Zwei Wochen Dienst, vier Wochen Heimaturlaub im Wechsel. Und der Chefkoch kommt aus dem Sauerland. Eine Reportage von “Bord“ der Sleipner A.

Stavanger. Das Meer liegt weit unten, als der Hubschrauber aufsetzt. Plötzlich, wie aus dem Nichts, erscheint ein filigraner Metallturm neben dem Fenster. Der nicht alltägliche Landeplatz liegt in rund 100 Meter Höhe. Er gehört zur Gas-Plattform Sleipner A, gut 150 Kilometer vor der norwegischen Küste. Die Fabrik aus Stahl ruht auf vier mächtigen Betonstelzen 40 Meter über der wogenden Nordsee. Ein Koloss mit Wohnunterkünften, Büros, Rohren und Kesseln und - im Herzen - einem Bohrturm.

"Gefährlich? Ob der Job gefährlich ist? Nein, nein!", lacht Nülo Erdal (46). Der braun gebrannte Norweger leitet die aktuelle Bohrung. 2700 Meter frisst sich der Bohrkern in die Tiefe des Meeresbodens. Dann geht es horizontal weiter. Strahlenförmig wird der Boden nach Gas durchbohrt. Manchmal sind es 7000, manchmal über 9000 Meter. Drei bis vier Monate dauert es, bis aus dem Bohrloch Gas strömt, berichtet der Mann, der seit 1996 "offshore" - also vor der Küste - arbeitet. Die aktuelle Bohrung soll im Oktober fertig sein.

"Der Job ist jeden Tag eine neue Herausforderung", schwärmt der Ingenieur zwischen alten und neuen Bohrkernen, Bohrgestänge, Containern und Pipeline-Segmenten. Wenn man nicht gerade den Blick durch das offene Geländer schweifen lässt, könnte man glatt vergessen, dass man sich auf einer künstlichen Insel im Meer befindet: kein Schwanken oder Vibrieren.

Plattform-Chef Helge Stokke schärft jedoch die Sinne der Besucher. "Erdgas ist geruchlos und kann vom Menschen nicht wahrgenommen werden", mahnt er. Man darf zwar fotografieren, aber Blitzlicht ist streng verboten; es könnte eventuell ausströmendes Gas entzünden. In der Nähe der Gasaufbereitungsanlage ist Fotografieren ganz verboten. Die Mitarbeiter tragen Gasmessgeräte am Arbeitsanzug, um die unsichtbare Gefahr bemerken zu können. Damit die Messgeräte nicht beeinträchtigt werden, dürfen Handys nicht mit auf die Plattform. Spätestens am Hubschrauber-Terminal an Land werden sie eingezogen und bis zur Rückkehr aufbewahrt.

Bis zu 240 Leute arbeiten auf der Bohrinsel, die mit mehr als 8000 Quadratmeter Grundfläche fast halb so groß ist wie das Innere des Berliner Olympiastadions. Die meisten Beschäftigten kommen aus Norwegen, aber auch Schweden und Dänen sind dabei. Geschäftssprache ist Englisch. Etwa zehn Prozent der Besatzung sind Frauen, berichtet Stokke. Probleme hätten sie nicht. "Sie fühlen sich wohl", sagt der Manager. Immerhin sechs der Frauen arbeiten in der Männerdomäne Produktion. Dazu gehört die 30-jährige Jane Kristin Berge. Sie überwacht Prozesse bei der Gasaufbereitung.

Wie viele ihrer Kollegen sitzt sie am Computer in einem der vielen Büros mit Blick aufs Meer. Ganz ohne Fenster ist allerdings die Schaltzentrale. Dutzende Monitore zeigen Daten über Fördermengen, Zusammensetzung und Weiterleitung des Gases. Eine große Obstschale und leere Schuhkartons für Gesundheitssandalen lassen erkennen, dass für das Wohl der Beschäftigten gesorgt wird. Sie arbeiten in 12-Stunden-Schichten, zwei Wochen am Stück. Dann folgen vier Wochen Freizeit an Land.

"Der Rhythmus ist gut für die Familie." Küchenchef Ulrich Brunst (43) nickt eifrig. Er stammt aus Neheim-Hüsten im Sauerland und ist seit 19 Jahren auf Reisen. "Ich hatte Lust, die Welt zu sehen", sagt er. "London, Oslo, Stavanger, Stockholm, Karibik, sieben Jahre Fähre, verschiedene Hotels und kleinere Bohrinseln" gehören zu seinem Lebenslauf.

Seit zwei Jahren ist er auf Sleipner, und so schnell will er hier nicht wieder weg. Die Familie wohnt in der Nähe von Stavanger, etwa eine Hubschrauberstunde entfernt. Dass es gesunde Küche gibt, versteht sich von selbst, sagt Brunst. Und manchmal kocht er auch etwas Sauerländisches.

Überhaupt kann das Büfett an Bord mit jedem guten Hotel mithalten. Fisch in allen Variationen, italienische Vorspeisen, Obst und Desserts in vielen Geschmacksrichtungen sollen Leib und Seele zusammenhalten und auch an stürmischen Tagen keine Trübsal aufkommen lassen. Wem das üppige Angebot nicht ausreicht, kann in einem kleinen Kiosk das eine oder andere zum Naschen kaufen.

In den Unterkünften geht es spartanisch zu. Die Zimmer sind eher winzig. Es gibt Einzelzimmer mit Bett und Sanitärecke, aber auch Zweibettzimmer. "Dann kann einer schlafen, wenn der andere Schicht hat", sagt Plattformchef Stokke. Fernseher, Sportgeräte und ein Kino sorgen für Abwechslung zwischen den Schichten.

Während die Besatzung der Bohrinsel meist mit dem Hubschrauber eingeflogen wird, kommen Lebensmittel und Material per Schiff. Auf der Rückfahrt nehmen die Schiffe verbrauchte Materialien und Abfall mit, der streng getrennt wird. Stokke zeigt auf vier aneinandergereihte Müllbehälter auf einem Zwischendeck. Nur mit den Toiletten, das laufe "über das Meer".

Die schlimmsten Tage sind im Sommer, "wenn der Nebel die Plattform einhüllt. Dann können keine Hubschrauber landen", erzählt Stokke. Die Starts und Landungen dicht neben Kränen und Fördertürmen sind Feinarbeit, bei Sturm und Nebel zu gefährlich. Dann übernehmen Schiffe komplett die Versorgung.

Ein Schiff ist ohnehin immer dicht neben der Plattform. Es soll im Notfall schnell die Crew der Bohrinsel evakuieren. Eine Konsequenz aus dem schwersten Unglück in der fast 40-jährigen Geschichte der norwegischen Gasförderung. Am 27. März 1980 brach an der Plattform Alexander L. Kielland eine Stütze zusammen. Die ganze Konstruktion kippte um. 123 Männer verloren ihr Leben, weil kein Schiff in der Nähe war und im Sturm kein Hubschrauber helfen konnte. 89 Besatzungsmitglieder wurden gerettet.

Sleipner A hatte Glück im Unglück. Die vier tragenden Betonstelzen der Plattform brachen 1991 zusammen, bevor der Koloss von der Werft zu seinem Arbeitsort auf See gezogen werden konnte. "Eines Morgens war sie einfach weg", erinnert sich ein Bohringenieur, der heute für die Verbundnetz Gas AG in Stavanger arbeitet. Verletzt wurde niemand. Die Plattform wurde gehoben und bekam vier neue "Beine". Passend zu dieser Geschichte hat sie den Namen des achtbeinigen Pferdes des nordischen Gottes Odin erhalten. Acht Schiffe bugsierten die schwimmende Fabrik schließlich an ihren heutigen Standort, wo sie im Meeresboden verankert wurde und bis zur Wasseroberfläche 80 Meter in der Nordsee steht.

Seit 1993 wird auf Sleipner A Gas gefördert. Etwa 22,5 Millionen Kubikmeter gereinigtes Gas kommen täglich aus den derzeit 19 Quellen rund um die Plattform.

Das Besondere an Sleipner ist, dass sie die erste Plattform ist, die den Klimakiller Kohlendioxid nach seiner Trennung vom reinen Erdgas zumindest in überschaubaren Teilen wieder zurück in leere, ausgebeutete Speicher unter dem Meeresboden pumpt. Bis zum Jahr 2010 soll nach Angaben des Betreibers Statoil mittels eines dann üblichen Verfahrens ein Drittel der CO2-Emissionen wieder in die Erde zurückgeleitet werden. Derzeit ist das Verfahren wegen der hohen Kosten bei vielen Produzenten umstritten.