Hamburg. St. Georg im April 1906. Unruhe machte sich in der Familie Zürner breit, die im Viertel eine kleine Schlachterei besaß. Es ging dabei einmal nicht um "Snuten un Poten" oder eine neue Rezeptur für die hausgemachte Grützwurst. Nein, es ging um den 16-jährigen Sohn Albert, er hatte eine Einladung zu den Olympischen Zwischenspielen in Athen erhalten und packte seinen Koffer. 2000 Kilometer in die Fremde, das bereitete Kopfzerbrechen. Für den talentierten Wasserspringer vom "Schwimmverein Stern" war es das Abenteuer seines noch jungen Lebens. Schließlich ließ man ihn ziehen.

In Athen angekommen, wurde Zürner in einem umgebauten Tempel am Olympiastadion einquartiert. Der Hamburger Journalist L.C. May erinnerte sich: "Man hatte in die Seitengänge Verschläge eingebaut und so äußerst einfache Unterkunftsstätten geschaffen. Die verschiedenen Mahlzeiten, die im Grunde nur eine unendliche Variation der Hammelfleischzubereitung boten, wurden im großen Hauptsaal eingenommen." Die ungewohnte Kost schien dem Schlachtersohn zu munden und am Ende wurde er mit filigranen Sprüngen vom Turm überraschend Vierter. In der Hansestadt nahm man davon wenig Notiz, der Sportteil der Tageszeitungen berichtete fast ausschließlich über Pferderennen.

Ins mediale Rampenlicht sprang Zürner zwei Jahre später. In Berlin-Charlottenburg setzte er sich im Juli 1908 gegen die besten Springer des Reiches durch und gewann den von seiner Majestät Wilhelm II gestifteten Kaiserpreis - mit "Bohrern", modern: Schraubsprünge, die an Perfektion grenzten. Für die "Hamburger Nachrichten" "der größte Erfolg, den der Hamburger Schwimmsport seit seinem Bestehen zu verzeichnen hat."

Wenige Tage später bestieg er eine Fähre und reiste zu den Olympischen Spielen nach London. Es war eine große Ehre für Zürner und die Schwimmer der Welt, als sich King Edward VII am Becken zeigte. Spontan gaben die Sportler ein privates Vorschwimmen für den Monarchen. Nachdem er die schnellen Leiber durch das Wasser flitzen sah, zog ein Lächeln über das royale Gesicht. Edward VII was amused. Zürner auch. Er ereichte auf dem Dreimeterbrett das Finale und ließ dort die gesamte Konkurrenz hinter sich. Gold für Hamburg. Nach dem Wettkampf bekam er die Medaille und ein olympisches Diplom überreicht: "To Albert Zürner Winner of First Prize".

Zürner trat noch einmal bei den Olympischen Spielen 1912 in Stockholm an. Beim Turmspringen zeigte er einen großen Wettkampf und errang die Silbermedaille. Die Hoffnungen auf eine weitere Medaille in Berlin 1916 zerschlugen sich. Die Jugend der Welt fand sich in den Schützengräben wieder. Zürner überstand die Ur-Katastrophe des 20. Jahrhunderts und bereitete sich im Schwimmbad an der Alsterlust auf sein sportliches Comeback vor: Absprung, Drehung, Eintauchphase. Am 18. Juli 1920 - genau zwölf Jahre nach seinem Olympiasieg - verunglückte er nach einem Sprung tödlich. "Hamburgs bedeutendste Größe im Schwimmsport ist am Sonnabend an den Folgen eines Unfalls gestorben. Zürner errang 1908 die Weltmeisterschaft bei den Olympischen Spielen und trug den Ruhm seiner Vaterstadt weit über Deutschlands Grenzen. Mit Zürner ist nicht nur ein hervorragender Springer, sondern auch ein wahrer, trotz aller seine Erfolge bescheidener Mann dahingegangen."

Ganz Hamburg trauerte. Auch Hans Albers, der gerade als Stummfilmschauspieler seinen Durchbruch schaffte, war schockiert. Er hatte einen Jugendfreund verloren. So wurde Albert Hermann Zürner unter großer gesellschaftlicher Anteilnahme auf dem Ohlsdorfer Friedhof beerdigt, im Abschnitt "Q 36 - 498-500". Seinen Grabstein sucht man heute vergeblich. Die Frist für die Anlage war 1978 abgelaufen, der Stein wurde entfernt. Lutz Rehkopf, der Leiter der Öffentlichkeitsarbeit der Hamburger Friedhöfe, erklärt: "Es gibt zwar Prominentengräber in Ohlsdorf, doch wir sind bei der Einrichtung auf die Informationen der Kulturbehörde oder externer Personen angewiesen." Albert Zürner hatte keine Fürsprecher. Er war vergessen.