Rio de Janeiro. Grippeimpfung inklusive: Wie Mediziner die deutschen Sportler behandeln – am Beispiel des Hamburgers Michael Ehnert.

Eins will Michael Ehnert gleich klarstellen: „Doping ist bei mir ein absolutes No-Go, weil es der größte Feind des Sports ist!“ Wichtig ist dem 52-Jährigen diese Feststellung, weil er tief betroffen ist von der Affäre um staatlich gelenkten Dopingbetrug in Russland, die in den vergangenen Wochen die Vorfreude auf die Olympischen Sommerspiele in Rio de Janeiro überschattet hatte. Vorfreude, die sich Ehnert dennoch nicht nehmen lässt.

Als leitender Teamarzt des Deutschen Schwimmverbands ist der Hamburger, der das Institut für Sportmedizin und Prävention der Asklepios Kliniken GmbH am Standort St. Georg leitet, nach Brasilien entsandt. Auch durch die medizinische Betreuung nahezu aller Athleten des Olympiastützpunktes Hamburg/Schleswig-Holstein, dessen Hauptsponsor Asklepios ist, hat der Internist Kontakt in viele andere Sportarten – und beste Einblicke in die medizinische Vorbereitung der Athleten auf die Spiele in Brasilien, die logistisch einiges abverlangte.

Zunächst war da die Anforderung von Bernd Wolfarth. Der Leitende Arzt des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB) von der Berliner Humboldt-Universität rief die 452 deutschen Rio-Starter auf, eine Liste aller Medikamente und Nahrungsergänzungsmittel zu erstellen, die sie regelmäßig zu sich nehmen. Ehnert unterstützte diese Maßnahme. „Letztlich ist jeder Sportler selbst verantwortlich dafür zu überprüfen, ob das, was er nimmt, erlaubt ist. Aber wenn ich einen genauen Überblick habe, kann ich den Athleten dabei helfen, die Kontrolle darüber zu behalten, ob die Einnahme auch sinnvoll ist.“

Ein Beispiel verdeutlicht, was er meint. Viele Sportler nehmen Magnesiumpräparate, um das Risiko von Muskelkrämpfen zu minimieren. Sie übersehen aber, dass Magnesium auch in anderen Präparaten enthalten ist, sodass es zu einer Überdosierung kommen kann, die schädlich sein könnte. Dies auszuschließen sieht Ehnert als Teil seiner präventiven Arbeit.Viel wichtiger aber ist, die Sportler für die Gefahren zu sensibilisieren, die die Einnahme von Medikamenten und Nahrungsergänzung darstellen kann. Die Nationale Antidoping-Agentur (Nada) hat in einer App eine umfangreiche Liste bereitgestellt, auf der einsehbar ist, welche Mittel erlaubt, welche verboten sind. Die Tücken stecken im Detail, was am Beispiel des Schmerzmittels Aspirin verständlich wird. So ist normales Aspirin sowohl im Training als auch im Wettkampf erlaubt, der Kombinationswirkstoff Aspirin Complex dagegen im Wettkampf verboten, da er Pseudoephedrin enthält, das als Stimulanzmittel gilt.

Seit das Internationale Olympische Komitee (IOC) seine Regularien in diesem Jahr verschärft hat, gilt für Wettkämpfe ein Zeitraum von zwölf Stunden vor bis zwölf Stunden nach dem Start. Wer also in dieser Zeit Aspirin Complex einnimmt, könnte positiv getestet werden. „Wenn wir eine genaue Übersicht bekommen, können wir unsere Athleten besser schützen“, sagt Ehnert.

Noch wichtiger ist die Transparenz bei den Nahrungsergänzungsmitteln. Ehnert hält die Nada-Empfehlung, auf deren Einsatz zu verzichten, für richtig, weiß aber auch, dass in der Praxis viele Athleten nicht danach handeln. Um die Sportler davor zu bewahren, im Internet günstige, aber oft mit verbotenen Substanzen verunreinigte Produkte zu erwerben, gibt es die Kölner Liste, auf der nur Mittel von Anbietern stehen, die sich einer freiwilligen Selbstkontrolle unterziehen. „Wer sich dort bedient, ist relativ sicher“, sagt Ehnert.

Um den generellen Gesundheitszustand der Athleten zu überprüfen, gab es zwar keine zusätzlichen Untersuchungen über den jährlich vorgeschriebenen Check hinaus. „Aber wir haben die Sportler engmaschiger beobachtet, um zu sehen, wie sie auf die Belastungen reagieren.“ Besonderes Augenmerk wurde auf den Impfstatus gelegt. Zwar gibt es in Brasilien Impfpflicht nur für Menschen, die aus Gelbfiebergebieten einreisen. Dennoch empfahl der DOSB seinem Team zusätzlich zu dem in Deutschland üblichen Schutz gegen Tetanus, Diphterie, Masern, Röteln und Mumps eine Hepatitis-A-Impfung.

Auch der Arzt weiß: Doping ist nicht auszuschließen

Außerdem wurde dazu geraten, sich gegen die in Südamerika grassierenden Grippeviren zu impfen. Problem: Der Impfstoff war kaum erhältlich und so schnell vergriffen, dass nicht alle geimpft werden konnten. Zudem gibt es, wie in der Gesamtbevölkerung auch, unter den Athleten durchaus grundsätzliche Vorbehalte gegen Impfungen. „Deshalb haben wir auch niemanden zu irgendetwas gezwungen“, sagt Ehnert.

Für das wichtigere Thema hält der Hamburger Fachmann sowieso die Prävention. In diversen Gesprächen wurden die Athleten auf mehrere Maßnahmen zur Abwehr von Viren und Bakterien geschult. Ganz oben auf der Liste: Schutz gegen Mücken, da diese die gefährlichen Fieberarten Dengue und Chikungunya übertragen. Ehnert: „Wer sich damit infiziert, für den sind die Spiele gelaufen.“ Das DOSB-Team wird in Rio mit dem Insektenschutz „Anti Brumm“ ausgestattet, zusätzlich sollen Mückengitter vor den Fenstern und Moskitonetze vor Stichen bewahren. Ehnerts Spezialtipp ist die Einnahme von hoch dosiertem Vitamin B1, da Mücken dessen Ausdünstungen nicht mögen.

Um sich vor Grippe- oder Magen-Darm-Erkrankungen zu schützen, sollen die Athleten Menschenansammlungen meiden wie Händeschütteln. Eiswürfel in Getränken sind tabu wie ungeschältes Obst und Gemüse. Das Fleisch im olympischen Dorf gilt dagegen als sicher wie auch das Leitungswasser, das allerdings aufgrund des hohen Chlorgehalts kaum trinkbar ist.

Wer trotzdem krank wird oder sich verletzt, dem stehen die große Apotheke und alle Fachbereiche der Poliklinik zur Verfügung, die vom IOC geleitet wird. Zusätzlich dazu bietet der DOSB im Haus der deutschen Athleten im olympischen Dorf eine eigene Medizineinheit an, auf der Malade behandelt und notfalls auch isoliert werden können. Den dafür notwendigen Medikamentenbestand hat Chefarzt Wolfarth rechtzeitig durch den Zoll gebracht. Alle Teamärzte, die für die Dauer der Spiele in Brasilien lizenziert werden, einen Test bestehen und ein erweitertes polizeiliches Führungszeugnis vorlegen mussten, unterstützen diese Abteilung und können dort zum Dienst eingeteilt werden, sollen aber grundsätzlich den Athleten an ihren Trainings- und Wettkampfstätten zur Verfügung stehen.

Als besonderen Service bietet Ehnert seinen Athleten an, sie zu den Dopingkontrollen zu begleiten, die von der Welt-Antidoping-Agentur (Wada) durchgeführt werden. „Als Berater und Zeuge“ möchte er zur Verfügung stehen. Selbst Blut abnehmen, wie es manch Sportler wünscht, darf er nicht. Grundsätzlich ist er überzeugt, dass „alle, die bei mir sind, sauber sind“. Dennoch ist auch Ehnert klar, dass Betrug niemals auszuschließen ist, auch wenn penibel kontrolliert wird. „Wer betrügen will, der wird das tun und diese Substanzen auf keine unserer Listen schreiben“, sagt er. Alles in seiner Macht Stehende getan zu haben, um die Gesundheit seiner Athleten zu erhalten, trägt aber zur Vorfreude auf die Spiele bei.