Vom normalen Alltag ist man in der Region um L'Aquila noch weit entfernt. Viele fragen, wie es weitergehen soll? Bilder von der Naturkatastrophe.

Rom. "Gott will uns offenbar nicht, trotzdem versuchen wir zu überleben." Die Rentnerin aus L'Aquila macht ihrer Wut und Bitterkeit über das Unglück Luft. Sie lebt im Zeltlager auf der Piazza D'Armi, dem sogenannten Waffenplatz der zerstörten Stadt der 99 Kirchen. Hoffnung auf eine rasche Rückkehr in den Alltag hat sie nicht.

Rund 30 000 Überlebende des Erdbebens vom 6. April verbringen eiskalte Frühlingsnächte bei Temperaturen um null Grad in mehr als hundert Zeltlagern. Es fehlen weiterhin Öfen, die die Nächte auf den Feldbetten erträglich machen. Rund 20 000 Obdachlose haben Platz in den Hotels an der Adria-Küste gefunden. Keiner weiß, wie viele bei Familienangehörigen und Freunden untergekommen sind. Allein in L'Aquila, der Provinzhauptstadt der betroffenen Region, lebten bis zur Katastrophe mehr als 70 000 Menschen. 25 000 Studenten aus Italien und dem Ausland sorgten für ein reges Universitätsleben. Heute ist es still auf dem Unigelände. Innerhalb der Absperrungen kontrollieren Statiker mit Helmen und Sicherheitsanzügen die Gebäude. Nachdem sie stundenlang Schlange gestanden haben, dürfen Bewohner in Begleitung von Feuerwehrleuten in ihre Behausungen zurück, um rasch ein paar persönliche Gegenstände zusammenzusuchen.

Obwohl der Zivilschutz für Hilfslieferungen aller Art sorgt, mangelt es doch an allem. "Ich hatte nicht einmal Zeit, mein Gebiss mitzunehmen." Die ältere Frau hält verschämt die Hand vor den Mund. "Als das Haus einstürzte, sind wir, so wie wir waren, nach draußen gelaufen." Knapp zehn Tage später trägt sie vor ihrem Zelt noch immer Pyjama, Morgenrock und Pantoffeln aus der Unglücksnacht. "Vielleicht lassen sie mich bald etwas aus dem Haus holen", sagt sie mit leiser Hoffnung. Nebenan beklagt sich ein junger Mann über die endlosen Schlangen bei der Essensausgabe. "Ich bezweifle nicht den guten Willen des Zivilschutzes, aber eine Verteilstelle ist einfach zu wenig."

Geduldig schaut derweil ein Großvater seinem Enkel zu, wie dieser mit Heißhunger Nudeln mit Tomatensoße aus dem Plastikteller isst. "Klar, dass man warten muss. Ist schließlich kein Luxushotel", meint der Mann, der sich schlicht freut, dass er und seine Angehörigen mit dem Leben davongekommen sind.

Während die Erde in den Abruzzen nicht aufhört zu beben, versuchen die Bewohner der Zeltlager rund um L'Aquila, den Alltag so gut wie möglich zu meistern, ohne zu sehr an die Zukunft zu denken. Die Regierung will zwölf Milliarden Euro in den Wiederaufbau stecken. Doch zunächst müssen die Gebäude geprüft und die Trümmer abgetragen werden. Den Einzug in neue Häuser können sich die meisten hier noch nicht vorstellen.

"Ich weiß nicht, wann der erste Gast wieder mein Lokal betreten wird", sagt Antonio Moscardi. Vor der Erdbebenkatastrophe betrieb er mit seiner Familie in Camarda bei L'Aquila eines der vier besten Restaurants der Region, das der Michelin empfahl. "Es ist ein Albtraum", sagt der Gastronom, um gleich hinzuzufügen: "Aber wir haben unglaublich viel Solidarität auch von Kollegen aus der Branche erfahren."

Moscardi hat in der Unglücksnacht drei Angehörige verloren. Mit seiner Frau und seinen beiden Töchter im Alter von 15 und 16 Jahren überlebte er in dem schwer beschädigten Eigenheim, das er wieder aufbauen will. "Früher habe ich immer weit in die Zukunft geplant", sagt der Familienvater. "Jetzt denke ich nur noch an das Morgen."

Tagsüber bemühen sich die Obdachlosen, ihre Zelte stabiler und wohnlicher zu machen. Mittlerweile ist eine mobile Gesundheitsstation eingetroffen. Andernorts zahlt die Post im Wohnwagen bereits die Renten aus. Abends sitzen die Menschen vor dem Feuer, das in der Mitte des Lagers am Fuß der schneebedeckten Berge für Wärme sorgt. Im Fernseher laufen Berichte über die Lage im Erdbebengebiet. "Vielleicht hat uns die Katastrophe auf den Boden der Wirklichkeit zurückgeholt", überlegt Moscardi. "Wir waren zu sehr mit der Arbeit und persönlichem Neid beschäftigt, um wer weiß was zu erreichen".