Naiv und leichtfertig verschenkt der FC St. Pauli beim 2:2 gegen Fürth trotz Überzahl und Führung in der Schlussminute einen verdienten Sieg.

Hamburg. Mike Büskens Böses zu unterstellen, wäre nicht gerechtfertigt. Doch der Satz, mit dem der Trainer der SpVgg Greuther Fürth seine Spielanalyse eröffnete und einzig den intensiven, emotionalen Charakter des vorangegangenen 2:2 herausarbeiten wollen, brachte aus Hamburger Sicht auch die ganze Misere der Braun-Weißen auf den Punkt. "Es war ein Spiel, wofür St. Pauli steht." Für spieltechnisch anspruchsvollen Fußball, einen trotz vieler Verletzter in der Breite immer noch konkurrenzfähigen Kader, für sehenswerte Tore, eine fantastische Atmosphäre im ausverkauften Stadion - aber eben auch für das Unvermögen, aus all diesen Qualitäten und Vorteilen das entsprechende Kapital zu schlagen.

Die Mannschaft von Trainer André Schubert hatte am Sonnabend im Spitzenspiel des Vierten gegen den Dritten eine wahre Herkulesaufgabe gelöst, als sie gegen ein beeindruckend automatisiert verschiebendes Defensivkollektiv aus Franken einen 0:1-Rückstand in eine 2:1-Führung wandelte, die Partie nach dem Seitenwechsel eindrucksvoll dominierte, ab der 81. Minute nach Gelb-Roter Karte gegen Pekovic sogar in Überzahl kombinierte und sich am Ende doch selber um den verdienten Lohn der Arbeit brachte. Wieder einmal. "Die Partie war so ähnlich wie das letzte Spitzenspiel hier", zog auch Sportchef Helmut Schulte Parallelen zum 1:3 gegen Fortuna Düsseldorf drei Wochen zuvor, "nur mit dem Unterschied, dass wir diesmal immerhin einen Punkt behalten haben." Ein schwacher Trost. Schultes Team hatte sich in der Schlussminute im eigenen Stadion von zehn Fürthern wie eine Schülermannschaft auskontern lassen.

***Rekordgewinn, Tore und Zinsen - St. Pauli wird Bank***

Und so betrat Schubert den Platz nach dem Abpfiff von Schiedsrichter Kinhöfer nicht wie bei den Toren der eingewechselten Dennis Daube (54.) und Mahir Saglik (75.) mit einem Jubelsprung, sondern im Stechschritt. Die Handflächen wie zum Gebet vor der Brust aneinandergepresst, führte ihn der Weg zunächst zu Jan-Philipp Kalla, dem er ein eindringliches Kurzreferat hielt, ehe er die Hände löste, seinen Spieler umarmte und den Redebedarf anschließend bei Markus Thorandt stillte. Die beiden Verteidiger hatten - erst Kalla, dann Thorandt - Fürths Pektürk bei seinem Lauf über die linke Abwehrseite nicht mit regelkonformen Mitteln bremsen können und den Griff in die mit "taktisches Foul" beschriebene Grauzone der Unsportlichkeit verwehrt. Pektürk flankte unbedrängt in die Mitte auf Torschütze Occean. "Ich war bereits gelbbelastet, deshalb konnte ich da nicht so hingehen", sollte Kalla später sagen. Eine Erklärung, die den bereits mehrfach in dieser Saison gewonnenen Eindruck verfestigt. "Zu brav für den Aufstieg", hatte das Abendblatt bereits am 19. Oktober getitelt, nachdem St. Pauli sich gegen Düsseldorf die 1:0-Pausenführung mit dem Halbzeitpfiff leichtfertig hatte nehmen und von den Provokationen der Fortunen aus dem Konzept bringen lassen.

Den Fürthern nun genügten zwei Aussetzer der Schubert-Elf, um zu zwei späten Toren (44., 90.) zu kommen, den Ertrag der Hamburger um zwei Zähler zu mindern und damit auch deren Sprung auf Platz zwei der Tabelle zu verhindern. "Zweimal sah es 44 Minuten lang ganz gut aus", konstatierte Kapitän Fabio Morena "und dann schmeißen wir uns alles um, was wir uns zuvor erarbeitet haben. Solche Tore dürfen nicht passieren, schon gar nicht zweimal in einer Partie. Da muss es an der Mittellinie rappeln. Da musst du den Gegenspieler zur Not auch mal auf die Tribüne treten." Drastische Worte als bewusster Kontrapunkt zum Geleitschutz seiner Kollegen, die in den Schlussminuten auch bei Ballbesitz jegliche Souveränität vermissen lassen hatten. "Wir müssen dann am Ende mal ein paar Arschlöcher sein, die ein taktisches Foul machen", fordert Patrick Funk und erhält Unterstützung von Nebenmann Fabian Boll: "Diese Mentalität fehlt uns. Wir waren wieder nicht clever genug."

Smarter Fußball allein reicht nicht, wie St. Pauli in allen drei Topspielen trotz jeweiliger Führung beim 1:1 bei Eintracht Frankfurt, dem 1:3 gegen Düsseldorf und nun auch gegen Fürth festgestellt hat. "In manchen Situationen sind wir zu naiv, nicht unbequem genug", weiß Schubert. Fortuna traf am Freitag in der 90. Minute zum 2:1 gegen Dresden, der Unterschied ist klein, aber folgenschwer. "Gegen Düsseldorf verloren, gegen Fürth ein Unentschieden. Uns fehlt der Sieg gegen eine Spitzenmannschaft, aber dann müssen wir eben Frankfurt schlagen", so Schultes Vorgabe. Bis zum 19. Dezember muss der Lerneffekt greifen, will St. Pauli das Aufstiegsrennen nicht nur begleiten.