Der 23-jährige bezwang im kleinen Finale Chuang Chih-Yuan aus Taiwan und holte Bronze. Es ist die erste deutsche Einzel-Medaille seit 1996.

London. Im Moment des Sieges drehte sich Dimitrij Ovtcharov um, breitete seine Arme aus und zuckte mit den Achseln. Erst als er seinen Trainer Jörg Roßkopf jubeln sah, begriff der Tischtennis-Youngster: Das war der Schlag zur olympischen Bronzemedaille, die Deutschland eigentlich von Timo Boll erwartet hatte.

„Ich kann es wirklich nicht glauben“, sagte Ovtcharov, dem der Adrenalinschock deutlich anzusehen war. „Ich war so viele Sätze hinten, auch im letzten. Ich hatte mich schon auf den siebten Satz konzentriert. Aber auf einmal war es vorbei.“ Und Roßkopf musste ihn darauf hinweisen.

Rekord-Europameister Boll freute sich für seinem Kumpel Ovtcharov. „Das ist natürlich großartig für Dima und unseren Sport. Er hat sich das verdient, er ist ein harter Arbeiter“, sagte Boll. Ovtcharov wiederum erklärte fast ein wenig beschämt, dass auch der beste deutsche Tischtennisspieler der vergangenen zehn Jahre, der im Achtelfinale gescheitert war, „es verdient gehabt hätte“.

Doch die Medaille schnappte sich „Dima“. 4:2 gewann Ovtcharov das Bronze-Match gegen Chuang Chih-Yuan aus Taiwan und feierte den zweiten deutschen Einzel-Triumph bei olympischen Spielen seit 16 Jahren, als Roßkopf in Atlanta ebenfalls Dritter geworden war. Gegen den Weltranglistenachten bewies die Nummer zwölf der Welt erneut die nötige Coolness und Klasse, um in die asiatische Phalanx an der Weltspitze einzubrechen.

+++ Nach Ovtcharov-Bronze: Deutschland hofft auf weiteres Edelmetall +++

Zeit zu feiern bleibt kaum, denn die beiden Freunde Boll und Ovtcharov mit dem deutschen Meister Bastian Steger (Saarbrücken) gehen bereits am Freitag (19.00/20.00) wieder auf Medaillenjagd, wenn der Team-Wettbewerb mit dem Achtelfinale gegen Schweden beginnt. An der internen deutschen Hierarchie gibt es auch nach Ovtcharovs starken Leistungen in London nichts zu rütteln, sagte der Bundestrainer. „Dazu bräuchte es noch ein paar Turniere, Medaillen und Erfolge mehr. Timo ist und bleibt ein sehr guter Teamleader“, sagte der 43-Jährige.

Gegen Chuang, Nummer acht der Welt, hatte der in Kiew geborene Weltranglisten-12. in einem packenden Duell zu Satzbeginn meist Probleme, ins Spiel zu finden, obwohl er als letzter Europäer vom Publikum lautstark unterstützt wurde. Doch wenn es brenzlig wurde, bewahrte „Dima“ die Nerven und drehte den zwischenzeitlichen 1:2-Rückstand.

Vor dem kleinen Finale hatte Ovtcharov nur rund dreieinhalb Stunden Zeit gehabt, die Halbfinal-Niederlage vom Vormittag gegen Weltmeister Zhang Jike zu verdauen. Dazu ging er schnell hinüber ins Hotelzimmer unmittelbar an der ExCel-Arena, das extra für die doppelte Medaillenchance angemietet worden war.

Wie man nach Tiefschlägen wieder aufsteht, hat Ovtcharov in seiner jungen Karriere bereits schon einmal bewiesen. Eine positive Dopingprobe auf Clenbuterol, wohl ausgelöst durch in China verzehrtes verunreinigtes Fleisch, ließ Ovtcharov im Herbst 2010 wochenlang um die Fortsetzung seiner Karriere bangen. Er wurde freigesprochen. „Damals habe ich erkannt, dass es Wichtigeres gibt als Tischtennis“, sagt Ovtcharov, „es war eine schwierige Zeit, aber ich habe das kaum noch im Kopf.“

Auch im Halbfinale gegen den Topfavoriten Zhang, der mit Vize-Weltmeister Wang Hao im chinesischen Finale um Gold kämpft, hatte der mutig aufspielende Ovtcharov Chancen, machte sich aber selbst das Leben schwer. Neben Boll drückten auf der Tribüne Innenminister Hans-Peter Friedrich und DOSB-Generaldirektor Michael Vesper die Daumen.

Bisher hatte nur der heutige Bundestrainer Roßkopf bei olympischen Spielen eine Einzelmedaille gewonnen. Der 43-Jährige unterlag damals im Halbfinale dem heutigen chinesischen Nationaltrainer Liu Guoliang, setzte sich im Spiel um Bronze dann aber gegen den Tschechen Petr Korbel mit 3:1 durch. Boll hat es in seiner Karriere trotz seines überdurchschnittlichen Talents bisher nie über ein olympisches Viertelfinale hinaus geschafft.

Im seit 1988 olympischen Tischtennis ist es bisher erst zwei Europäern gelungen, in das Finale einzuziehen. Der Schwede Jan-Ove Waldner gewann 1992 in Barcelona Gold durch einen Sieg gegen den Franzosen Jean-Philippe Gatien. Waldner stand 2000 in Sydney noch einmal im Endspiel, verlor dort aber gegen den Chinesen Kong Linghui.