Die Direktorin der Odenwaldschule, Margarita Kaufmann, geht inzwischen von 33 Betroffenen aus. Der Zeitraum reiche von 1966 bis 1991.

Heppenheim. Das Ausmaß des sexuellen Missbrauchs an der renommierten Odenwaldschule im südhessischen Heppenheim wird immer größer. „Wir wissen inzwischen von 33 Betroffenen“, sagte Direktorin Margarita Kaufmann am Donnerstag. Der Zeitraum reiche inzwischen von 1966 bis 1991. Bisher war das Elite-Internat von 24 Schülern in den 1970er und 80er Jahren ausgegangen. Inzwischen würden acht ehemalige Lehrer verdächtigt. Fast 40 Prozent der Missbrauchten seien Mädchen gewesen. Das Alter der Opfer reiche von 10 bis 19 Jahren.

Vertreter der Schüler und Eltern sicherten der Schulleitung ihre Unterstützung bei der Aufarbeitung zu. „Ich bin beschämt, was an unserer Schule jungen Menschen angetan wurde“, sagte die 54 Jahre alte Kaufmann. „Im Namen der Odenwaldschule bitte ich um Vergebung.“ Inzwischen gebe es ein Frühwarnsystem. Bei der Einstellung von Lehrern soll ein Verhaltens-Kodex eingeführt werden. Die Schulleiterin sagte, Informationen über Übergriffe seien meist nicht weiter verfolgt worden, dies gelte auch für die frühere Schulleitung. Sie sprach von „aktivem Täterschutz“.

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Der Geschäftsführer der Schule, Meta Salijevic, kündigte für den 27. März ein außerordentliches Treffen des Schul-Trägervereins an. „Dort muss eine Personaldebatte geführt werden.“ Dabei seien auch Rücktritte im Vorstand ein Thema. Der Stein war ins Rollen gekommen, als sich anlässlich des im April bevorstehenden 100. Geburtstags der Schule ehemalige Schüler an Kaufmann gewandt hatten. Am Montag hatte die Schule über erste Zahlen informiert. Zugleich war ein Brief an 900 frühere Schüler verschickt worden. Dieser ersten Runde soll eine zweite folgen, die auch die Jahre vor 1970 und nach 1980 abfragt.

Inzwischen ermittelt die Staatsanwaltschaft. Es sei nicht auszuschließen, dass es Übergriffe gegeben habe, die noch nicht verjährt sind. Kaufmann sagte, den Ermittlern seien die Namen der in Verdacht stehenden Lehrer übermittelt worden. Das hessische Kultusministerium befasst sich ebenfalls mit den Vorgängen.

Im Zentrum der Vorwürfe steht weiter ein früherer Schulleiter, der bis Mitte der 80er Jahre tätig war. In dessen Schlafzimmer stand laut Kaufmann ein Telefon, mit dem die Schüler ihre Eltern anrufen konnten. Kaufmann nannte sichtlich erschüttert das Beispiel eines heute 39-Jährigen, der als Junge „für seine Liebesdienste mit einem Kassetten-Rekorder und neuen Turnschuhen belohnt wurde“. Der Schulleiter galt als beliebt und fähig. Kaufmann zitierte aus einem Brief: „Er entsprach nicht dem Klischee eines Kinderschänders.“

In einem anderen Fall sei ein begabtes Mädchen von seinem Musiklehrer missbraucht worden. Er habe die ahnungslose Zehnjährige in seine Wohnung gelockt und das nackte Kind im Intimbereich gestreichelt. Die Übergriffe belasteten die Opfer bis auf den heutigen Tag. Eltern fragten nach dem „Warum?“, berichtete Kaufmann. „Uns erreicht eine Flut von Zuschriften und Anrufen, die wir kaum bewältigen können“, schilderte die Direktorin. „Es gibt mehr Zuspruch und Ermutigung als Kritik.“ Für die Feiern zum 100-jährigen Bestehen solle „ein würdiger Rahmen“ gefunden werden.“

Für die Eltern sagte Gabriele Vetter, es gebe „noch nicht einmal ansatzweise Anlass, der Odenwaldschule nicht unser Vertrauen auszusprechen. Wir müssen den Blick nach vorn richten, wegen der heutigen Schüler und der kommenden Generationen.“ Schüler-Vertreter Max Priebe äußerte sich ähnlich. „Wir müssen den Opfern gerecht werden. Aber ich mache am Freitag mein Abitur in Biologie.“