren toten Kindern. Während einige seiner alten Kollegen nach den Ereignissen über das Erlebte lieber schwiegen, um es zu verarbeiten, habe es ihm gut getan, darüber zu sprechen. «Ich habe in der Zeit danach mit Kollegen viele Vorträge im In- und Ausland über den Großeinsatz gehalten, um die Erfahrungen, aber auch Optimierungsmöglichkeiten weiterzugeben», sagte Walser.(dapd/abendblatt.de)