Margot Käßmann hat ihr Leben neu geordnet - und macht Frauen Mut, mit der Diagnose offensiv umzugehen. Mut, den auch die Hamburgerin Nadja Galwas hat.

Hannover. Sie sieht gut aus in ihrem schokoladenbraunen Hosenanzug, den eleganten Stiefeletten, der Halskette mit dem verfremdeten Kreuz. Und als Margot Käßmann (48) über ihren Gottesdienst am heutigen Reformationstag spricht, ist die Leidenschaft der Hannoverschen Landesbischöfin für ihre Kirche zu spüren. Und doch: Die Augen sind ernster, manchmal - so scheint es - wandert der Blick nach innen, tastet die Seele ab. "Wir Christen sagen immer, dass nicht allein Leistungsfähigkeit zählt, sondern die Gnade. Aber wir müssen uns fragen, ob wir auch danach leben", sagt die Kirchenfrau. Früher hat sie schneller gesprochen, unangefochtener von Zweifel. Früher, das war vor jenem Termin vor acht Wochen, als bei ihr völlig unerwartet Brustkrebs diagnostiziert wurde. "Ich gucke jetzt genauer, ob auch für mich stimmt, was ich sage."

Es ist ihr erster offizieller Arbeitstag. Zwei Monate Auszeit hatte Margot Käßmann sich verordnet, fast auf den Tag genau hat sie das eingehalten. "Der Reformationstag war mein Ziel." Luther, sagt sie, liege ihr am Herzen. Und dass sie sich stark genug fühle. "Ich habe mein Gottvertrauen und mein fröhliches Herz nicht verloren." Und sie will anderen Frauen Mut machen, offen mit ihrer Krankheit umzugehen. "Wer regelmäßig zur Vorsorge geht, hat gute Chancen, bei einer Früherkennung vollständig zu genesen."

Ende August hatte die Theologin, die seit 1999 an der Spitze der Hannoverschen Landeskirche mit mehr als drei Millionen Mitgliedern steht, bei einer Routineuntersuchung die Diagnose bekommen: Brustkrebs. "Besonders schwer war, es meinen Töchtern zu sagen." Sie seien sehr erschrocken gewesen. "Ich bin doch die Mutter, die immer alles macht." Und für sie selbst? "Brustkrebs ist nicht gleich ein Todesurteil. Man muss nicht in Panik verfallen." Das erste Wochenende habe sie dann damit verbracht, zu telefonieren. "Es ging ja auch darum, wer mich jetzt vertritt." Schon wenige Tage später wurde sie in der Hannoveraner Henrietten-Stiftung operiert. Als sie habe begreifen müssen, dass die Sache nicht in zwei Tagen erledigt sein würde, habe sie schon geschluckt.

"Ich bin ein Ungeduldsbolzen", sagt sie, die als Powerfrau schlechthin gilt. Tatsächlich ist die Bilanz beeindruckend: Theologiestudium, Pastorin, Generalsekretärin des Evangelischen Kirchentags, jüngste Bischöfin Deutschlands, dazu - was bei ihr durchaus gleichberechtigt wirkt - eine harmonische Ehe mit einem Mann zu Hause und vier Töchter im Alter zwischen 15 und 25 Jahren. Das erfordert viel Organisation und Selbstdisziplin. "Da konnte ich nicht plötzlich von hundert auf null", sagt Margot Käßmann. "Ich habe ein Stück Geduld mit mir selber lernen müssen."

Eine Erfahrung, die sie wichtig nennt. Genau wie das Gespür für die "Situation von extremer Fremdbestimmung im Krankenhaus". Gewebeproben, Spritzen, Diagnosen, "wann hatte ich schon das Gefühl, so ausgeliefert zu sein", beschreibt sie ihre Tage im Krankenhaus trotz der professionellen Pflege. Ihren Mut hat sie nicht verloren. "Ich habe mich immer sehr gehalten gefühlt", sagt sie über ihren Glauben. "Das kann keiner vorher sagen, ob das in schweren Zeiten trägt."

Auch die vielen Genesungswünsche und Briefe der Ermutigung hätten sie sehr gestärkt. "Manchmal habe ich gedacht, dass Gott hoffentlich nicht ungehalten wird, wenn so viel für mich gebetet wird, obwohl es vielen anderen auf der Welt wesentlich schlechter geht."

Über sich selbst sagt sie: "Mir geht es gut." Glücklicherweise sei der Brustkrebs so früh erkannt worden, dass eine Chemotherapie nicht nötig sei. Allerdings muss sie jeden Mittag um 12 Uhr ins Krankenhaus zur lokalen Bestrahlung. Danach beginnt eine Hormontherapie. "Erst in fünf Jahren kann man sagen, ob ich geheilt bin."

Hat sie Angst? "Natürlich wird jeder Mensch nachdenklich, wenn er eine so schwere Krankheit hat. Auch ich musste die Wahrheit an mich ranlassen, dass jeder sterben wird." Margot Käßmann hat einen Weg gefunden, damit umzugehen. Sie habe ein lange geplantes Buch über die Passionsgeschichte, die Stationen von Jesus Sterben, geschrieben, erzählt sie. Und sie ist an die Ostsee gefahren, eine Woche auf die Insel Poel - ganz allein. "Ich habe gelernt, mich selbst auszubremsen", sagt die Frau, die manchmal den Eindruck macht, sich selbst zu überholen mit all den Terminen und Verpflichtungen in der Kirche, in der Öffentlichkeit und nicht zuletzt in den Medien. Spazieren gehen, viel lesen, kein Handy. "Das hat meiner Seele gut getan, danach war ich viel ruhiger."

Dass sie ihre Krankheit nicht zum Tabu machen, sondern offen damit umgehen wollte - vielleicht in ihrer Rolle auch musste - , sei für sie "von Anfang an klar gewesen".

Ähnlich wie die Pop-Idole Anastacia (33) und Kylie Minogue (38) oder, wenn auch im Nachhinein, die frühere schleswig-holsteinische Ministerpräsidentin Heide Simonis (63) hat Margot Käßmann über die Brustkrebs-Diagnose gesprochen. "Das Reden war für mich eine große Entlastung. Krankheit ist keine Strafe Gottes." Dennoch sei sie überrascht gewesen, welch heftige Reaktionen allein der Begriff Krebs hervorrufe. Manche ebenfalls betroffene Frau habe ihr geschrieben, dass sie sich ausgegrenzt und stigmatisiert fühle. "Ich möchte andere ermutigen, lasst uns darüber reden." Schwierig sei es allerdings, mit permanenter Betroffenheit umzugehen. "Ich will nicht nur auf die Krankheit reduziert werden. Ich bin noch ganz viel anderes." Ein bisschen ist es wie ein Neustart ins Leben, was Margot Käßmann gerade macht. "Ich habe gemerkt, wie glücklich ich bin", sagt sie - und dass sie nicht alles ändern will in ihrem Leben. Nur ein bisschen. "Öfter mal Nein sagen", ist einer der Vorsätze für die nächste Zeit. "Ich bin nicht unverwundbar, aber auch nicht unersetzbar", sagt die Bischöfin nachdenklich. Angst, dass ihr offener Umgang mit der Krankheit ihr schaden könnte, hat sie nicht. "Was sind wir für eine Gesellschaft, wenn Krankheit ein Zeichen für Schwäche ist?", fragt Margot Käßmann. "Ich fühle mich voll leistungsfähig."