Ab sofort heißt es bei der WM: Siegen oder fliegen. Auch für die Gastgeber um Superstar Neymar geht es auf ihrer „Mission Hexa“ ab jetzt um alles oder nichts. Aber Chiles Krieger wollen zum Partyschreck werden.

Belo Horizonte. Neymar-Mania oder GAU: Die Seleção und Superstar Neymar sind im Achtelfinal-Kracher gegen Chile (Samstag, 18.00 Uhr MESZ im Liveticker auf abendblatt.de) zum Siegen verdammt. Alles andere als ein Weiterkommen gegen den Lieblingsgegner im ersten Südamerika-Duell der WM würde ganz Brasilien in ein Tal der Tränen stürzen. Doch der Respekt vor den Kriegern der La Roja um Arturo Vidal und Alexis Sanchez ist im Lager des Top-Favoriten gewaltig.

„Hätte ich die Wahl gehabt, ich hätte sie sicher nicht ausgesucht“, sagt Brasiliens Trainer Luiz Felipe Scolari und fügte am Freitag hinzu: „Sie sind sehr gut organisiert, sehr dynamisch. Wenn wir nicht aufpassen, werden wir Schwierigkeiten bekommen.“

Gegen die extrem aggressiven Quälgeister des Rivalen setzt der 65-Jährige wieder alle Hoffnungen auf sein Wunderkind Neymar. Der erst 22 Jahre alte Star des FC Barcelona hielt dem riesigen Erwartungsdruck der 200 Millionen Fußball-Fans im Gastgeberland bisher stand und sorgte im Alleingang für die wenigen lichten Momente des Teams – vier der sieben Treffer gehen auf das Konto des Hoffnungsträgers. Der Hype um den Mädchen-Schwarm mit der merkwürdigen Frisur könnte größer nicht sein. Doch Scolari erstickte jede Ego-Debatte im Keim: „Neymar spielt hier nicht, um der Beste der Welt zu werden. Er spielt für Brasilien und will, dass Brasilien Weltmeister wird.“

Auch Ronaldo, der Brasilien 2002 gegen Deutschland zum fünften und bisher letzten Titel geschossen hatte, ist von Neymars Zauber begeistert. „Neymar ist herausragend, meiner Meinung nach der beste Spieler bei der WM“, sagt Il Fenomeno: „Er macht keine Fehler, hat sich als sehr erwachsen gezeigt, ist technisch unglaublich stark. Ich habe von Messi noch nicht so viel gesehen, aber Neymar ist der Mann.“

Doch bei aller Bewunderung für Neymar: Er ist auch der wunde Punkt der Seleção. Wenn Chile den Zauberkünstler aus dem Spiel nimmt, ist von Brasilien nicht mehr viel übrig. „Wir wollten nicht gegen Brasilien spielen“, sagt der frühere Leverkusener Arturo Vidal: „Aber Brasilien wollte noch viel weniger gegen uns spielen. Weil wir eine Mannschaft sind wie ein Selbstmord-Kommando. Wir geben unser Leben für diese WM.“ Die Mannschaft von Trainer Jorge Sampaoli fiel bisher wie ein wild gewordener Moskito-Schwarm über seine Gegner her und will endlich ihr Brasilien-Trauma ablegen.

Allerdings bangt Sampaoli um den Einsatz von Abwehrstar Gary Medel (Muskelzerrung), bei Brasilien droht David Luiz auszufallen. Der Innenverteidiger musste das Abschlusstraining aufgrund von Rückenproblemen vorzeitig beenden und sich behandeln lassen. Sollte er ausfallen, wäre Dante vom deutschen Meister Bayern München eine Alternative.

Chile konnte sich bisher dreimal für die K.o.-Runde einer WM qualifizieren und scheiterte dann immer an – Brasilien. 1962 unterlag La Roja bei seiner Heim-WM im Halbfinale 2:4. Zuletzt musste man sich 1998 und 2010 im Achtelfinale geschlagen geben (1:4 und 0:3). „Brasilien war schon oft Chiles Nemesis, aber der Fußball ändert sich“, sagt Vidal: „Wir sind eine neue Generation von Spielern.“ Zudem kann Chile, das sein Trainingscamp vor den Toren des Spielortes Belo Horizontes aufgeschlagen hat, auf die Unterstützung von rund 30.000 Fans bauen. Die Polizei ist in Alarmbereitschaft und versucht mit rund 15.000 Beamten die Sicherheit bei diesem Traditionsduell zu gewähren. Tickets werden auf dem Schwarzmarkt für rund 2500 US-Dollar gehandelt.

Auch die Giftpfeile fliegen schon hin und her. Nachdem zuletzt aus dem chilenischen Lager angedeutet wurde, die Schiedsrichter würden in Brasilien für die Seleção pfeifen, konterte Brasiliens Pressechef die Vorwürfe am Freitag mit einer emotionalen Rede. Noch bevor sich Scolari oder Kapitän Thiago Silva zu dem Thema äußern konnten, ergriff Rodrigo Santos Paiva das Mikrofon und wetterte: „Diese Vorwürfe sind absolut lächerlich. Diese Andeutungen sind absolut respektlos – gegenüber der FIFA, der brasilianischen Mannschaft und sogar dem brasilianischen Volk. Brasilien braucht die Schiedsrichter nicht, um Spiele zu gewinnen. Das war noch nie so. Das ist alles, was wir dazu zu sagen haben.“

Der ganze Rummel, die Aufregung um eine vermeintliche Ex-Geliebte, die sich für den brasilianischen Playboy ausgezogen hat, scheint Neymar indes nicht zu belasten. Der Angreifer telefonierte bis zuletzt mit Chiles Sturmhoffnung Sanchez, seinem Kollegen in Barcelona. „Ich telefoniere immer mit Alexis“, sagt Neymar bestens gelaunt und warnt vor seinem Kumpel: „Er ist ein Star, ich bewundere ihn. Wir dürfen ihm keinen Raum lassen.“ Denn auch Neymar weiß: Der Hype um ihn kann ganz schnell im GAU enden.