Neues Buch des Popstars per Gericht gestoppt - vielleicht ist es für alle besser.

Hamburg. Der lateinische Ursprung unseres Wortes Kultur beschreibt pflegliche Bebauung im agrarischen Sinne. Kultur ist also der Anbau geistiger Früchte, deren Ernte uns allen zum Wohle gereicht. Doch ist Kultur, ähnlich Regierungsprogrammen, einem gewissen substanziellen Schwund unterworfen. Ergötzten wir Deutsche uns früher an Goethes "Faust", muss heute Dieter Bohlens Unterleib dafür herhalten. Der Troubadour aus Tötensen erweist sich als unerschöpflicher Quell auch geistiger Ergüsse und lässt uns sogar teilhaftig werden, wenn mal sein Gemächt zu Schaden kommt. Von Schiller, Hebbel und Co. sind derartige Bereicherungen jedenfalls nicht auf uns gekommen. Schade eigentlich. Wer braucht noch Thomas Mann und seine verquasten Bandwurmsätze, wenn er Bohlens Prolo-Prosa lesen darf, zum Beispiel sein frühes Urteil über dessen kongenialen Sangesbruder Thomas Anders: "Visuell hatte ich voll den positiven Flash, wenn ich ihn anschaute." Das nennt man wohl Modern Talking. Inzwischen jedoch hat der Dieter seinen "kleinen Prinzen", dem er unlängst noch "die Lackschühchen küssen" wollte, rüde aus seinem Herzen verstoßen. Faul sei er, der Thomas, gierig und fett, eine Kanalratte. "Arme Wurst", keifte der einstige Pop-Partner zurück. Der Dialog erreicht vielleicht nicht ganz das Niveau der Briefe zwischen Jean-Paul Sartre und Simone de Beauvoir, ist aber deutlich unterhaltender. Und so wirbelig dreht sich Dieters erotisches Kaleidoskop, dass ihm nicht einmal mehr erinnerlich ist, ob er Nena und ihren 99 Luftballons mal ganz nahe war. Nun könnte man dies alles im neuen Bohlen-Buch "Hinter den Kulissen" nachlesen - ohne Zweifel einer literarischen Sternstunde -, wenn nicht eine Schar murrender Bohlen-Geschädigter, darunter Herr Anders, aber auch kulturelle Schwergewichte wie Jenny Elvers, die Auslieferung per Gericht gestoppt hätten. Es ist vielleicht besser so. Denn die bislang bekannten Auszüge entlarven den geradezu tragischen Geltungsdrang eines Mannes, der alles besitzt. Doch Gewinn-Warnungen mag der blonde Barde gar nicht. Und schließlich ist Selbstliebe der Beginn einer lebenslangen Romanze. S. 32