Sonntagabend wird Axel Prahl im “Tatort“ auf Mörderjagd gehen. Zuvor wird er mit dem FC St. Pauli beim Spiel gegen Duisburg fiebern.

Hamburg. Natürlich trägt er den Pulli mit dem Totenkopf, ist doch klar. Schließlich hat Axel Prahl, 52, am Millerntor immer ein Heimspiel. Er ist großer FC-St.-Pauli-Anhänger - in seiner Rolle als "Tatort"-Kommissar Frank Thiel, wo er am Sonntag im dörflichen Umland von Münster ermitteln wird, und ganz privat sowieso. Eine knappe Stunde nimmt er sich an diesem November-Tag Zeit für das Abendblatt. Dann muss er rüber zum Tivoli, Soundcheck für das Konzert am Abend. Denn, ach ja, Musiker ist Axel Prahl auch noch.

Hamburger Abendblatt: Herr Prahl, Sonntagmittag spielt der FC St. Pauli am Millerntor gegen Duisburg, abends ermitteln Sie als Kommissar Frank Thiel in Münster. Würden Sie lieber im Stadion auf dem Rasen stehen, oder ist "Tatort" doch schöner?

Axel Prahl: Ach, ich finde meinen "Tatort" eigentlich ganz schön. Selbst wenn ich es mir aussuchen könnte, wollte ich nicht auf den Platz. Sport gibt es bei mir sowieso nur im Fernsehen. Und ich bin gar nicht so der Fußballfanatiker, habe meine Schuhe früh, im Alter von zwölf Jahren, an den Nagel gehängt.

Weshalb?

Prahl: Ich war so der Typ Terrier, bin im Mittelfeld immer viel gerannt, was zur Folge hatte, dass ich nach jedem Punktspiel im Bett flachlag und zu viel in der Schule versäumt habe. Da nahm meine Mutter mich dann raus, und Fußball war grundsätzlich tabu. Nachher, mit 15, 16 Jahren, kam mir das dann zugute. Alle anderen Jungs mussten "Sportschau" gucken, nur Axel hatte Zeit für die Mädels.

Und dennoch landeten Sie irgendwann auf der Gegengeraden am Millerntor ...

Prahl: Ein Kumpel aus Kiel nahm mich mal mit zum Spiel. Mit Volker Ippig stand eine Legende im Tor. Auf den Rängen stand eine politische Klientel, eindeutig links orientiert, was ich sehr sympathisch fand. Und außerdem saßen und standen hier auch immer viele Kiffer. Mir gefiel das. Bis heute haben sich die Fans hier eine gewisse Gelassenheit bewahrt. Das empfinde ich als sehr schön und angenehm. Und ich habe die alten Tribünen sehr geliebt. Ich fand es so beeindruckend, dass man selbst in der 15. Reihe noch die Pickel der Spieler sehen konnte. Man war viel dichter dran, das hatte einen unglaublichen Charme. Es gab und gibt also viele Argumente für St. Pauli. Aber ich bin eher Sympathisant. Fan, das hat für mich immer auch etwas mit Fanatismus zu tun. Wenn Dinge so eine Ausschließlichkeit und etwas Absolutistisches bekommen - das kann ich überhaupt nicht ab.

Haben Sie eine Dauerkarte?

Prahl: Nein, nein. Ich war bislang vielleicht so zwölfmal hier.

Nervt es Sie dann, in der Öffentlichkeit über St. Pauli definiert zu werden?

Prahl: Ich empfinde das eher als angenehm, wenn Leute im Totenkopf-Shirt auf einen zukommen, "St. Pauli" rufen und den Daumen heben. Das schafft ja auch eine gemeinsame Identität. Das ist ja auch beim "Tatort" durchaus gewünscht und gewollt, keine Frage. Und wenn man dann vor 11,79 Millionen Zuschauern eine Verfolgungsjagd hinlegt, nur mit Schlüpfer und St.-Pauli-Shirt bekleidet, dann fällt das schon auf.

Schickt der Verein zum Dreh mal einen Karton Shirts vorbei?

Prahl: Nee, nee. Wir haben immer so zehn, zwölf dabei, und die bezahlen wir selber.

Ist Kommissar Thiel im Vergleich zu Prahl der größere St.-Pauli-Fan?

Prahl: Unbedingt, ja. Das würde ich schon so sehen, wenngleich wir mit Fabian Boll denselben Lieblingsspieler haben. Er ist ja so etwas wie ein Kollege.

Aber sein Fandasein war Ihre Idee?

Prahl: Nein, das waren die Autoren. Es stand die Überlegung im Raum, einen Fußballklub aus dem Norden, idealerweise aus Hamburg, zu nehmen. Um zu erzählen, dass der Thiel woanders herkommt. Die wussten überhaupt nichts von meinen Sympathien für St. Pauli. Im Zweifelsfall hätte es also auch Rostock werden können, wenn es ganz böse gekommen wäre. (lacht)

Und wenn man Ihnen das HSV-Shirt übergestreift hätte?

Prahl: Ich hätte gesagt: "Wollen wir nicht lieber St. Pauli nehmen? Die sind doch viel sympathischer." Aber ein richtiges Mitspracherecht hatte ich zu dem Zeitpunkt noch nicht.

Jetzt könnten Sie doch Professor Boerne mal ins Stadion mitnehmen.

Prahl: Genau. Das haben wir uns tatsächlich schon immer gewünscht, dass ich ihm das Millerntor mal zeige, und der Herr Professor hier fassungslos sitzt. Er ist bei uns ja irgendwie der Outlaw, der mal über das Ziel hinausschießen darf und unmoralische Dinge äußern darf. Was sonst eigentlich nur noch für meinen kiffenden Vater gilt.

Wird am Set eigentlich gekifft?

Prahl: Betriebsgeheimnis.

Dann verraten Sie uns ein anderes: Wie ist es zu erklären, dass der Münsteraner "Tatort" so erfolgreich ist?

Prahl: Das weiß der Geier. Wahrscheinlich, weil wir die ganze Sache nicht so ernst nehmen (lacht). Aber es hat schon etwas mit einer Gelassenheit, dann natürlich auch mit einem hervorragenden Team, zu tun. Wir sind ja alle Teamplayer, auch der Jan Josef. Insofern gibt es da auch Parallelen zum Fußball. Das Team ist einfach unglaublich gut.

Sie kommen nur zweimal im Jahr zusammen - das klingt nach Klassentreffen.

Prahl: So ist es, unbedingt. Und ich bin sehr dankbar, dass das auch so geblieben ist. Man hat natürlich schon mehrfach versucht, uns zu überzeugen, mehr "Tatorte" im Jahr zu drehen. Und ich habe immer gesagt: Willst du gelten, mach dich selten. Das hat mir meine Mutter schon früh beigebracht. Lieber zurück! Verknappung! Eher die Dinge zurückhalten. Erinnern Sie sich noch an Milka-Keks? Die Schokolade wurde damals groß beworben, als sie auf den Markt kam. Alle rannten in den Supermarkt und fragten nach dieser großen Tafel, aber die hatten die künstlich verknappt. Es gab sie nur wieder, wenn die anderen Sorten vergriffen waren.

Sind Sie eigentlich glücklich, dass es Münster ist, oder wären Sie mit Ihren netten Kollegen lieber anderswo?

Prahl: Nein, die Münsteraner sind wirklich sehr loyal ihrem "Tatort" gegenüber, und es ist wirklich atemberaubend, was die möglich machen, wenn wir mal dort drehen. Wir hatten da rauschende Feste am Aasee, bis früh morgens mit lauter Musik und noch lauterem Gesang.

Singen Sie bei Länderspielen eigentlich die Nationalhymne?

Prahl: Das ist ein grenzwertiges Thema. Also zu Hause vor dem Fernseher schon mal gar nicht. Ich sehe das eher gelassen. Das ist ein Spiel, das sollte man nicht vergessen. Und ich finde die Entwicklung, die der ganze Profifußball genommen hat, was da für Gelder verteilt werden, schon auch ein bisschen suspekt. Das erinnert mich an alte römische Zeiten: Brot und Spiele. Hinzu kommen die vielen Täuschungsversuche auf dem Platz. Betrügereien, die nur aus Habgier entstanden sind, aus dieser Überbewertung des Ganzen. Mir ist das eigentlich schon alles viel zu viel. Was war hier denn los, als der Bierbecher geflogen ist und das Spiel abgebrochen wurde? Also, das war ja schon eine mittelschwere Katastrophe. Und da hab ich schon gedacht: Ey, wie albern ist das. Nur weil irgendeine Fratzenfalle da sitzt und einen Becher schmeißt ...

... und auch noch trifft ...

Prahl: ... Ja, genau! Das muss man auch mal anerkennen. Aus der Entfernung. Mit einem vollen Becher (lacht). Eine stolze Leistung. Und vielleicht war es ja auch nur gut gemeint und er wollte ihm etwas zu trinken reichen. Nein, ernsthaft: Das finde ich schon merkwürdig, dass solche Dinge passieren, und dass dann auch noch das ganze Spiel wegen eines Betonkopfes abgebrochen wird.

Aber der Kommissar Thiel regt sich auch gut auf vor dem Fernseher.

Prahl: In der Rolle, natürlich. Ich privat würde das nicht tun.

Sie werden auch vom Boulevard gefeiert. Dabei sind Sie doch eigentlich gar nicht kompatibel.

Prahl: Ich habe da keine Berührungsängste. Ich kann mich mit einem Bankmanager genauso unterhalten wie mit einem Gleisbauarbeiter. Jeder hat so seine Qualitäten.

Würden Sie sich als Volksschauspieler bezeichnen?

Prahl:Im besten Sinne.

Das heißt?

Prahl: Ja, eigentlich schon. Aber bitte nicht mit volkstümlich verwechseln.

Irgendwie gibt es gewisse Parallelen zwischen Prahl und dem FC St. Pauli. Beide sind Kult geworden, haben eine ähnliche Attitüde.

Prahl: Und beide sind Zweite Liga (lacht). Ich habe immer gesagt, dass ich mich da am wohlsten fühle.

Herr Prahl, bei elf Millionen Fernsehzuschauern am Sonntagabend können Sie das nicht ernsthaft behaupten.

Prahl: Ich finde es immer sympathischer, wenn man die Attitüde der Zweiten Liga noch inne wohnen hat. Das hat auch etwas mit einer gewissen Bodenhaftung zu tun, mit einer gewissen Normalität. Und ich finde es immer spannend, wenn man aus dem Keller heraus agieren kann. Als Zweitligist mal einem Erstligisten wirklich die Beine wegzusäbeln, finde ich interessanter und spannender.

Sie haben das gleiche Problem wie der FC St. Pauli: Sie sind längst Mainstream, wollen aber gerne die alte Zeit bewahren.

Prahl: Ich will eigentlich gar nicht Mainstream sein.

Aber Sie sind es. Und jetzt machen Sie auch noch erfolgreich Musik.

Prahl: Eigentlich sollte das nur ein kleiner Scherz am Rande sein, ich wollte mir meinen Jugendtraum verwirklichen: eine eigene Platte mit meinem Namen drauf. Und dann wollte ich eigentlich nur zehn bis zwölf Konzerte geben, und jetzt hat da so ein Run eingesetzt. Wenn man so ein Kind in die Welt setzt, muss man sich auch darum kümmern. Zudem habe ich noch vier richtige Kinder aus Fleisch und Blut, um die ich mich auch kümmern möchte.

Sind Sie überrascht, wie gut Ihre Musik beim Publikum angekommen ist?

Prahl: Ja, absolut.

Was für Ziele haben Sie noch? Eigentlich haben Sie doch alles erreicht.

Prahl: Ich male leidenschaftlich gern (lacht). Ich bin immer auf der Suche.