Der HSV-Handballtorhüter spricht im Abendblatt-Interview über seine Verletzungspause und seinen Kampf gegen die Terminhatz.

Hamburg. An diesem Mittwoch wird Enid Tahirovic im Spiel gegen MT Melsungen (20.15 Uhr, O2 World) schon nicht mehr im Aufgebot der HSV-Handballer stehen. Der 40 Jahre alte Torhüter ist zum Konkurrenten Frisch Auf Göppingen zurückgekehrt. Sein zeitlich befristeter Auftrag in Hamburg ist mit der Genesung von Johannes Bitter beendet. Bitter, 30, bestreitet neun Monate nach seinem Kreuzbandriss erstmals wieder ein Heimspiel.

Hamburger Abendblatt: Herr Bitter, am 25. März haben Sie sich das Kreuzband gerissen. Haben Sie immer geglaubt, dass Sie ins HSV-Tor zurückkehren werden?

Johannes Bitter: Wenn man so lange verletzt ist, gibt es in der Rehabilitation immer wieder Phasen, in denen man zweifelt, ob man jemals wieder vollkommen gesund wird. Manche Tage waren richtig hart. Ich kannte diese Situation ja nicht, weil ich vorher nie länger ausgefallen war. Mehr als einmal habe ich gedacht, das wird nichts mehr. Ende August, Anfang September, als ich in meinem Genesungsprozess einen schweren Rückschlag erlitten hatte, glaubte ich, mich mit meinem Karriereende abfinden zu müssen.

Was hat Ihnen letztlich geholfen, dass Sie nicht aufgegeben haben?

Bitter: Als Leistungssportler gibt man nie einfach auf. Es geht immer weiter, weiter, weiter. Das hat man über die Jahre verinnerlicht. Und dann gab es ja immer wieder Fortschritte. Selbst wenn sie noch so klein waren, klammert man sich daran. Wenn dann noch die Schmerzen nachlassen, wird man richtig euphorisch. Ich war selber überrascht, welche Freude bereiten kann, ohne Schmerzen aufstehen zu können. Dass mit Oscar Carlén ein Mannschaftskamerad mein Schicksal teilte, hat uns beiden zusätzlich geholfen.

An welche Momente erinnern Sie sich noch während Ihrer Reha?

Bitter: An wenige. Es war eine eintönige Zeit, stets derselbe Rhythmus. Alle Tage sahen irgendwie ähnlich aus, keine Spiele, keine Reisen. Trotzdem habe ich es sehr genossen, ganz gewöhnlich Arbeitszeiten zu haben. Fünf bis sechs Tage arbeiten, dann ein oder zwei Tage frei. Meine Familie hat sich gefreut, dass ich plötzlich viel öfter zu Hause war. Schwer war es, bei unseren Spielen hinter der Bande zu stehen und nicht helfen zu können. Da flippst du innerlich aus. Entspannt zugucken, das kann ich nicht. Hinzu kommt, dass es bei uns in den vergangenen Monaten nicht alles optimal lief. Das macht die eigene Passivität noch schwerer erträglich.

Haben Sie Pläne entwickelt, wie es nach Ihrer Karriere weitergehen soll?

Bitter: Diese Überlegungen kommen unweigerlich. Mal werden sie konkreter, dann schiebt man sie wieder entrüstet von sich weg, weil man ja jeden Tag um die Fortsetzung seiner Karriere kämpft. Nach all den Erfahrungen könnte ich mir vorstellen, später einmal im Reha- oder Athletikbereich zu arbeiten. Aber erst einmal möchte ich gerne noch ein paar Jahre Handball spielen.

Welche Spuren haben die vergangenen neun Monate bei Ihnen hinterlassen?

Bitter: Ich kehre mental und körperlich gestärkt zurück. Ich habe das Gefühl, dass ich in einigen Bereichen fitter bin als jemals zuvor. Viele Erfahrungen, die ich in der Reha machen durfte, habe ich in mein tägliches Training eingebaut, sodass ich noch stabiler werden kann.

Heißt das, in den Vereinen wird schlecht trainiert?

Bitter: Sie können im Spielbetrieb nicht so hart und intensiv trainieren. Dann wären Sie in den Spielen kaputt. In der Reha dagegen können Sie über Wochen und Monate vier bis sechs Stunden täglich einen gezielten, muskulären Aufbau machen. Davon profitiere ich.

Im Handball hat sich die Zahl der schweren Verletzungen gehäuft. Als Mitbegründer der Spielergewerkschaft GOAL Deutschland kämpfen Sie seit zwei Jahren gegen die Terminflut, die ein vernünftiges Regenerieren der Spieler ausschließt. Was haben Sie bisher erreicht?

Bitter: Erfolge gibt es bereits. So wurde in der Bundesliga das letzte Spiel des Jahres gestrichen. Im europäischen Verband EHF sitzen jetzt zwei Spielervertreter in einer wichtigen Kommission. Wir haben also mehr Mitspracherecht. Das sind Anfänge, es liegt aber noch ein sehr langer Weg vor uns. Das kann viele Jahre dauern, bedarf vieler Unterstützung und bedeutet auch eine Menge Arbeit. Irgendjemand muss jedoch den ersten Schritt tun. Und den haben wir getan.

GOAL Deutschland hat inzwischen rund 100 Mitglieder. Sind Sie mit der Zahl zufrieden? In der Ersten und Zweiten Bundesliga gibt es mehr als 500 Spieler.

Bitter: Das Ganze ist ein Prozess, der sich in zwei Phasen teilt. Zunächst muss man begreifen, was die Terminhatz für die Karriere bedeutet, dass sie der Gesundheit schadet und letztlich die Zeit verkürzt, in der man mit Handball Geld verdienen kann. Und dann muss man verstehen, dass man dagegen als Gemeinschaft etwas tun kann. Da bedarf es hier und da schon noch etwas Aufklärungsarbeit. Wir haben aber noch eine Menge anderer wichtiger Punkte auf der Agenda, die angegangen werden.

Sorgen dürfte Ihnen auch bereiten, dass es offenbar immer weniger Geld im System Handball zu geben scheint.

Bitter: Da widerspreche ich. Viele Potenziale sind bislang nicht genutzt worden. Dazu gehört zum Beispiel ein verlässlicher Spielplan, mit den Bundesligaspitzenspielen am Wochenende und dem Europapokal in der Woche - wie im Fußball. Das würden nicht nur die Fans begrüßen, dann würden wahrscheinlich auch die öffentlich-rechtlichen Anstalten wieder verstärkt in die Berichterstattung einsteigen. Und das wäre wichtig als Plattform für die Sponsoren.

Außer der Bundesliga will aber niemand in Europa die internationalen Handballspiele in der Woche austragen.

Bitter: Warum eigentlich? Ich glaube, die Hallen in Veszprém, Kielce und anderswo wären auch mittwochs voll, wenn der HSV oder der THW Kiel vorbeischaut. Festzustellen bleibt, dass die jetzigen TV-Konstellationen dem Handball wenig helfen, um mehr Gelder zu akquirieren. Es gibt meiner Meinung nach noch viel ungenutztes Potenzial.

Ihr Vorschlag?

Bitter: Es muss in Zusammenarbeit mit der EHF ein verlässlicher Spielplan her. Für uns Spieler, für die Vereine, aber gerade für die Fans. Das ist ein großes Projekt, aber ich finde, das ist das einzige Mittel, den Handball dauerhaft auf hohem Niveau zu etablieren. Selbst ich weiß oft nicht, wann wir übernächste Woche spielen, wie soll sich das ein Fan merken und dauerhaftes Interesse entwickeln? Der Fußball hat es geschafft, und im Handball geht es auch, wenn an einem Strang gezogen wird. Dann wird der Druck auf die Fernsehanstalten automatisch größer, da das Interesse der Fans steigt. Dadurch wird der Handball wiederum attraktiver für überregionale Sponsoren und so weiter. Dieser Kreislauf muss in Gang gesetzt werden.

Sie kehren jetzt in eine Mannschaft zurück, die anderthalb Jahre nach dem Meistertitel im Mittelmaß versunken ist. Es fehlte zuletzt wiederholt die Leidenschaft, aber auch die taktische Disziplin. Haben Sie eine Erklärung dafür?

Bitter: Wenn permanent vier bis fünf Leistungsträger verletzt sind, ist das für jede Mannschaft der Welt schwer zu verkraften. Zumal einige andere Spieler aufgrund der hohen Belastung ständig mit kleineren Verletzungen zu kämpfen hatten. Dass dann auf dem Feld Fehler passieren, ist normal. Dass man dann auch mal den Kopf in den Sand stecken möchte, kann ich verstehen, darf aber nicht passieren. Trotz aller Probleme muss jeder kämpferisch immer alles aus sich herausholen. Allein damit kann man schon so manche Unsicherheit wettmachen. Zum Glück haben wir jetzt mehr und mehr fitte Spieler zur Verfügung, sodass wir den letzten Eindruck ganz schnell korrigieren können.