Der Sozialpädagoge Manfred Kappeler verweist auf den Missbrauch von Heimkindern in den 50er und 60er Jahre. Darüber rege sich kaum jemand auf.

Frankfurt a.M./Berlin. Die öffentliche Diskussion der Missbrauchsfälle an Kirchen- und Internatsschulen offenbart nach den Worten des Berliner Sozialpädagogen Manfred Kappeler eine Doppelbödigkeit der Gesellschaft. Wenn Kinder aus gut situierten Familien an teuren Eliteschulen betroffen seien, gebe es eine große Aufregung und Minister meldeten sich zu Wort, sagte der ehemalige Professor an der Technischen Hochschule Berlin in einem EPD-Gespräch.

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Dagegen sei eine entsprechende Aufregung im Fall der Heimkinder der 50er und 60er Jahre vollständig ausgeblieben, die zu Hunderttausenden viel massiverer Gewalt, Zwangsarbeit und Vergewaltigung schutzlos ausgeliefert gewesen seien. Die gegenwärtige Aufdeckung der Gewaltfälle an Internaten und Chören sei gut, betonte Kappeler. Jedoch sei es bitter, dass die Kinder und Jugendlichen, die damals durch Jugendämter in Heime eingewiesen worden seien, für ihr Leben stigmatisiert worden seien und niemand sich für ihre Traumatisierung interessiert habe.

Allein der Petitionsausschuss des Bundestags habe zweieinhalb Jahre lang gebraucht, bis er die Empfehlung zur Einrichtung eines Rundes Tisches zur Heimerziehung Ende 2008 ausgesprochen habe. Die damalige Bundesfamilienministerin Ursula von der Leyen (CDU) habe die vom Bundestag empfohlene Ausstattung in Höhe von 950.000 Euro auf 400.000 Euro gekürzt. Unter den 21 Mitgliedern des Runden Tisches habe die Ministerin die Vertreter der Heimträger und staatlichen Institutionen großzügig berücksichtigt, aber nur drei ehemalige Heimkinder zugelassen.

Die Opfer aus den Eliteschulen und den Heimen haben nach den Worten des Sozialpädagogen aus unterschiedlichen Motiven jahre- oder jahrzehntelang geschwiegen. Unter den ersteren herrsche ein Korpsgeist, durch den Opfer, die redeten, diskriminiert würden. Außerdem gefährdeten die ehemaligen Schüler und Mitglieder von Knabenchören ihr gesellschaftliches Ansehen, das sie auch diesen Institutionen verdankten. Die Heimkinder hingegen seien von vornherein als unglaubwürdig und Lügner bezeichnet worden.