Der 27-Jährige holte mit 68,27 Metern das erste deutsche olympische Leichtathletik-Gold seit den Spielen 2000. Der fünfte Versuch war entscheidend.

London. Robert Harting riss sich mit einem Urschrei das Trikot vom Leib, er flippte aus vor Glück, als er den Olymp gestürmt hatte. Dann wickelte er sich eine Deutschland-Fahne um seinen nackten Oberkörper, hüpfte sogar noch ausgelassen über die Hürden auf der Laufbahn. Die 80.000 Zuschauer johlten. Harting lief weiter, er stieg genüsslich langsam die fünf Stufen zum Olympischen Feuer hoch, berührte einen der Stäbe und blickte in Triumphpose auf die Flamme.

Eine Weile hatte es so ausgesehen, als würde er seine große Chance auf die Goldmedaille wegwerfen, zu flatterhaft waren seine Würfe mit dem Diskus im Finale von London. Dann das Comeback: 68,27 m im fünften Versuch - Gold! Nach WM- und EM-Titel war es der dritte Triumph des Berliner Modellathleten innerhalb von 343 Tagen. Ein historischer goldener Hattrick. „Ich bin einfach total happy. Es ist absolut geil“, sagte er, bekannte aber auch: „Es war echt spannend. Ich bin von mir selbst überrascht, ich hatte zwischendurch schwere Beine.“

Jeder erwarte diesen Titel, hatte der 27-Jährige zuvor gesagt. Jeder - das galt auch für ihn, nachdem der in diesem Jahr mit 70,31 und 70,66 m erstmals die frühere Traumgrenze übertroffen hatte. Harting erfüllte alle Hoffnungen und gewann mit seinem 29. Sieg in Serie binnen 730 Tagen als vierter Deutscher olympisches Diskus-Gold. Zuvor war dies Rolf Danneberg 1984 in Los Angeles, Jürgen Schult 1988 in Seoul und Lars Riedel 1996 in Atlanta geglückt.

Beinahe drohte Harting das Gold zu entgleiten. Im ersten Versuch hatte er 67,79 m vorgelegt, dann konterte der iranische WM-Dritte Ehsan Hadadi mit 68,18. Harting baute von Versuch zu Versuch ab - doch er behielt die Nerven und schlug im fünften eindrucksvoll zurück. Hadadi gewann mit Silber die erste olympische Leichtathletik-Medaille für sein Land. Bronze ging an Gerd Kanter (68,03), Olympiasieger von 2008 aus Estland. Martin Wierig aus Magdeburg wurde mit 65,85 m Sechster.

Harting, der sich nach dem knapp verpasstem Bronze 2008 in Peking geschworen hatte: „Ich werde nie wieder Vierter“, holte in London die dritte Medaille für die deutschen Leichtathleten. Silber hatten zuvor Kugelstoßer David Storl und Siebenkämpferin Lilli Schwarzkopf geholt. Wer auf Harting gewettet hatte, verdiente nicht viel: Die Siegquote des Diskus-Favoriten beim Sportwettenanbieter bwin lag bei 1,55 - wer auf den 100-m-Sieg von Usain Bolt (1,62) gesetzt hatte, kassierte ein bisschen mehr.

„Ich brauche den Olympiasieg, um die negativen Sachen aus meinem Leben zu spülen, um mich selber zu ertragen“, hatte Robert Harting in der Phase höchster Anspannung vor Olympia verkündet. Mit anderen krassen Aussagen trug der Sportsoldat und Kommunikations-Student sein Gefühlsleben nach außen und erwweckte das Bild eines innerlich zerrissenen Menschen erweckt.

Harting, ein Bär von einem Mann und ein kluger Kopf zugleich, räumt angesichts seiner oft markigen Sprüche ein, dass er sich gern mal selbst inszeniert. Der gebürtige Spreewälder hat Gesellschafts- und Wirtschaftskommunikation an der Berliner Universität der Künste studiert, bezeichnet sich als Unternehmer und weiß, wie man „als unterbezahlter Athlet“ durch die eine oder andere Schlagzeile an Sponsoren kommen kann.

Mit dem Olympiagold hat er das vielleicht nicht mehr nötig.(sid/abendblatt.de)