Ex-Profi Rachid Azzouzi, seit einem Monat Sportdirektor des FC St. Pauli, über seine Ziele, junge Spieler, kleine Töchter und einen alten Renault 5.

Bad Lippspringe. Seit vier Wochen ist Rachid Azzouzi Sportdirektor des FC St. Pauli. Zeit, die ausreichte, um anzukommen und sich ein erstes Bild vom Verein zu machen. Doch wer ist dieser Typ, dem überall im Klub die Sympathien mühelos zuzufallen scheinen? Im Abendblatt spricht der 41-Jährige über seine Werte und die wichtigen Dinge im Leben: Familie, Erziehung, Glauben - und den FC St. Pauli.

Hamburger Abendblatt: Welcher Beruf ist schöner? Profi oder Sportdirektor?

Rachid Azzouzi: Profi, gar keine Frage.

Weshalb?

Azzouzi: Weil du dich als Spieler einfach nur auf dich konzentrieren kannst und das ausübst, was du am liebsten tust: Fußball zu spielen. Und dann bekommst du auch noch Geld dafür

Viel Geld.

Azzouzi: Ja, aber das ist immer relativ. Wenn Sie es mit etablierten Erstligavereinen vergleichen, ist es bei St. Pauli immer noch wenig.

Vor allem bezüglich der Jugendarbeit werden große Hoffnungen in Sie gesetzt.

Azzouzi: Wir sollten dem Nachwuchsbereich eine neue Wertschätzung geben und ihn infrastrukturell verbessern. Es muss unser Markenzeichen werden, dass bei St. Pauli die Wahrscheinlichkeit, Profi zu werden, höher ist als beim HSV oder VfL Wolfsburg. Aber Priorität hat die erste Mannschaft. Da hat auch ein 30-Jähriger große Bedeutung. Ob es ein Ebbers ist, Boll oder Bruns. Die gehen voran. Oder ein Markus Thorandt - sensationell, wie professionell der sich verhält. Profi sein bedeutet nicht, den ersten Vertrag zu unterschreiben, schöne Sachen zu kaufen und zu vergessen, dass man sehr viel tun muss, um auf diesem Niveau zu bestehen. Nur ein dickes Auto fahren, das reicht nicht.

Welches Auto hat denn der Jungprofi Rachid Azzouzi gefahren?

Azzouzi: Ich fuhr den Renault 5 meiner Schwester, dann habe ich einen gebrauchten Golf III gehabt. Und irgendwann, nach drei, vier Jahren, leistete ich mir einen Opel Calibra. Das war ein schöner Schlitten damals, aber noch mal: Es wird ganz wichtig sein, dass wir Spieler haben, die wissen, was es bedeutet, Profi zu sein. Wir müssen unseren Weg gehen und hart arbeiten.

Wie sehr beeinträchtigt die Arbeit den Familienmenschen Rachid Azzouzi?

Azzouzi: Meine Familie kommt in dieser Woche nach Hamburg. Am 1. August beziehen wir unser Haus in Bahrenfeld. Da bin ich unglaublich froh. Ich vermisse sie schon sehr arg. Seit ich hier angefangen habe, war ich zweimal für ein, zwei Tage unten.

Wie haben Ihre Töchter reagiert?

Azzouzi: Ganz schwierig. Zehn Tage Trainingslager waren nie ein Problem, weil sie immer wussten, ich komme zurück. Aber diesmal komme ich nicht zurück, sie kommen zu mir. Eine ungewohnte, neue Situation. Zumal meine Große vor einem Schulwechsel steht. Die merkt das natürlich, ist sehr traurig.

Haben Sie als Vater ein schlechtes Gewissen, weil Sie für die Probleme Ihrer Kinder momentan keinen Kopf haben?

Azzouzi: Ja, absolut. Ich ertappe mich manchmal dabei, dass ich einen Tag gar nicht anrufe, weil ich 100 Sachen erledigen muss. Und dann sprichst du mit ihnen und hörst doch eigentlich gar nicht zu, weil du mit deinen Gedanken ganz woanders bist. Das ist nicht okay.

Wie sehr wirken Sie auf die Erziehung Ihrer Kinder ein?

Azzouzi: Das macht schon eher meine Frau. Aber wenn ich da bin, versuche ich, wichtige Werte zu vermitteln.

Sind Sie ein strenger Vater?

Azzouzi: Ja. Das ist ja das Schlimme. Ich sehe sie nicht oft und bin dann auch noch streng.

Worauf legen Sie denn Wert?

Azzouzi: Wie begegnen meine Töchter anderen Leuten? Geben sie die Hand? Schauen sie dem Gegenüber in die Augen? Sagen sie "Guten Tag"? Umgangsformen, Höflichkeit. Solche Dinge.

Und? Klappt es?

Azzouzi: Absolut. Ich bin glücklich über die Entwicklung meiner Kinder. Ich bin auch ziemlich streng erzogen worden, und es hat mir nicht geschadet.

Sie kamen als Zweijähriger aus Marokko. Ihr Vater arbeitete im Bergbau.

Azzouzi: Genau, der kam der Arbeit wegen nach Deutschland. Später haben meine Eltern dann viele Jahre in einer Schokoladenfabrik gearbeitet. Und das war nicht förderlich für mich.

Waren Sie ein dickes Kind?

Azzouzi: Haha! Na ja, im Alter von sechs, sieben Jahren hatte ich Nierensteine und lag lange im Krankenhaus. Die Mischung aus Medizin und Schokolade hat dann dafür gesorgt, dass ich ein wenig zweggert war.

Wie bitte?

Azzouzi: Das ist fränkisch. Ich war etwas untersetzt. Aber zum Glück habe ich früh mit dem Fußball begonnen.

Beendet haben Sie Ihre Karriere mit 33 Jahren relativ früh.

Azzouzi: Es gibt gewisse Momente im Leben, wo man den Absprung nicht verpassen darf. Ich hatte eben einen gewissen fußballerischen Anspruch, dem ich nicht mehr gerecht werden konnte, und dann bin ich konsequent. Ich habe dann auch ganz aufgehört, weil Oberliga nichts für mich gewesen wäre. Dafür bin ich zu ehrgeizig.

Und heute spielen Sie Golf?

Azzouzi: Nein. Ich gehe joggen, gern morgens und allein. Golf würde mir ganz bestimmt großen Spaß machen, aber weil ich keine Zeit habe, um gut zu sein, fange ich da gar nicht erst mit an.

Klingt beinahe enthaltsam. Sind Sie ein religiöser Mensch?

Azzouzi: Ich bin Moslem, aber für mich geht es überhaupt nicht darum, was du bist, sondern wer du bist, für welche Werte du stehst. Letztlich sind Religionen gewisse Leitlinien, denen man folgen sollte, um gut miteinander zurechtzukommen.

Was nicht immer funktioniert.

Azzouzi: Ja. Leider gibt es Radikalisierungen in fast allen großen Religionen, Christentum, Judentum und auch im Islam. Ich glaube die einzige Religion, die einigermaßen friedlich ist, ist der Buddhismus. Aber man sollte das ausklammern. So wie man im Fußball nur wenig Fans für Krawalle verantwortlich machen kann, so ist es auch in der Religion. Die Leute wissen zu wenig darüber, auch über den Islam.

Wurden Sie religiös erzogen?

Azzouzi: Ich bin durch meine Eltern sehr liberal erzogen worden, Meine Frau, eine Deutsche, und ich erziehen unsere Kinder nach unseren Wertvorstellungen, da geht es nicht zwingend um Religion. Ich habe auch kein Problem damit, wenn meine Kinder auch andere Religionen kennenlernen. Aktuell hat meine große Tochter das Fach Ethik in der Schule, und es gefällt ihr sehr gut. Religion ist ein sehr spannendes, umfassendes Thema, genau wie die Politik. Da bin ich sehr interessiert.

Wie haben Sie als gebürtiger Marokkaner den Arabischen Frühling verfolgt?

Azzouzi: In Ländern, in denen es Wohlstand gibt, ist die Religion kein großes Thema. In Ländern, die diesen Wohlstand nicht haben, bleibt einem letztlich nur der Glaube. An eine bessere Zukunft - und somit mehr Wohlstand. In Zeiten neuer Medien ist die weite Welt für alle zugänglich, und die arabische Bevölkerung hat sehen können, wie gut es Menschen in anderen Ländern geht. Und davon träumen sie dann auch.

Geht es nicht in erster Linie um Freiheit?

Azzouzi: Auch. In den Arabischen Emiraten wirst du keinen Aufstand erleben. Den Leuten dort geht es gut. Die haben Geld, und dann ist auch Freiheit relativ. Aber wenn du wie in Afrika weder Freiheit noch Wohlstand hast und Despoten, die nur in die eigene Tasche wirtschaften, dann explodiert es eben.

Wie ist die Situation in Marokko?

Azzouzi: Da gibt es diese Probleme zum Glück nicht. Meine Eltern sind jedes Jahr drei, vier Monate dort, kommen aber auch immer gerne wieder zurück. Wobei mein Vater es nicht leicht hatte. Er kannte weder Sprache noch Kultur, durfte keine staatliche Schule besuchen, ging zur Koranschule. Das war schon sehr mutig. Da ziehe ich den Hut.

Wer ist stolzer? Sie auf Ihren Vater, oder er auf seinen jüngsten Sohn, weil der ein Prominenter geworden ist?

Azzouzi: Mit Prominenz habe ich ein Problem. Man muss wissen, wo seine Wurzeln liegen. Ich versuche jedem gleich zu begegnen - egal, ob Straßenkehrer oder König von Marokko. Und ich bin stolz auf meinen Vater und meine gesamte Familie, weil wir uns der deutschen Kultur und den Menschen anpassten, ohne unsere Identität zu verleugnen. Das ist gar nicht so einfach. In Marokko war ich der Deutsche, hier der Marokkaner, der Ausländer. Das hat mich geprägt, sodass ich mich nicht als Marokkaner oder Deutscher, sondern als weltoffen betrachte. Deshalb gefällt es mir auch in Hamburg so gut.