Drei Jahre wurde verhandelt, 400 Zeugen wurden gehört - doch Pascals Schicksal konnte nicht aufgeklärt werden.

Saarbrücken. Ihre Freisprüche nehmen die Angeklagten mit breitem Grinsen zur Kenntnis. Die Hauptangeklagte Christa W. (54), die den Gästen ihrer Tosa-Klause in Saarbrücken für 20 Mark Kinder zum Sex angeboten haben soll, lehnt sich bei der Urteilsverkündung entspannt zurück und lächelt in den Saal.

Martin R. (45), der Pascal nach Überzeugung der Staatsanwaltschaft brutal vergewaltigt haben soll, reckt kurz den Arm zum Siegeszeichen in Richtung der Besucherreihen des Saarbrücker Landgerichts. Der Staatsanwalt hatte für fünf Angeklagte lebenslänglich, für fast alle anderen lange Haftstrafen gefordert.

Die Stimmung im Gerichtssaal 38 ist gedrückt. Richter Ulrich Chudoba betont in seiner mehr als drei Stunden dauernden Urteilsbegründung immer wieder, dass in manchen Punkten mehr für die Schuld der Angeklagten spreche als dagegen. "Höchstwahrscheinlich haben die drei Hauptangeklagten die Tat begangen. Aber auf bloßen Verdacht hin darf niemand verurteilt werden. Daher gilt: Im Zweifel für die Angeklagten."

Der Verteidiger von Christa W. bezeichnete das Urteil gar als "Freispruch dritter Klasse". Immerhin wurde seine Mandantin wegen eines mitverhandelten Drogendelikts zu einem Jahr Haft auf Bewährung verurteilt. Sie hatte für ihren Sohn Drogen ins Gefängnis geschmuggelt.

Der Richter wiederholt noch einmal, welche unfassbaren Grausamkeiten sich am 30. September 2001 im Hinterzimmer der Tosa-Klause abgespielt haben sollen. Selbst nach vielfachem Hören verliert das Geschilderte nichts von seinem Schrecken: Es begann damit, dass Sigmund D. dem fünfjährigen Pascal einen Lutscher versprach und so in die Bier-Kneipe lockte.

Dann soll der Junge brutal in die Kammer gezerrt worden sein und nacheinander von vier Männern - Hans-Josef W., Josef Michael C., Dieter S. und Martin R. - auf brutalste Weise vergewaltigt worden sein. Der Junge blutete und schrie, da soll Andrea M. ihm ein Kissen aufs Gesicht gedrückt haben, bis er tot war. "Es erscheint dem Gericht durchaus als möglich, dass es sich im Wesentlichen so abgespielt hat", sagt Richter Chudoba.

Erika K. und auch Andrea M. hatten es so zumindest vor der Polizei ausgesagt. Doch im Laufe des drei Jahre dauernden Prozesses zogen sie, genau wie drei andere Angeklagte, ihre Geständnisse wieder zurück. Der Richter: "Ihre Schilderungen waren so komplex und unbeschreiblich, dass sie nicht der Fantasie entsprungen sein können."

Eine Vertreterin der Nebenkläger sagte erschüttert: "Das ist unglaublich. Wie sollen wir den Kinderschutz organisieren, wenn so etwas nicht mehr ausreicht?"

Mit versteinertem Gesicht verfolgt Staatsanwalt Josef Pattar die Urteilsbegründung. Nach dem Verschwinden von Pascal hatte er in jahrelangen Ermittlungen die Aussagen und Indizien zusammengetragen, war bis zum Ende der Hauptverhandlung von der Schuld der Angeklagten felsenfest überzeugt - bis auf den Fall eines wegen Beihilfe beschuldigten 39-Jährigen, für den auch er Freispruch forderte.

Den Beschluss des Gerichts im Sommer 2006 alle Angeklagten wegen Zweifeln am Mordvorwurf aus der Untersuchungshaft zu entlassen, hatte Pattar als "Vor-Urteil" bezeichnet.

Das Problem der Anklage: Nach 148 Tagen Verhandlungsmarathon und mehr als 400 Zeugenvernehmungen gab es keinerlei Beweise für den Tod oder den Missbrauch Pascals. Verteidiger Walter Teusch (58): "Es wurden keine DNA- oder Spermaspuren gefunden." Das Einzige waren die Geständnisse. "Und die", so Teusch, seien unter "seelischer Folter" zustande gekommen und damit "keinen Pfifferling wert".

Da Pascals Leiche nie gefunden wurde, ist nicht einmal sicher, ob der Junge überhaupt tot ist. Seine Eltern sind über den Prozess gestorben: die Mutter (46) im Juni 2005 an einer Hirnblutung, sein Vater (50) erlag kurze Zeit später einem Herzinfarkt nach einer Schlägerei.

Unmittelbar nach dem Urteil kündigte Staatsanwalt Josef Pattar Revision an. Jetzt hat der Bundesgerichtshof das Wort.