Ob im Tor oder bei sozialen Projekten im Stadtteil - FC-Fan Benedikt Pliquett ist wie kein zweiter Profi mit Leidenschaft dabei.

Hamburg. Benedikt Pliquett lässt lange auf sich warten. Zum Interview erscheint St. Paulis Torhüter erst eineinhalb Stunden nach Trainingsende in Kapuzenpullover, St.-Pauli-Schal und mit einer Paketrolle bepackt. Doch der 28-Jährige ist aus gutem Grund spät dran. Gemeinsam mit Teamkollege Florian Kirschke ist er nach der Einheit über die Reeperbahn bis nach Altona gejoggt. Sie haben Plakate für das neue Projekt des Fußballprofis aufgehängt. "Hier", sagt Pliquett und zieht eins aus der Paketrolle. "Darauf bin ich sehr stolz und unglaublich euphorisiert", sagt er. Sein "PliquettKottke Charity"-Projekt, das er mit Freund Bodo Kottke ins Leben gerufen hat, veranstaltet Heiligabend ein Weihnachtsessen für Obdachlose im Hofbräuhaus. Zwei Wochen zuvor hatten sie bereits eine Kuchentafel für die Nachbarschaftshilfe Silbersack auf St. Pauli organisiert. In seinem Wohnort Sasel ist er zudem Pate des Wohnprojekts am Heideknick, wo Jugendliche aus schwierigen Verhältnissen ein Zuhause gefunden haben.

Es sind diese guten Taten, die dem etwas anderen Profi in dem etwas anderen Verein immer wieder Auftrieb geben. "Ich brauche keine Sponsorenveranstaltungen, wo man im Rampenlicht steht. Ich engagiere mich überall gerne, wo es um Soziales geht, wo ich Kindern helfen kann", erklärt Pliquett. St. Paulis Pressesprecher Christian Bönig muss ihn nicht lange bitten, wenn es mal wieder um einen Besuch auf der Kinderkrebsstation des UKE geht. "Das Dasein reicht halt, die Leute auf andere Gedanken zu bringen. Einfach Zeit zu schenken", sagt der Torhüter.

Das Privileg, mit dem Fußball sein Geld verdienen zu können, weiß er zu schätzen. "Der FC St. Pauli hat mir mehr gegeben, als ich ihm jemals zurückgeben kann, und deshalb versuche ich, wo es nur geht, Gutes zu tun", sagt einer, für den der Klub viel mehr als nur Arbeitgeber ist. Pliquett bezeichnet sich selbst als Fan. Er lebt die Werte des Klubs vor, links und unangepasst, das Miteinander im Vordergrund. Im Fanladen St. Pauli ist er Stammgast, schaut regelmäßig nach Spielen vorbei. "Bei Bene ist das Engagement im Stadtteil und für die Fans sehr außergewöhnlich", weiß auch Fanbeauftragter Stefan Schatz. "Das gibt es bei Profis selten." Für Pliquett war es auch selbstverständlich, vor dem letzten Spiel am Millerntor gegen Erzgebirge Aue zur Schneeschaufel zu greifen, um gemeinsam mit 300 Anhängern den Rasen frei zu schieben. "Das hätte ich sogar gemacht, wenn ich gespielt hätte", sagt er.

Sein letzter Pflichtspieleinsatz liegt neun Monate zurück. Im vergangenen Winter stand er plötzlich mal wieder im Rampenlicht. Stammtorhüter Philipp Tschauner hatte sich verletzt, Pliquett vertrat ihn in zehn Spielen hervorragend, blieb fünfmal ohne Gegentor. "Es ist schade, dass man mir da nicht die Dankbarkeit entgegengebracht hat und mich hat weiterspielen lassen", sagt er heute. Als Tschauner wieder einsatzbereit war, blieb dem in Ahrensburg aufgewachsenen Schlussmann erneut nur der Platz auf der Bank. Wie in den Vorjahren, als ihm fünfmal ein Kontrahent vorgezogen worden war.

Inzwischen muss er sich gar den Ersatzposten mit dem Nachwuchsmann Robin Himmelmann teilen. Mehrfach dachte Pliquett an einen Wechsel, im Sommer fragte ein deutscher Zweitligaklub an. Das Angebot zerschlug sich, Pliquett blieb erneut. "Es ist beeindruckend, wie Bene Rückschläge wegsteckt, wie viel er investiert", sagt sein früherer Mitspieler und heutiger Co-Trainer Thomas Meggle. Unzählige Lauf- und Krafteinheiten nach dem Training, Mentalcoaching, ein strenges Ernährungsprogramm - Pliquett geht jeden Tag an die Leistungsgrenze. 2006 ließ er sich in den USA vom Fitnessexperten Mark Verstegen, der auch die deutsche Nationalelf betreute, trainieren. Jahrelang kämpfte er gegen die Pfunde, heute wiegt er bei einer Körpergröße von 1,99 Meter nur noch 89 Kilo, wirkt austrainiert wie nie zuvor. "Ihm ist nichts in den Schoß gefallen", sagt Meggle. "Er hat sich alles erarbeitet."

Als er 2004 in der zweiten Mannschaft des HSV aussortiert wurde, rückte der Traum von der Profilaufbahn in weite Ferne. Über den VfB Lübeck landete Pliquett noch im selben Jahr auf St. Pauli. Sieben Jahre später, am 16. Februar 2011, machte Trainer Holger Stanislawski seiner damaligen Nummer zwei ein Geschenk: das Bundesliga-Debüt. Pliquett hielt sein Tor sauber, St. Pauli gewann 1:0 - ausgerechnet im Derby beim Erzrivalen HSV. Sein ekstatischer Jubel, als er die Eckfahne mit der HSV-Raute per Kung-Fu-Tritt niederstreckte, und die anschließenden Schmähungen des Gegners brachten ihm aber auch Kritik ein.

Ohnehin ist Pliquett einer, der aneckt. Einer, der stets polarisiert und als unangepasst gilt. Was er seinen Kritikern entgegnet? Achselzucken. "Ich mache alles aus Überzeugung und bereue bis heute auch recht wenig", sagt er. "In dieser Gesellschaft sind keine Persönlichkeiten mehr gefragt. Es geht nur noch darum zu funktionieren. Da steche ich dann vielleicht heraus." So exzentrisch der gebürtige Hamburger in der Öffentlichkeit auftritt, so still wird er jedoch, wenn es um sein Privatleben geht. Ein absoluter Familienmensch sei er. Punkt. Mehr bekommt man dazu nicht zu hören. Einzig Dalmatiner Curtis präsentiert er regelmäßig bei öffentlichen Auftritten.

Seine Zukunft als Torhüter steht im neuen Jahr wieder einmal auf dem Prüfstand. Im Juni läuft der Vertrag des Publikumslieblings aus. Sportlich kann der Mann mit der Nummer eins auf dem Trikot wenig Argumente für einen neuen Kontrakt liefern, die jüngere Konkurrenz droht ihm den Rang abzulaufen. Doch Benedikt Pliquett wird weiterkämpfen. Für sich. Für den Verein. "Ich kann in den Spiegel schauen und sagen: 'Ich habe immer alles gegeben, alles investiert.' Wenn es am Ende nicht gereicht hat, dann hat es sicher nicht am Einsatz gelegen." Dem FC St. Pauli hat er ohnehin seine lebenslange Treue geschworen: "Egal, wo ich Fußball spiele - ich werde immer wieder zurück ans Millerntor kommen."