Hamburg. Dirk Schimmelpfennig, Vorstand Leistungssport des DOSB, über die Chancen der deutschen Athleten in Brasilien.

Eine gewisse Aufregung will Dirk Schimmelpfennig nicht verbergen. „Ich bin riesig gespannt auf meine neue Aufgabe und hoffe, dass ich meinen Beitrag leisten kann, um die Bedingungen für die Athleten so gut wie möglich zu gestalten“, sagt der 54-Jährige, der seit dem 18. Juli in Rio de Janeiro weilt und dort bereits seine siebten Olympischen Sommerspiele erleben wird – erstmals allerdings in der Funktion als Sportlicher Leiter des Deutschen Olympischen Sportbundes (DOSB). Seit März 2015 gehört der ehemalige Sportdirektor des Deutschen Tischtennis-Bundes dem DOSB-Vorstand an, und natürlich hat er dank seiner jahrzehntelangen Erfahrung eine dezidierte Meinung zu vielen sportpolitischen Themen.

Herr Schimmelpfennig, wer in den vergangenen Monaten die Nachrichten aus Brasilien verfolgte, der wird nur schwierig Vorfreude auf die Olympischen Spiele empfinden können. Warum freuen Sie sich trotzdem?

Dirk Schimmelpfennig: Wir wissen seit einiger Zeit, dass Brasilien in vielen Bereichen eine sehr harte Zeit durchlebt. Wirtschaftlich, ökologisch, sozial, und auch im gesundheitlichen Bereich hat das Land Probleme. Aber man hat uns versichert, dass wir uns keine Sorgen machen müssen. Wir werden sicherlich Geduld brauchen und auch mal improvisieren müssen, doch wir vertrauen darauf, dass es tolle Spiele werden.

Sie sind seit zwei Wochen in Rio. Welche Probleme nehmen Sie wahr?

Es gab Mängel im Athletendorf, aber auf Initiative unserer Delegation wurden Handwerker beauftragt, diese zu beheben. Zahlreiche Sportler sind bereits eingezogen, bis jetzt gab es keine großen Klagen.

Kann man sich darauf verlassen, dass die Brasilianer, die von sich selbst behaupten, ein Volk zu sein, das alles auf den letzten Drücker tut, mit ihrer Begeisterungsfähigkeit alles zum Guten wenden?

Selbstverständlich hoffen wir auf diese Begeisterung, andererseits muss man die Lage nicht dramatisieren. Die Athleten werden professionelle Bedingungen vorfinden. Die Probleme, besonders die infrastrukturellen, werden vor allem die Zuschauer spüren.

Der chaotische Verkehr in Rio könnte sehr wohl auch die Athleten treffen. Viele haben Unterkünfte nahe ihrer Sportstätten gebucht, weil sie befürchten, der Weg vom Athletendorf könnte zur Tortur werden.

Das ist eine normale, professionelle Vorbereitung. Außenstandorte gab es schon immer und wird es auch in Rio geben. Wir hoffen, dass die zwischen den Wettkampforten eingerichtete Olympic Lane funktionieren wird. Andererseits müssen wir uns auch darauf einstellen. Das gehört zu einem professionellen Verhalten dazu.

Die Sorgen der Athleten drehen sich auch um Gesundheit, das Zika-Virus hat einige internationale Stars zur Absage bewegt. Zudem ist die Kriminalität ein Thema. Wie bereiten Sie Ihr Team darauf vor?

Wir haben vor Monaten begonnen, unsere Athleten umfassend über die Situation in Brasilien zu informieren. Zika, auch die schlechte Wasserqualität im Segelrevier sind seit vielen Monaten ein Thema. Die Gesundheit ist das Wichtigste für die Sportler, ihr Körper ist ihr Kapital. Wir haben alles getan, um uns bestmöglich darauf einzustellen. Die medizinische Versorgung wird sehr gut sein, unsere Ärzte wissen um alle Schwierigkeiten. Was die Kriminalität angeht, muss sich innerhalb des olympischen Systems niemand sorgen. Das ist eher ein Thema, wenn man das Dorf oder die Wettkampfstätten verlässt. Aber auch dafür haben wir Verhaltensregeln kommuniziert.

Was die Kommunikation angeht, scheint in der Führung des deutschen Leistungssports zuletzt auch einiges schief gelaufen zu sein. Der Streit zwischen DOSB-Präsident Alfons Hörmann und Siegfried Kaidel, dem Sprecher der Spitzensportverbände, hätte fast zu Hörmanns Rücktritt geführt, dazu gibt es intern Vorwürfe gegen den Chef de Mission Michael Vesper. Geht der deutsche Sport führungslos nach Rio?

Dirk Schimmelpfennig (54)
Dirk Schimmelpfennig (54) © dpa | Bernd Thissen

Sicher nicht. Es gab zwar einige Diskussionen in jüngster Vergangenheit, aber inzwischen konnte alles geklärt werden. Grundsätzlich war zu erwarten, dass die für die Zeit nach Rio geplante Spitzensportreform zu kontroversen Diskussionen führen würde.

Das kann niemanden verwundern. Verkürzt dargestellt lautet das Leitmotiv dieser Reform, mehr Medaillen mit weniger Geld. Kann das funktionieren?

Das ist tatsächlich mehr als verkürzt und auch nicht korrekt dargestellt. Wir wollen mit der Reform erreichen, dass der deutsche Spitzensport sich dem Vergleich mit der Weltspitze stellen kann, damit wir es schaffen, dass wir in den Bereichen, in denen wir Potenzial sehen, erfolgreicher werden können. Dass man nicht mit weniger Geld mehr Gold holt, ist uns allen klar.

Es geht aber weiter in die Richtung, dass nicht mehr alle Sportarten gefördert werden, sondern nur noch die, in denen Deutschland stark ist.

Welche finanziellen Mittel wir zur Verfügung haben werden, können wir erst sagen, wenn die Reform umgesetzt wird und die Bedarfe ermittelt sind. Klar ist aber, dass die Verbände mit guten Erfolgspotenzialen, die bessere Konzepte vorstellen und zielgerichteter arbeiten, auch künftig erfolgreicher sein und deshalb besser gefördert werden. Wir wollen alles herauskitzeln, was möglich ist.

Was ist denn mit der bestehenden Struktur in Rio möglich?

Die Ende 2012 zu Beginn des Olympiazyklus mit allen Verbänden beschlossenen Zielvereinbarungen hatten zwischen 40 und 70 Medaillen zum Ziel. Wir möchten das Ergebnis von London 2012, als Deutschland 44 Medaillen (elfmal Gold, 19-mal Silber, 14-mal Bronze, die Red.) gewann, bestätigen und nach Möglichkeit noch etwas verbessern. Ich bin sehr zuversichtlich, dass unser Team dazu in der Lage ist.

Ein Hamburger Spitzenathlet sagte kürzlich, angesichts der Dopingproblematik sei es vermessen, von deutschen Athleten überhaupt Medaillen zu erwarten.

Das kann man so pauschal nicht für alle Sportarten behaupten. Sich selbst hohe Ziele zu stecken, halte ich für geboten. Ich denke, dass unsere Vorgaben weder unrealistisch noch unredlich sind.

Haben Sie Verständnis dafür, wenn Athleten angesichts des Ungleichgewichts in der Bekämpfung des Dopingproblems Mut und Spaß verlieren?

Wer sich jahrelang auf ein herausragendes Erlebnis wie Olympia vorbereitet und dann feststellen muss, dass es keinen fairen Wettkampf gibt, der muss frustriert sein. Umso wichtiger ist es, dass wir noch härter daran arbeiten, zu fairem Sport zu gelangen, indem wir Betrug ächten und bekämpfen.

Insofern hat das IOC ein wichtiges Zeichen verpasst, als es den Komplettausschluss der des staatlichen gelenkten Dopings bezichtigten russischen Mannschaft ablehnte.

Das IOC reagiert mit dieser Entscheidung auf den aktuellen McLaren-Report, ohne dabei russische Athleten, die nachweislich einen dopingfreien Leistungssport betreiben, zu bestrafen. Die Verantwortlichen der betroffenen internationalen Fachverbände setzen jetzt die Vorgaben um. Es wird sich danach zeigen, wie deutlich damit ein Zeichen gegen die bekannt gewordenen, langjährigen Dopingpraktiken gesetzt werden kann.

Viele Menschen wenden sich ab vom Leistungssport, weil sie genau dieses Gefühl nicht haben: dass alles getan wird, um Betrug zu bekämpfen.

Wir wissen um dieses Problem. Umso wichtiger ist es mir herauszustellen, dass das, was das IOC mit seiner Agenda 2020 und zuletzt mit der harten Strafe gegen russische Athleten deutlich gemacht hat, ein Meilenstein im Kampf gegen Doping ist. Dort, wo systemisch gedopt wird, müssen klare Signale gesetzt werden. Das Problem ist erkannt, Maßnahmen, um es zu bekämpfen, sind eingeleitet. Aber dass es ein schwieriger Weg wird, ist auch klar.

Natürlich ist Deutschland kein Hort der sauberen Athleten. Dennoch bleibt das Gefühl, dass Dopingsünder hierzulande mehr geächtet werden, während etwa in Russland das Unrechtsbewusstsein fehlt.

Das will ich nicht beurteilen. Fakt ist, dass die Glaubwürdigkeit der Erfolge im Mittelpunkt stehen muss und nicht der Erfolg mit allen Mitteln. Da muss in einigen Nationen ein Umdenken stattfinden. Das ist alternativlos.

Angesichts der Diskussion, ob eine hoch verschuldete Stadt wie Rio Sommerspiele ausrichten sollte, wenn im ganzen Land Notstand herrscht, muss auch das Thema Nachhaltigkeit angesprochen werden.

Auch das gehört für mich zur Glaubwürdigkeit. Ich denke, dass die positiven Entwicklungen im öffentlichen Verkehrsnetz in Rio und die Planungen zur Nachnutzung der Wettkampfstätten und Appartements im olympischen Dorf richtige Signale sind.

Haben Sie keine Sorge, dass Rio so überfordert sein könnte, dass die Zeichen, die von diesen Spielen ausgehen, so negativ sein werden, dass das gesamte Konstrukt Olympia darunter nachhaltig leidet?

Wir werden versuchen, unseren Beitrag zu erfolgreichen Spielen zu leisten, indem wir uns weltoffen präsentieren und die Eigenheiten des Gastgeberlandes annehmen, gleichzeitig aber die Themen kritisch ansprechen, die angesprochen werden müssen.