Sie sind als „Generation Porno“ verschrien: Für die heutigen Jugendlichen, heißt es häufig, gehörten auch harte Sexfilme aus dem Internet längst zum Alltag, schon Kinder spielten Pornos nach.

"Es ist ihnen wichtig, mit so vielen Partnern wie möglich geschlafen zu haben, um "in" zu sein", sagt etwa Bernd Siggelkow, der Gründer des Kinderhilfswerks "Arche" in Berlin. Da passt die Aussage der Forscherin Silja Matthiesen nicht recht ins Bild: "Eigentlich ist die Jugendsexualität in Deutschland in einem ziemlich guten Zustand." Sie glaube nicht, dass das Internet zu neuen, gravierenden Problemen bei der Sexualität der Mädchen und Jungen führe.

Unter dem Titel "Lernen Kinder noch, was Liebe ist? Sexualisierung der Gesellschaft durch die Medien" debattierten Siggelkow und Matthiesen am Donnerstagabend bei einer Podiumsdiskussion des Verlags Gruner + Jahr und der Bürgerstiftung Hamburg. Mit dem Buch "Deutschlands sexuelle Tragödie" hat Siggelkow im vergangenen Jahr für Aufsehen gesorgt - darin warnt er vor einer frühreifen Jugend, die sexuell verwahrlose und nicht mehr zu Partnerschaften fähig sei. Der Pfarrer kann mit drastischen Beispielen aus seiner Arbeit aufwarten: Mit der Mutter etwa, die gemeinsam mit ihrem fünfjährigen Kind Pornos guckt. Oder mit 15-Jährigen, die bereits 50 oder 60 Sexpartner hatten. "Sie haben alles erlebt, was man erleben kann."

Wissenschaftliche Studien, betont dagegen Matthiesen, zeichneten ein anderes Bild als diese Einzelfälle. So sei es ein Mythos, dass Jugendliche immer früher Sex hätten: "Das Alter ist seit zehn Jahren recht stabil." Auch Misstrauen bei der Verhütung sei in der Regel nicht angebracht, etwa 95 Prozent schützten sich mit Pille und Kondom vor einer Schwangerschaft. "Damit verhüten Jugendliche nicht schlechter als Erwachsene", sagt die Mitarbeiterin des Instituts für Sexualforschung am Universitätskrankenhaus Hamburg-Eppendorf (UKE). Die Zahl der Jugendschwangerschaften gehe seit 2000 zurück.

Die leicht zugängliche Pornografie im Internet führt nach Siggelkows Ansicht aber dazu, dass für Jugendliche Sex oft "nicht mehr mit Liebe verbunden ist, sondern mit Leistungsdruck". Matthiesen wiederum ist davon überzeugt, dass sie Pornos und "wirklichen Sex" nicht verwechseln: "Ich glaube, dass sie schnell realisieren, dass Porno ein Genre ist - wie Actionfilm." Auf die Frage allerdings, welche Auswirkungen Pornokonsum auf die Sexualität von Jugendlichen habe, gebe es bisher keine Antwort: "Wir wissen es nicht."

Eine Untersuchung in Skandinavien habe gezeigt, dass es gerade bei sogenannten Hochkonsumenten heftige Folgen gebe, berichtet der Hamburger Psychiater Andreas Hill. "Das ist nicht nur ein Problem der Unterschichten." So hätten 27 Prozent der "Hochkonsumenten" selbst Kinder sexuell missbraucht. "Diese Daten haben mich erschrocken." Rund sieben Prozent der Jungen schauten sich täglich Pornos an, etwa 20 Prozent mehrmals pro Woche; bei Mädchen liege der Anteil bei weniger als einem Prozent. Gerade die Art der Pornografie - handelt es sich etwa um Gewaltpornos? - habe eine große Bedeutung.

Und die Pornografie verändere sich, sagt Moderator und "stern"- Autor Walter Wüllenweber. "Was vor 20, 25 Jahren der große Renner war, lockt heute keinen mehr hinter dem Ofen hervor." Die "Bestseller" der Pornografie seien inzwischen dominiert von Gewalt beim Sex. Nur die deutschen Gesetze zur Pornografie seien streng, räumt Otto Vollmers als Vertreter der Internet-Anbieter ein. "Das Internet als internationales, dezentrales Phänomen entzieht sich der effektiven Durchsetzung dieser Gesetze", sagt der Referent des Vereins "Freiwillige Selbstkontrolle Multimedia-Diensteanbieter".

Da es im weltweiten Netz keine praktikable Zensur gebe, sagt Hill, könnten sich Eltern etwa die Frage angewöhnen: "Was hast du heute im Internet erlebt?" - und nicht nur: "Wie war's heute in der Schule?" Eltern redeten mit ihren Kindern immer weniger über Sex, kritisiert Siggelkow. "Und in der Schule haben wir einen Sexualkundeunterricht wie vor 25 Jahren - obwohl wir es inzwischen mit den Inhalten von Porno-Rappern zu tun haben." Doch trotz aller Sexualisierung: "Alle wünschen sich einen Partner fürs Leben", betont der Pfarrer, "mit dem sie einen Hund, ein Haus und ein Auto haben."