Sein früher Tod schockt die Branche. Der 40-Jährige wurde tot in seiner Wohnung entdeckt. Erst vor zehn Tagen war seine Mutter gestorben.

London/Berlin. Er war offenbar kein Unfall. Keine versehentliche Überdosis, wie man hätte vermuten können bei Alexander McQueen, einem Mann von überbordender Kreativität. Dass der weltberühmte Modeschöpfer Heroin konsumierte, war in der Szene kein Geheimnis. Manche würden wohl sagen, auch kein Wunder. Eine offizielle Stellungnahme gibt es nicht, die Polizei bestätigte lediglich den Tod ohne Fremdverschulden. In unterschiedlichen Quellen heißt es übereinstimmend, dass er sich erhängt habe.

Mittwochnacht wurde McQueen in seinem Londoner Haus gefunden, kürzlich erst hatte er das viktorianische Gebäude renovieren lassen. Noch während der Männerschauen in Mailand Mitte Januar hatte er dem britischen Journalisten Godfreey Deeny vorgeschwärmt vom neuen Heim, von all der Kunst erzählt, die er dafür zusammengetragen hat. Dass er sich darauf freue, mit seinem Hund durch den Hyde Park zu stromern, viel zu kochen, einen Weinkeller anzulegen. Erstaunlich bürgerliche Wünsche für einen der letzten Provokateure, den die Mode noch kannte. Doch das war er eben vor allem auf der Modebühne. In seinem persönlichen Auftreten war er bescheiden.

Als Sohn eines Londoner Taxifahrers hat er schon als Kind Kleider für seine Schwestern entworfen. Stets wollte er Designer werden, arbeitete zunächst bei den renommierten Schneidern der Savile Row, bei Anderson & Sheppard und Gieves & Hawkes. "Stichbitch" (Stichhexe) war sein Spitzname, weil er Zeit seiner Karriere auf außerordentlicher Näh-Perfektion bestand.

Wie Wolfgang Joop, der ihn kannte und verehrte, betont: "Seine waren immer die am besten sitzenden Jacken."

Für McQueen stand die Solidität im Handwerk nicht im Widerspruch zu der provozierenden Kreativität, die schon seine Abschlussarbeit am berühmten Londoner St. Martin`s College auszeichnete. Die einflussreiche britische Stilikone und Stylistin Isabella Blow war derart angetan von dieser Arbeit, dass sie gleich die ganze Kollektion kaufte und McQueen in die erste Liga katapultierte. Dort tobte er sich und sein Talent aus als "Enfant terrible", er ließ seine Models auf "Vergewaltigungsopfer" schminken, sie blutüberströmt auftreten oder schickte latexgekleidete Taxifahrerdarsteller auf die Bühne.

Seine Visionen schienen oft düster und provozierend, das Makabre weit jenseits des britischen Humors faszinierte ihn. Freaks und Monster auf der einen Seite, übermenschliche Perfektion auf der anderen Seite. In diesem Spannungsfeld entlud sich das unbestrittene Talent. Seine Abendkleider: atemberaubend. Viermal wurde er zwischen 1996 und 2003 zum Designer des Jahres in Großbritannien gewählt. Er war Chefdesigner bei Givency, eine der vielen Karrierebrücken, die Isabella Blow ihm gebaut hatte. Als sie sich mit 48 vor knapp drei Jahren das Leben nahm, erschütterte das McQueen zutiefst. Immer wieder verdunkelte Melancholie seine so faszinierend blauen Augen.

Er verließ 2001 im Streit Givenchy, verkaufte - wieder dank Isabella - ein Jahr später 51 Prozent seines eigenen Hauses an die Gucci-Gruppe. Hatte damit Luft und Druck zugleich für seine Arbeit. Wie Joop es formuliert: "Es ist der Gigantismus in dieser Branche, der einen umbringt. Es ist etwas anderes, sich im kleinen Atelier auszuleben oder der Verführung größer und größer zu sein erliegt. Wobei McQueen sich stets erfolgreich gegen das ganze Fashion-Getue gewehrt hat."

Vielmehr war er ein künstlerisches Vorbild. Es war McQueen, der Fußballstar David Beckham auf dem Cover des Männermodemagazins "Arena Hommes plus" ziemlich schwul inszenierte und damit die Bewegung der Metrosexualität auslöste.

Für seine letzte Prêt-à-porter Schau im Oktober in Paris ließ er für Frühjahr/Sommer 2010 in seinem "Atlantis" Wesen auf hufähnlichen Schuhen durch eisblaues Licht schreiten und hatte, weil er die Kontrolle über seine Fantasien behalten wollte, selbst Rundum-Kameras aufstellen lassen, um TV-Sender und Twitter & Co live mit "seinen" Bildern zu beliefern. Die Vision einer mutierenden Menschheit wurde von der Modewelt begeistert aufgenommen und wie so oft als stilbildende Maßnahme abgespeichert. Die "Armadillos", wie die von einer spitzentanzenden Ballerina inspirierten, superhohen schweren (und schwer tragbaren) Schuhe heißen, werden mit Sicherheit keine Unikate bleiben.

Doch bei aller Robustheit im Äußeren war Alexander McQueen ein Solitär. Die Gründe für den Freitod liegen im Vagen. Am 17. März wäre er 40 Jahre alt geworden, eine Liebesbeziehung war gerade zu Ende gegangen. Den Verlust von Freundin Isabella Blow konnte er kaum verwinden. Und dann starb vor zehn Tagen auch noch seine innig geliebte Mutter Joyce.