Am 26. April 1986 führen Bedienungsfehler im Kernkraftwerk von Tschernobyl, rund 12 Kilometer außerhalb der Stadt gelegen, zu einer beispiellosen Katastrophe: Eine gewaltige Explosion sprengt den tausend Tonnen schweren Betondeckel von Block 4 ab, der Reaktorkern fängt Feuer, und riesige Mengen radioaktiver Teilchen fliegen kilometerhoch in die Atmosphäre. Eine tödliche Wolke zieht mit dem Wind 500 Kilometer weit nach Norden. Ihr Niederschlag vergiftet 200 000 Quadratkilometer auch in Rußland und Weißrußland, der nukleare Fallout ist bis England zu messen.

36 Stunden nach dem Gau läuft die Evakuierung an, 350 000 Menschen verlieren die Heimat. Die Zahl der Toten schätzen Uno-Experten heute auf 4000, davon 50 Techniker und Feuerwehrleute. Sieben Millionen Menschen erhalten als anerkannte Tschernobyl-Opfer Entschädigungen und besondere ärztliche Betreuung. Einige führen heute Touristen aus USA, England oder der Schweiz in die Todeszone. Der Tagesausflug kostet 250 Euro, mit Mittagessen und Besuch einer Aussichtsplattform mit Blick auf den verderbenbringenden atomaren Vulkan.

Die Todeszone beginnt 30 Kilometer vor dem Atomkraftwerk. Auf den Warnschildern am Sperrzaun heißt sie "Strahlenökologischer Forschungspark". Vegetation überwuchert Straßen, Plätze und die dort abgestellten Panzer, Lastwagen und Hubschrauber der ersten Katastropheneinsätze. Noch mindestens 100 Jahre lang sollen Häuser, Äcker, Wälder und Teiche Sperrgebiet bleiben. Aber nicht nur Wissenschaftler wagen sich in diese Vorhölle: In rund 200 kleinen Gruppen leben dort wieder frühere Bewohner, meist ältere Menschen, die nicht in der Fremde sterben wollen. Die Miliz toleriert sie, versorgt sie sogar mit Dingen, die sie dort nicht kaufen können, etwa Batterien. Die Strahlung ist nicht mehr lebensgefährlich, Besuche ihrer Enkel dürfen die Großeltern aber nicht empfangen.

Die Kinder leben 50 Kilometer vor der riesigen Reaktor-Ruine in Slawutitsch, einer Stadt, die nach der Katastrophe aus dem Boden gestampft wurde. Dort gibt es alles, auch Fitnesscenter, Reitställe, sogar einen Yachtklub, und jeder Fußweg wird regelmäßig mit Wasser gereinigt. Denn dort leben die Arbeiter, die im dortigen Kraftwerk weitermachen. Sie verdienen dreimal soviel wie ein Arzt oder ein Lehrer, und die Geburtenrate ist die höchste in der Ukraine.