Juliane Caspar schaut jetzt auch in Europas Töpfe. Wie sie aussieht, weiß nur ihr engster Mitarbeiterstab.

Paris. Es gleicht einer Revolution. Eine Deutsche erobert Frankreichs kulinarische Welt. Die 38 Jahre alte Juliane Caspar wird Chefin der französischen Ausgabe des hoch ehrwürdigen und einflussreichsten Gastronomieführers Guide Michelin. Sie entscheidet in Zukunft darüber, wer in Frankreichs Kochwelt Spitzenklasse hat und mit den begehrten Sternen, dem "Oscar der Köche", belohnt wird. Caspar ist die erste Frau und die erste Ausländerin in der Funktion.

Die Deutsche ist eine Frau ohne Gesicht, so etwas wie eine Geheimagentin der Kochwelt. Die gebürtige Bochumerin lässt sich nur von hinten und verborgen unter langen schwarzen Haaren fotografieren. Das hat seine Gründe: "Wenn in der Presse überall Fotos von mir erscheinen würden, könnte ich meinen Job nicht mehr machen." Die Kritiker der dezenten roten Gourmet-Bibel wollen anonym bleiben.

Einsatzort und Zeitpunkt sind geheim. Wie es ihnen gefallen hat, kann man nachher im Guide nachlesen. Für Köche ist der Michelin-Führer, den es schon seit 1900 als französische und seit 1964 als deutsche Ausgabe gibt, eines der wichtigsten Urteile überhaupt. Es bedeutet für sie Triumph, Blamage oder sogar Ruin. Umso erstaunlicher ist es, dass ausgerechnet eine Ausländerin im Küchenland Frankreich als Nachfolgerin von Jean-François Mesplède ausgewählt wurde, der in Rente geht. Ganz diskret antwortet Caspar auf diese Frage. Bescheiden spricht sie von einem "tollen" neuen Job und betont, in Frankreich werde man ebenso gut im Team arbeiten, wie das in Deutschland üblich ist.

Sie hat hohe Ansprüche an ihren Job: "Ein Michelin-Kritiker muss immer objektiv bleiben und seine Noten nach einem strengen Bewertungskatalog verteilen." Wichtig ist es ihr, nach internationalen Standards zu urteilen, etwa nach Güte der Produkte, Kreativität und Beständigkeit. Nicht allein die französische Küche ist mehr das absolute Maß. Der größte Fehler wäre für sie, "sentimental zu werden". Man dürfe auf keinen Fall nach persönlichem Geschmack urteilen. Deshalb erzählt sie auch nichts über ihre Vorlieben oder Abneigungen: "Mir kommt zugute, dass ich ein typischer Allesesser bin." Doch wie schafft man es also, an diesen begehrten Job zu kommen, bei dem man in den besten Restaurants der Welt ein- und ausgeht? Caspar ist beim Guide keine Anfängerin. Erst war sie ab 2002 Inspektorin, dann leitete sie ab 2005 die Ausgaben für Deutschland, Österreich und die Schweiz. "Ich habe eine Ausbildung als Hotelfachfrau gemacht und in Deutschland, England und Südafrika gearbeitet, unter anderem als Restaurantleiterin", erzählte sie. Gleich im ersten Jahr nahm sie fünf Kilo zu, seitdem hält Caspar sich durch Joggen zwischen den Mahlzeiten fit.

Eine Kochausbildung hat sie allerdings nicht. Aufmerksamkeit ist für sie dagegen extrem wichtig. Man muss sich beim Essen konzentrieren - ähnlich wie beim Leistungssport. "Sie ist ausgesprochen kompetent, hat als Inspektorin gearbeitet und als Chefin. Sie spricht vier Sprachen und kennt die wichtigsten Küchen der Welt. Sie hat außerdem den Guide für Österreich ins Leben gerufen", sagte Guide-Michelin-Sprecherin Marie-Benedicte Chevet dem Abendblatt. Sie hat auch eine Erklärung dafür, warum eine Ausländerin ausgewählt wurde und dazu noch eine Frau in der Männerdomäne. "Der Michelin wird immer internationaler, weniger ausschließlich von der französischen Küche abhängig. Und die einstige Männerwelt wird immer femininer, es gibt mehr Köchinnen." Juliane Caspar selbst glaubt auch nicht an einen typisch weiblichen Stil. Sie hat sich für ihren neuen Job nicht als Frau, sondern durch ihre Führung in Deutschland empfohlen.