Roller Derby galt lange als Showkampf in der Punkszene. Bei den Harbor Girls ist es mehr als das. Jetzt fliegen vier Hamburgerinnen mit der Nationalmannschaft zur WM nach Dallas.

Hamburg. „Gemetzle mit Spätzle“ steht auf den Transparenten der Fans, „Boys Wanna Be Her“ von Electroclash-Ikone Peaches dröhnt aus den Boxen, während „Ostblocker“, „Jeanne Dark“, „Lotta Loveless“, „Knock ’n Rose“ und ihre Teamkolleginnen in einem Knäuel in die Halle rollen. Die Fans, die sich „Deckhands“ nennen, schmeißen mit Glitzerkonfetti und feiern die Protagonistinnen. Szenen eines Heimspielstarts der Harbor Girls, Hamburgs ersten Vereins für Roller Derby, eine Art Rugby auf Rollschuhen.

Das vor einigen Jahren aus den USA nach Deutschland übergeschwappte Showevent aus der Punkszene hat sich in Hamburg zu einem echten Leistungssport entwickelt. Der Lohn: Am Wochenende fliegen vier Spielerinnen der Harbor Girls mit der Nationalmannschaft nach Dallas in die USA. Dort startet in der kommenden Woche die Weltmeisterschaft im Roller Derby. Rosemarie Schoenthaler, Melinda Koall sowie die Schwestern Pauline und Johanna Langmaack aus Hamburg sind zum ersten Mal mit dabei. „Wir sind schon stolz, uns jetzt Nationalspielerinnen nennen zu können“, sagt Pauline Langmaack. Die Studentin für Modedesign spielt seit vier Jahren für die Harbor Girls und ist damit von Anfang an dabei. „Roller Derby hat sich extrem entwickelt. Früher war es vor allem Lifestyle, heute werden wir als Sport ernst genommen“, sagt die 25-Jährige.

Was sich hinter der Sportart verbirgt, weiß in Deutschland trotz der steigenden Aufmerksamkeit kaum jemand. Und wer doch einmal von Roller Derby gehört hat, denkt vor allem an Punkerinnen in zerrissenen Strumpfhosen, die sich ein bisschen durch die Halle schubsen, während die Zuschauer dem Konsum von Gerstensaft frönen. Wenn die Harbor Girls zu ihren Heimspielen im Christianeum in Othmarschen oder in der Sporthalle des Wirtschaftsgymnasiums auf St. Pauli antreten, kann man zwar noch erkennen, wie diese Sportart einst begann, in erster Linie sieht man aber einen spektakulären Vollkontaktsport.

Körpereinsatz mit Schultern, Hüfte und Hintern

„Man muss richtig tough sein und auch Schmerzen aushalten können“, sagt Pauline Langmaack. Sie ist eine der Jammerinnen im Team und damit die entscheidende Figur des Spiels. Zwei Mannschaften mit jeweils vier Blockerinnen fahren auf ihren Rollschuhen im Kreis. Sie bilden das sogenannte „Pack“ und versuchen, die gegnerische Jammerin so lange wie möglich zu behindern. Die Jammerin versucht wiederum, durch die Blockerinnen hindurchzufahren und das „Pack“ so häufig wie möglich zu überrunden. Der Wettkampf nennt sich „Bout“ und dauert zweimal 30 Minuten. Die Mannschaft mit den meisten Punkten durch Überrundungen in den jeweils zweiminütigen „Jams“ gewinnt. Erlaubt ist Körpereinsatz mit Schultern, Hüfte und Hintern.

Schubsen mit den Armen, zupfen am Trikot, Beinhaken oder Kopfstöße sind verboten. Kommt eine Spielerin zu Fall, hat sie drei Sekunden Zeit, wieder aufzustehen. „Für diesen Sport muss man körperlich absolut fit sein“, sagt Rosemarie Schoenthaler. Sie gehört zu den besten Blockerinnen des Teams. „Einmal im Monat Training reicht dafür nicht“, sagt die 28-Jährige, die als Fotografin arbeitet. Neben der Arbeit geht sie mittlerweile viermal in der Woche zum Training der Harbor Girls. Neben Technik- und Taktikeinheiten gehört dazu auch intensives Krafttraining. „Viele Frauen kommen bei uns zum Probetraining, weil sie Punk mögen und Spaß haben wollen“, sagt Schoenthaler, „die meisten von denen sind aber schnell wieder weg, weil ihnen das Spiel zu anstrengend ist.“

Viele seien zu Beginn auch erschrocken, was Vollkontakt bedeutet. „Wir inszenieren zwar auch unser Punk-Image, aber dahinter steckt mehr, auch wenn der Spaß im Vordergrund steht“, sagt die Nationalspielerin, die zum ersten Mal an einer Weltmeisterschaft teilnimmt. Für die Auswahl von Bundestrainer Jens Hötger qualifiziert man sich über ein „Tryout“, eine Art Probetraining. Einen organisierten Ligabetrieb gibt es in Deutschland erst im kommenden Jahr. Ihre Heimspiele organisieren sich die Harbor Girls bislang selbst. Auch ihre Trainingszeiten in der Sporthalle der Polizei an der Haubachstraße in Altona müssen sich die Sportlerinnen seit der Gründung des Vereins vor vier Jahren immer wieder neu erkämpfen.

FC St. Pauli hat Roller Derby in den Verein aufgenommen

Ein mühsamer Weg, der vor wenigen Monaten belohnt wurde. Der FC St. Pauli hat Roller Derby als eigene Abteilung in den Verein aufgenommen. Sehr zur Freude der Harbor Girls, die ihren Sport nun unter dem Dach des Kiezclubs betreiben. „Wir identifizieren uns mit St. Pauli“, sagt Pauline Langmaack. Finanzielle Unterstützung bekommen die Sportlerinnen aber nicht, auch nicht bei der Nationalmannschaft. Die Reise nach Dallas müssen die Harbor Girls selbst zahlen. Um die Kosten von rund 6000 Euro zu stemmen, haben sie ein Crowdfunding gestartet. Fans können einen Betrag spenden und bekommen eine Gegenleistung. Für 200 Euro lassen sich die Harbor Girls etwa den Namen des Spenders mit Edding auf ihre Waden malen.

Zu sehen sind die „Tattoos“ bereits im ersten Spiel der WM gegen England am kommenden Donnerstag. Gegen einen der Favoriten steht dann wieder der Sport im Fokus. „Wir wollen besser abschneiden als bei der letzten WM“, sagt Rosemarie Schoenthaler. Damals war es Platz neun. Gelingt es den Deutschen auch dank der Harbor Girls, dürfen sich die Hamburgerinnen auf eine Rückkehr mit reichlich Glitzerkonfetti freuen.