Zerlegt, versenkt und auferstanden: Von Hamburg nach Tansania ging die Fahrt. Noch heute verkehrt das Schiff auf einem der größten Seen der Welt.

Anmutig gleitet die „Liemba“ über den Tanganjikasee. Am Horizont die Berge des Kongo. Vor ihrer Silhouette tanzen Gewitter. Inmitten von Blitz und Donner ertönt das Schiffshorn und verkündet den nächsten Halt. 18 Stationen steuert die „Liemba“ auf ihrer rund 500 Kilometer langen Passage an – zwischen Kigoma im Norden Tansanias und Mpulungu am sambischen Südufer des Sees. Meist nur ein Halt auf freier Strecke. Denn mangels passabler Hafenanlagen ankert das Schiff oft Hunderte Meter vom Ufer entfernt.

Alte und Junge und Unmengen Gepäck

Sobald das Schiffshorn verklungen ist, setzen sich von Land aus die Zubringerboote in Bewegung. Ein Dutzend Holzkähne, die bei genauem Hinsehen nicht nur beschaulich bunt, sondern beängstigend marode daherkommen. Am Ruder ackern muskulöse Mannsbilder gegen Strömung und Wellengang. In den Booten hocken Alte und Junge auf Unmengen Gepäck. Ziel der Regatta ist ein guter Platz an der Schiffsluke. Sobald erobert, wird er fortan wehrhaft verteidigt. Notfalls mit dem Paddel, während ungeduldige Reisende von einer schwankenden Nussschale zur nächsten klettern und Sportskanonen das Schiff über die Außenwand entern.

Weitere Bilder der Goetzen

Der Kranführer bedient den Ausleger, Eigentümer und Händler sehen zu
Der Kranführer bedient den Ausleger, Eigentümer und Händler sehen zu © Rolf G. Wackenberg | Rolf G. Wackenberg
Auf dem Tanganjikasee: Passagiere schlafen in den Gängen
Auf dem Tanganjikasee: Passagiere schlafen in den Gängen © Rolf G. Wackenberg | Rolf G. Wackenberg
Die
Die "Liemba" im Hafen von Mpulungu vor der Rückfahrt nach Kigoma. Eine Gruppe Teenager will im Hauptdeck fotografiert werden © Rolf G. Wackenberg | Rolf G. Wackenberg
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Strohsäcke, Stoffbeutel, Rollkoffer werden in haarsträubenden Manövern hin und her balanciert. Dazu Hühner und Fische. Sogar Maschendrahtzaun, Holzkohle und Möbel. Mittendrin Babys, die auf dem Rücken ihrer Mütter hin und her beuteln und das Treiben mit großen Kulleraugen bestaunen. Akrobatik auf höchstem Niveau. Mit viel Gerangel und Geschrei.

Vor 100 Jahren hingegen ist es totenstill auf dem Schiff. Es liegt auf dem Grund des Tanganjikasees, nachdem deutsche Truppen es am 26. Juli 1916 demontiert und versenkt hatten. Dass das Schiff bis heute tapfer seine Runden dreht, ist eine abenteuerliche Geschichte, bei der auch die Hansestadt Hamburg eine Rolle spielt.

Die Geschichte beginnt in Papenburg

Wenngleich die Geschichte zunächst in Papenburg beginnt. Dort ­bekommt die Jos. L. Meyer Werft im Dezember 1912 den Auftrag, ein Dampfschiff zu bauen, das sich auseinandernehmen und andernorts wieder zusammensetzen lässt. Es erhält den Namen „Goetzen“, benannt nach Gustav Adolf Graf von Götzen, der als Entdecker des Kiwusees gilt. 1901 wird er Gouverneur Deutsch-Ostafrikas, muss den Posten aus gesundheitlichen Gründen alsbald aufgeben und kehrt 1906 nach Deutschland zurück. Seine letzten beiden Lebensjahre verbringt er in Hamburg, wo er als preußischer Gesandter für die Hansestädte wirkt und im Harvestehuder Weg wohnt. Er stirbt 1910 im Alter von nur 44 Jahren. Seine letzte Ruhestätte befindet sich auf dem Friedhof Ohlsdorf, wo ihn der Künstler Gustav Eberlein in Stein verewigt hat. Sitzend auf einem Sockel schaut von Götzen auf die Norderstraße.

Doch zurück nach Papenburg ins Jahr 1913. Dort steht mittlerweile das Dampfschiff „Goetzen“ auf der Helling, benannt nach eben jenem von Götzen. Es ist nur zusammengeschraubt, nicht genietet. Denn gleich nach der Abnahme soll es wieder zerlegt, in Kisten verpackt und mit Frachtschiffen nach Afrika gebracht werden.

So kommt es, dass schließlich im Dezember 1913 die Reichspostdampfer „Admiral“ und „Feldmarschall“ im Hamburger Hafen vor Anker liegen. Seit Tagen surren Kräne, sie verladen Hunderte Kisten, einen zerlegten Schiffsrumpf und Teile für den Bau einer kompletten Werft. Schließlich werden die Taue gelöst. Die Schiffe stechen in See.

Von hier geht die Fahrt über den Atlantik, weiter durch das Mittelmeer und den Suezkanal bis nach Daressalam. Von dort, so ist der Plan, soll die „Goetzen“ mit der Mittellandbahn nach Kigoma am Tanganjikasee transportiert werden, wo sie zum größten Passagier- und Frachtschiff auf dem See avancieren und der kolonialen Präsenz Ansehen und Stärke verleihen soll.

Das Abenteuer reizte und das Geld

Um den Wiederaufbau zu beaufsichtigen, lässt die Werft drei Männer nach Afrika reisen: Schiffbaumeister Anton Rüter, Handwerker Hermann Wendt und Nieter Rudolf Tellmann. Einfache Menschen aus dem Emsland, die nie Weltreisende oder Entdecker werden wollten.

Anton Rüter, 37 Jahre alt und Chef des Trios, arbeitet seit dem 14. Lebensjahr auf der Werft. Zurück lässt er Ehefrau Helene und vier Töchter. Änne, die Letztgeborene, kommt am 13. Dezember zur Welt – unmittelbar vor der Abfahrt. Was also mag den Familienvater nach Afrika gezogen haben? Eine Antwort liefert der Vertrag, den Rüter im November 1913 mit seinem Papenburger Arbeitgeber schließt. „Als Vergütung für die Tätigkeit in Kigoma erhält Rüter ein monatliches Gehalt von 600 Mark“, lautet das Angebot. Das ist fast achtmal so viel, wie ein Arbeiter im Durchschnitt verdient. Im Paket sind diverse Versicherungen gegen Unfall und Invalidität enthalten. Ferner eine Police im Wert von 20.000 Mark für den Fall seines Ablebens. Rüters Einsatz soll nur ein Jahr dauern. Da mag selbst Helene nicht gezögert haben.

Ähnlich denken wohl auch die beiden Junggesellen. Der 29 Jahre alte Hermann Wendt und der 32-jährige Rudolf Tellmann, ältestes von sieben Kindern. Die Familie hält sich mit bescheidener Landwirtschaft über Wasser. Beide reizt das Abenteuer – und das Geld.

Am 17. Januar 1914 erreicht die „Admiral“ den Hafen von Daressalam. Dort muss die kostbare Fracht zwischengelagert werden, denn die Fertigstellung der 1250 Kilometer langen Mittellandbahn nach Kigoma hat sich verzögert. Kaisers Geburtstag am 27. Januar fällt in diese Zeit, weshalb neben der Fracht auch prominente Zeitgenossen von Bord der „Admiral“ gehen.

Unter ihnen Oberstleutnant Paul von Lettow-Vorbeck. 1870 in Saarlouis geboren, hat er sein Offizierspatent schon mit 18 Jahren in der Tasche. Nach Stationen in China und Deutsch-Südwest gilt er als kampf- und afrikaerfahren. Seine Ernennung zum Kommandeur der Schutztruppe in Kamerun folgt 1913. Eine Position, die er nicht antreten kann, da in Deutsch-Ostafrika Not am Mann ist. Dort ist der Kommandeur der Schutztruppe, Kurt Hans Julius Freiherr von Schleinitz, in Ungnade gefallen und wird beurlaubt. Ein Neuer muss her. Lettow-Vorbeck soll es richten.

Mit dem Ersten Weltkrieg kommt vieles anders 

Im Februar 1914 schließlich berichtet die „Deutsch-Ostafrikanische Zeitung“, dass die Gleisspitze der Mittellandbahn in Kigoma eingetroffen sei. Die zerstückelte „Goetzen“ und ihre Wegbegleiter können sich endlich auf die Schiene zum Tanganjikasee begeben. Dort angekommen, informiert Rüter fortan regelmäßig die Werft über den Baufortschritt und glaubt anfangs, bis August „fertig zum Stapellauf zu sein“.

Doch vieles kommt anders. Als in Europa der Erste Weltkrieg ausbricht, beginnen selbst im fernen Kigoma die Uhren militärisch zu ticken. Ende August 1914 trifft Korvettenkapitän Gustav Zimmer ein, der als Militärbefehlshaber die Verteidigung der kolonialen Westgrenze und des Hafens sicherzustellen wie auch den Fortgang des Bauvorhabens der „Goetzen“ zu überwachen hat.

Obwohl Zimmer zur Eile drängt, dauert der Aufbau des Schiffes mehr als ein Jahr. Am 5. Februar 1915 steht es auf der Helling. Ganze 160.000 Nieten hat Tellmann dafür schlagen lassen. Alsbald wird nachgerüstet, denn die friedlichen Zeiten am Tanganjikasee sind endgültig vorbei. Die „Goetzen“ erhält zwei Geschütze, ferner eine Revolverkanone. Ein feindliches Schiff hat sie dennoch nie versenkt. Lediglich das Wrack des britischen Dampfers „Cecil Rhodes“. Aber das zählt nicht wirklich.

Ab 1916 ist die „Goetzen“ ohnehin ein zahnloser Tiger. Da die mächtige Bordkanone anderweitig benötigt wird, lässt Zimmer sie durch eine Attrappe ersetzen. Als der Feind nicht mehr aufzuhalten ist, werden Motoren und andere Schiffsteile ausgebaut, eingefettet und versteckt. Dann wird der Schiffsrumpf mit Zement beladen und die „Goetzen“ versenkt, nicht jedoch gesprengt. Ein Verdienst der drei Papenburger, die an ein Leben nach dem Krieg glauben? Oder ein Befehl Lettow-Vorbecks? Fakt ist, dass die drei Papenburger aus Angst vor den belgischen Einheiten und deren Kongo-Truppe, der man Kannibalismus und andere Grausamkeiten nachsagt, in Richtung britischer Stellungen flüchten, in Kriegsgefangenschaft geraten und an die Ufer des Nils nach Ägypten gebracht werden. Erst Ende 1919 kehren sie nach Deutschland heim.

Tellmann stirbt im August 1944 an Nierenentzündung und Herzschwäche, wie Dokumente des Kreisarchivs Emsland belegen. Nicht ohne zahlreiche Nachfahren zu hinterlassen. Wendt schließt im September 1950 die Augen, während Rüter, 78-jährig, im Juli 1955 stirbt. „Kein Alkohol und gute Gene“, schätzt Enkel Günter Robben, Sohn der kurz vor Rüters Abfahrt geborenen Tochter Änne. Als die Gräber der Afrikareisenden eingeebnet werden, lässt er den Grabstein seines Großvaters erhalten, der mittlerweile eine Bleibe im Papenburger Heimatmuseum gefunden hat.

Und Lettow-Vorbeck? Am 13. November 1918, zwei Tage nach dem offiziellen Kriegsende, wird er von britischen Parlamentären über den Waffenstillstand in Europa unterrichtet und kehrt Anfang 1919 nach Deutschland zurück. Durch die Inflation verliert er sein Vermögen und zieht 1923 nach Bremen. Dort lebt er, bis sein Haus 1945 bei einem Luftangriff zerstört wird. Gegen Ende des Zweiten Weltkriegs siedelt er nach Hamburg über. Sein Wirken als Feldherr und Politiker ist umstritten. Historiker Uwe Schulte-Varendorff bezeichnet ihn als „autoritären Selbstdarsteller“ und „absoluten Machtmenschen“. 1956 wird ihm die Ehrenbürgerschaft seiner Geburtsstadt Saarlouis verliehen.

Straßen, Schulen und Kasernen tragen seinen Namen. Manche werden später wieder umbenannt. In Jenfeld gibt es von 1934 bis 1999 die Lettow-Vorbeck-Kaserne. 1964 stirbt ihr Namensgeber in der Hansestadt und wird in Pronstorf bei Bad Segeberg begraben. In Kreisen seiner früheren Kriegsgegner gilt er als Held, „als geschickter, großherziger und ritterlicher Soldat“, wie die Londoner „Times“ in einem Nachruf schreibt. Auf der Beerdigung selbst hält Kai-Uwe von Hassel, Bundesminister der Verteidigung und ehemaliger Ministerpräsident von Schleswig-Holstein, die Trauerrede. Ihr Kernsatz: Der Tote sei „wahrlich im Feld unbesiegt“ gewesen.

Auch die „Goetzen“ ist offensichtlich unbesiegbar. 1924 wird sie von Spezialisten der Royal Navy gehoben: nach zwei Jahren Bergungsarbeiten und insgesamt acht Jahren unter Wasser. 1927 wird sie auf Vorschlag Winston Churchills in „Liemba“ umbenannt und pendelt nach diversen Sanierungen bis heute über den Tanganjikasee. Als einziges reguläres Passagier- und Frachtschiff auf dem sechstgrößten See der Welt, wo nimmermüde ihr Schiffshorn ertönt, Halt für Halt verkündend. Oder das Signal zur Weiterfahrt, nachdem die letzten Fahrgäste das Schiff erklommen haben und sich für die Fahrt auf der „Liemba“ einzurichten beginnen.

Die mehr als 100-jährige Geschichte der „Liemba“ ist nicht zuletzt eine späte Ehrung ihrer Erbauer und Weggefährten. Zwischen Papenburg, Hamburg und Kigoma.