Seeschlacht: Vor 200 Jahren schlug die britische Flotte Napoleons Armada. England wurde zur globalen Seemacht und Lord Nelson ein Nationalheld.

London/Hamburg. Es ist für einen Herbsttag ungewöhnlich schön. Die britische Blockadeflotte vor Cadiz segelt bei ruhiger Brise durch leichten Dunst, der später aufreißen wird. Man schreibt den 21. Oktober 1805, ein Datum, das entscheidenden Einfluß auf den Versuch Napoleon Bonapartes haben wird, Europa zu beherrschen. Und an diesem Tag wird der Grundstein für eine Seeherrschaft gelegt, die mehr als ein Jahrhundert überdauern soll. Denn am Ende dieses Tages wird eine britische Flotte die Koalitionsflotte von Frankreich und Spanien vernichtend geschlagen haben. Der Ort: Cap Trafalgar.

"Britannia rules the waves" wird heute noch gern gesungen. Und Britannia startet heute mit den Feierlichkeiten um die Seeschlacht und ihren populären Helden: Admiral Horatio Nelson. Auftakt ist die größte Flottenparade seit dem Zweiten Weltkrieg. Vorgezogen, da am genauen Jahrestag, dem 21. Oktober, das Wetter womöglich nicht mitspielt. Gefeiert wird obendrein politisch völlig korrekt. Schon um die Franzosen nicht zu verprellen. Was einige englische Patrioten zu lautstarken Verbal-Breitseiten gegen die "Staatsmännlein" von heute provoziert hat.

Zurück ins Jahr 1805. Seit zwei Wochen liegt die Royal Navy schon auf der Lauer. Nelson läßt seine 27 Linienschiffe hinter dem Horizont in Bereitschaft. Den Kundschafterdienst übernehmen die schnellen Fregatten, die "Augen der Flotte". Sie beobachten, was sich südlich vor Cadiz tut. Dort liegt der Gegner vor Anker: die französisch-spanische Koalitionsflotte unter Napoleons Admiral Villeneuve und dem spanischen Admiral Gravina. Mit 33 Linienschiffen, fünf Fregatten und zwei Briggs für den Meldedienst zahlenmäßig überlegen.

Am Morgen des 21. Oktober schickt eine englische Fregatte an Nelsons Flaggschiff "Victory" das entscheidende Signal: "Gegner in Schlachtordnung zehn bis elf Meilen auf der Leeseite." Der Wind weht schwach aus West. Nelson ist im Vorteil, seine Flotte kann den Gegner vor dem Wind segelnd angreifen, wogegen die Franzosen und Spanier erst mühsam gegen den Wind ankreuzen müßten, um zu den Briten aufzuschließen. Das hat Villeneuve aber gar nicht vor. Er will mit seiner Flotte den offenen Atlantik gewinnen und segelt auf Nordwestkurs.

Um sechs Uhr morgens flaggt Nelson die Order: "Alle Segel setzen. Schiff gefechtsklar machen. Kurs ostnordost."

Nelson ignoriert die klaren Instruktionen der Admiralität, sich parallel zur Schlachtordnung des Gegners zu halten. Sein Plan ist, den langgestreckten, elliptischen Schlachtverband des Gegners durch ein kühnes Manöver aufzubrechen und die Hauptmacht zum Vernichtungskampf in die Zange zu nehmen.

Nelson in einem Memorandum: "Die britische Flotte muß von zwei oder drei Schiffen vor dem im Mittelabschnitt angenommenen Flaggschiff des Gegners an bis hin zu seiner Nachhut zu einem überwältigenden Schlag ausholen. Ich lasse an die 20 seiner Schiffe unberührt. Die müssen eine ganze Weile brauchen, bevor sie ein Manöver ausführen können, um auch nur eins der im Gefecht stehenden britischen Schiffe angreifen zu können."

Nelson schickt sein allen britischen Schulkindern bekanntes letztes Flaggensignal an die Flotte: "England erwartet, daß jeder seine Pflicht tut." Dann senkt sich eine unheimliche Stille über die langsam an den Gegner herangleitende Flotte.

Um 12 Uhr mittags beginnt die Schlacht. Die "Victory", ein hölzerner Koloß mit 110 Kanonen auf drei Decks übereinander, bricht zwischen Villeneuves Flaggschiff "Bucentaure" und der "Redoutable" durch. Sie berühren sich mit ihren Rahen - Nelson liebt den Nahkampf - und bleiben aneinander hängen. Die mörderische Umarmung dauert bis zum Ende der Schlacht. Die Briten feuern Breitseiten in Bug und Heck der französischen Schiffe. Die können nur mit ihren wenigen Bug- und Heckgeschützen antworten. Überall entlang der Schlachtlinie gelingt dasselbe Manöver.

Die Kanonen brüllen ohrenbetäubend. Weggeschossene Masten krachen auf die Decks. Musketen knattern hell von Masttopp und Wanten. Dort sitzen die Seesoldaten, Scharfschützen, die sich besonders Offiziere und Kommandanten als Ziele wählen.

Im Bauch der schwimmenden Ungetüme tut sich die Hölle auf. Die Kanoniere schuften mit nacktem Oberkörper und barfuß, ein Tuch um den Kopf gebunden, um das Trommelfell zu schützen. Die Offiziere - klassenbetont - im Frack-Uniformrock mit Epauletten, in seidenen Kniehosen und seidenen Strümpfen und Schuhen mit silbernen Schnallen. Im sogenannten Orlop-Deck, auf Höhe der Wasserlinie, schuftet der Schiffsarzt mit seinen Helfern und amputiert am laufenden Band. Gliedmaßen werden ebenso über Bord geworfen wie die Toten.

Auf dem Achterdeck der Admiral. Nelson, für seine Eitelkeit bekannt, hatte sich nicht ausreden lassen, in seinem mit vier Ordenssternen geschmückten Uniformrock leicht identifizierbar auf dem Achterdeck scheinbar seelenruhig wie auf dem Paradeplatz auf und ab zu schreiten. Einen Arm und ein Auge hat er schon bei Seeschlachten verloren. Jetzt kostet ihn sein Selbstbewußtsein das Leben. Um 13.35 Uhr wird er von der Kugel eines Seesoldaten aus den Masten der "Redoutable" getroffen. Die Kugel schlägt an der Schulter ein und bleibt im Rückgrat stecken.

Im Orlop-Deck erkennt Schiffsarzt Dr. Beatty, daß Nelson verloren ist. Eine seiner Lungen füllt sich rasch mit Blut, er ertrinkt buchstäblich am eigenen Blut. Nelson weiß, daß es mit ihm jetzt zu Ende geht. Dann die bis heute vieldiskutierte Bitte an seinen engen Freund, den Kommandanten der "Victory": "Küsse mich, Hardy." Und seine letzte Bitte an England: "Ich hinterlasse Lady Hamilton und meine Tochter meinem Lande als Vermächtnis."

Lady Hamilton, die Frau des englischen Botschafters in Neapel, die große Liebe seines Lebens, hat Nelson romantisch verklärt. Ehemann, Liebhaber und Ehefrau lebten in einer "Ehe zu dritt" zusammen. Die ehemalige Edel-Kurtisane schenkte Nelson seine Tochter Horatia. Doch ohne ihren Gönner ging es schnell bergab. Lady Hamilton starb allein und verarmt in Calais.

Die Schlacht tobt noch weitere zweieinhalb Stunden. Nelsons Stellvertreter, Vizeadmiral Cuthbert Collingwood, übernimmt die Führung. Auf seiner "Royal Sovereign" hat er die südliche Gruppe der Briten durch die gegnerische Schlachtlinie geführt. Am Nachmittag hat das Gemetzel endlich ein Ende. 18 französische und spanische Schiffe streichen zum Zeichen ihrer Niederlage die Flagge, eines ist explodiert. Vier weitere werden später an der Küste aufgebracht. Elf haben sich nach Cadiz gerettet.

Auf britischer Seite ist zwar kein einziges Schiff aufgebracht oder vernichtet worden. Doch Zerstörung und Blutzoll sind auch hier furchtbar. Die "Victory" ist ein entmastetes Wrack, an dem Blut in breiten Rinnsalen herunterläuft. Sie muß nach Gibraltar geschleppt werden, wo sie für die Heimreise notdürftig zusammengeflickt wird. Nelsons Leichnam erreicht England konserviert in Branntwein.

Nach Trafalgar ist Frankreichs Flotte nicht mehr handlungsfähig. Bonaparte, der sie ohnehin nur als Hilfsmittel für Landoperationen gesehen hatte, sagt alle Pläne für eine Invasion Britanniens ab. 90 000 Mann, die schon in den Kanalhäfen warteten, werden abgezogen. Britanniens Flotte "rules the waves" - regiert die Wellen. Die Fregatten und Linienschiffe blockieren französische und spanische Häfen.

Die britischen Kolonien in Übersee sind nun gesichert, und langfristig zehrt die Blockade Europa wirtschaftlich aus. Doch es dauert noch zehn Jahre, bis Napoleon auch zu Lande vernichtend geschlagen wird. Wieder von einem Engländer: dem Herzog von Wellington, bei Waterloo.