Wie der Champions-League-Sieger HSV Hamburg seine Zukunft plant. Jetzt muss sich zeigen, was der Erfolg der Handballer wert ist. Finanziell wird sich der Sieg in der Champions League auszahlen.

Hamburg/Köln. Kurz vor ein Uhr in der Nacht erklärte sich Martin Schwalb nicht mehr für den mittelbaren Erfolg seiner Mannschaft zuständig. "Was in den nächsten Tagen passiert, liegt nicht in meiner Hand. Wer aber jetzt nicht feiert, hat etwas falsch gemacht. Diese Sause haben sich die Jungs verdient. Sie haben unglaublich hart für diesen Triumph geschuftet", sagte der Trainer der HSV-Handballer, bevor sein iPhone klingelte und Niklas Albers, einer der drei Physiotherapeuten des Teams, aus Washington D. C. seine Glückwünsche zum Champions-League-Sieg übermittelte: "Grandios, einfach grandios!" Albers musste den größten Triumph der elfjährigen Vereinsgeschichte des HSV Hamburg aus der Ferne begleiten, weil er lieber Jürgen Klinsmanns US-Fußball-Nationalmannschaft massierte.

Mitten drin stand dagegen wieder Andreas Rudolph, der ehemalige Präsident, Sponsor und Mäzen. Aus Loge 525 der Kölner Lanxess-Arena hatte er den finalen 30:29-Sieg gegen den FC Barcelona verfolgt und anschließend Mannschaft, Präsidium, Aufsichtsrat und Fans in das Restaurant Henkelmännchen gegenüber der Halle eingeladen. Es wurde eine lange Nacht. Marketingmitarbeiterin Julia Ninic postete kurz vor sechs Uhr ihre letzten Eindrücke vom Freudenfest. "Wir haben 30 Jahre nach dem Sieg der HSV-Fußballer in Athen den Europapokal der Landesmeister wieder nach Hamburg geholt", jubelte Allrounder Matthias Flohr, "und darauf sind wir alle mächtig stolz."

Die Stadt auch. Am kommenden Sonntag empfangen Bürgermeister Olaf Scholz und Sportsenator Michael Neumann das Team auf dem Rathausbalkon. Die Handballer sind hier inzwischen Stammgast. 2006, nach ihrem ersten deutschen Pokalsieg, 2007, nach Gewinn des Europapokals der Pokalsieger, und 2011 nach dem Titelgewinn in der Bundesliga grüßten Kapitän Pascal Hens und Kollegen schon vom Regierungssitz. Vor zwei Jahren feierten rund 10.000 Handballfans die Meistermannschaft auf dem Rathausmarkt.

Der Triumph in der Liga wurde aber zur Zäsur. Andreas Rudolph bereitete seinen Rückzug vor, der ältesten Mannschaft der Bundesliga fehlten fortan Biss und Konstanz, Tugenden, die sie zuvor ausgezeichnet hatten. Und hätte der HSV nicht die Champions League gewonnen, der Verein hätte wohl das erste Mal seit 2007 die Teilnahme an der Königsklasse verpasst. Nun besteht die Chance, sich wie im Vorjahr im September über ein Wildcard-Turnier zu qualifizieren. Der HSV wird sich als Ausrichter bewerben.

Als Andreas Rudolph Ende Dezember 2004 den damals insolventen Club übernahm und 4,1 Millionen Euro Schulden beglich, schrieb er in seine Agenda 2010 den Gewinn der Meisterschaft und der Champions League. "Mein Bruder hat es nicht so mit den Zahlen", meinte sein Bruder Matthias, der vor elf Monaten das Präsidentenamt von Schwalb übernahm. Das Wortspiel schien ihn diebisch zu freuen. Denn es ist Andreas Rudolph, der den Club bis heute mit Zahlungen und Darlehen am Leben hält. "Ich danke unseren großartigen Fans und dieser fantastischen Mannschaft", sagte Matthias Rudolph bei seiner Siegesrede im Henkelmännchen, "und ich danke ganz besonders meinem Bruder und Martin Schwalb. Ohne diese beiden gäbe es den HSV Hamburg längst nicht mehr."

Speziell der Erfolg von Köln trägt die Handschrift des Trainers, der gleichzeitig Geschäftsführer der Spielbetriebs GmbH + Co. KG ist. "Er hat im Halbfinale gegen den THW Kiel (39:33) und im Endspiel gegen Barcelona taktisch alles richtig gemacht. Auch konditionell war das Team voll auf der Höhe. Zwei solche Topleistungen innerhalb von nur 24 Stunden sprechen für die hervorragende Arbeit des Trainers", lobte der stets kritische Aufsichtsrat Fritz Bahrdt, 72, in den 1960er-Jahren selbst Handball-Nationalspieler, den Coach ungewöhnlich überschwänglich.

Mit dem Gewinn der Champions League, und diese nachdenklichen Töne mischten sich in der langen Nacht von Köln immer wieder in die Jubelarien, hoffen nun viele im HSV, dass der Club endlich zur Ruhe kommt, interne Querelen und Differenzen beigelegt werden und der ständige, nervenzehrende Kampf um die Finanzierung des Etats fürs Erste ausgestanden ist.

Liquiditätsprobleme zogen sich durch die laufende Serie. Im August hatte Matthias Rudolph beschlossen, die Spieler sollten auf 20 Prozent ihres Gehaltes verzichten; eine Forderung, die am Ende nicht durchgesetzt werden konnte. Vermarkter Kentaro hatte die vertraglich vereinbarten Zahlungen im Frühjahr 2012 eingestellt, Vergleichsverhandlungen platzen lassen, um, was nicht wenige vermuten, den Verein in die Insolvenz zu treiben. Alle Vereinbarungen wären dann nichtig gewesen. Das Landgericht Hamburg verurteilte nun kürzlich das Unternehmen, seine Verpflichtungen aus dem bis Ende März 2015 gültigen Vertrag zu erfüllen. Dem HSV stehen noch 3,2 Millionen Euro zu.

Finanziell wird sich der Sieg in der Champions League auszahlen. 495.000 Euro an Prämien überweist der Europäische Handballverband, bei der Vereins-WM Ende August in Doha (Katar), für die der HSV sich qualifiziert hat, sind Preisgelder von bis zu 400.000 Euro zu verdienen. Präsident Matthias Rudolph erwartet zudem, dass mit dem Titel die Vermarktung neue Dynamik gewinnt. Frank Rost, der ehemalige HSV-Fußballtorwart, soll diesen Bereich künftig verantworten. "Wir sind uns weitgehend einig, nur der Stempel fehlt noch", sagte Rudolph. Auch hofft der Präsident auf eine neue Fan-Euphorie - in den vergangenen zwei Jahren ging der Besucherdurchschnitt in der Bundesliga um mehr als 2000 Zuschauer auf 9222 zurück - und größere Unterstützung durch die Stadt. "Wir sind mit dem Titel in Vorleistung getreten", sagt Rudolph, "jetzt muss sich zeigen, was er Unternehmen, Politik und dem Hamburger Sportpublikum wert ist."

Die sportlichen Ziele sind definiert. Rudolph: "Wir wollen uns an der Spitze halten, bis 2020 dreimal deutscher Meister werden und mindestens noch einmal die Champions League gewinnen." Kreisläufer Igor Vori (nach Paris), Spielmacher Michael Kraus (Göppingen), Linksaußen Fredrik Petersen (Füchse Berlin), Talent Stefan Terzic (Kristianstad/Schweden) und Marcin Lijewski (Spielertrainer in Polen) werden den Verein verlassen, Torhüter Dan Beutler verabschiedete sich im April Richtung Katar. Kraus, der in Köln eines seiner wenigen herausragenden Spiele in den vergangenen drei Jahren für den HSV lieferte, und Petersen waren im Finale nach ihrer Einwechslung in der zweiten Hälfte die Matchwinner.

Mit den Gummersbachern Kentin Mahé (Linksaußen) und Adrian Pfahl (Halbrechts), dem Flensburger Peter Djordjic (Halblinks), den Dänen Marcus Cleverly (Tor) und Henrik Toft Hansen (Kreis) sowie Eigengewächs Kevin Herbst hat der HSV die Verjüngung des Teams eingeleitet. Die sechs treten ein schweres Erbe an. Schwalb aber freut sich auf die Herausforderung. Spätestens im Juli wird er sich wieder für den Erfolg des Teams verantwortlich fühlen. Im letzten Heimspiel am Mittwoch (19 Uhr, O2 World) gegen Lemgo darf weiter gefeiert werden. Der HSV hofft auf 11.000 Besucher. Das wäre die bisher größte Kulisse des Jahres.