Polizei vermutet: Birgit A. hat erst ihren Sohn und dann sich selbst umgebracht.

Gießen. Das Schicksal von Marvin (6) bewegt Deutschland. Zwei Tage lang hatten 200 Polizisten nach dem vermissten Jungen aus Hessen gesucht. Jetzt haben sich die schlimmsten Befürchtungen bestätigt: Der Sohn von Birgit A. (41), die vermutlich in Selbstmordabsicht bei einem Autounfall ums Leben kam, ist tot.

Polizeitaucher bargen seine Leiche aus dem Gederner See, der nur 15 Kilometer vom Wohnort der Familie in Schotten-Sichenhausen (280 Einwohner) entfernt liegt. Schon Stunden zuvor hatte eine Spaziergängerin eine blau-grüne Kuscheldecke am Ufer entdeckt, die aus dem Haus der Familie stammt. Marvin wurde offenbar Opfer einer Familientragödie.

Die Ehe seiner Eltern soll zerrüttet gewesen sein. Seine Mutter, eine Altenpflegerin, hatte Abschiedsbriefe hinterlassen. Sie deuten darauf hin, dass Birgit A. sich umbringen wollte. Möglicherweise, so die Polizei, tötete sie erst ihren kleinen Sohn und raste dann mit ihrem Auto in den Tod.

Birgit A. war am Dienstagmorgen unbemerkt von ihrem Ehemann und der 15 Jahre alten Tochter weggefahren. Bei hohem Tempo war ihr Auto aus einer Kurve der abschüssigen Landstraße von Herchenhain in Richtung Schotten-Sichenhausen geflogen. Der Wagen überschlug sich und kam auf einem Feld zum Stehen. Birgit A. wurde aus dem Wrack herausgeschleudert und starb noch am Unfallort (wir berichteten). Von ihrem Sohn fehlte zunächst jede Spur - bis gestern.

30 Taucher waren im Einsatz. Sie fanden Marvin schließlich am Mittag in der Nähe eines Steges im schlammigen Wasser. Das 800 Quadratmeter große Gewässer ist nur etwa vier Meter tief. Den ganzen Tag über beobachteten viele Schaulustige an den Ufern die Suche nach dem Kind. Am See und im Heimatdorf der Familie sind sich die Menschen einig: Birgit A. und ihr Sohn Marvin waren bekannt und beliebt in dem kleinen Ort. Ein Nachbar: "Das ist einfach schrecklich."

Zunächst hatte die Polizei nicht ausgeschlossen, dass Marvin mit im Auto saß und nach dem Unfall hilflos im Wald umherirrte. Die Ermittler erhoffen sich von der Obduktion der beiden Leichen Klarheit über die Todesursachen von Mutter und Kind. Die Ergebnisse will die Staatsanwaltschaft Gießen heute bekannt geben. Ein Polizeisprecher über die Hintergründe: "Wir ermitteln in alle Richtungen." Ein Fremdverschulden an dem Tod der Mutter gilt aber als äußerst unwahrscheinlich. Der Ehemann und die Tochter werden von Psychologen betreut. Wenn alle Spuren ausgewertet sind, wird der Fall wohl zu den Akten gelegt. Juristen und Polizeipsychologen sprechen von "erweitertem Selbstmord": Dabei nimmt ein verzweifelter Täter einen oder mehrere ihm nahe stehende Menschen mit in den Tod. Besonders häufig ist das Töten der eigenen Familie. Oft sind es wirtschaftliche Schwierigkeiten, die vor allem Männer zu so einer Verzweiflungstat treiben, weil sie glauben, dass ihre Familie mit den Problemen allein nicht fertig werde.