Trainer Michael Frontzeck hat seine Arbeit beim FC St. Pauli begonnen. Heute steht er beim Test gegen Greuther Fürth erstmals an der Linie.

Hamburg. Ein kurzes Lächeln für die Kameras, dann betrat Michael Frontzeck pünktlich um 15 Uhr den Trainingsplatz an der Kollaustraße. Die große Bühne schien St. Paulis neuem Chefcoach und Hoffnungsträger an seinem ersten Arbeitstag fast schon unangenehm. Der Mannschaft ließ Frontzeck den Vortritt, reihte sich als Letzter in den Tross ein, der sich einen Weg über die Großbaustelle auf den Rasen bahnte. Sieben Kamerateams, ein Dutzend Fotografen, zahlreiche Baufahrzeuge und über 100 Fans waren gekommen, um den Neuzugang zu begrüßen.

Nach 20 Monaten Arbeitslosigkeit ist Frontzeck zurück im Fußballgeschäft - und zwar da, wo er nach eigenen Angaben immer hin wollte: "Tief im Inneren habe ich auf St. Pauli gewartet. Nach 30 Jahren im Profigeschäft habe ich mir die Zeit genommen, das Richtige auszuwählen", erklärte er bereits am Sonnabend bei seiner Vorstellung. Eine Liebeserklärung als Startschuss. Worauf sich der ehemalige Nationalspieler in Hamburg einließ, vermittelte gestern bereits die Kulisse abseits des Rasens, wo Bagger und Walzen den Ton angaben. St. Pauli ist im Herbst 2012 zur Großbaustelle auf allen Ebenen geworden. Nur sieben Punkte aus neun Spielen bedeuten aktuell Abstiegsplatz 17 - und jede Menge Aufbauarbeit für den Trainer. "Die Mannschaft macht einen sehr lebendigen Eindruck, das war durchweg positiv", attestierte Frontzeck nach dem gestrigen Aufgalopp.

Sportchef Rachid Azzouzi, der die erste Trainingseinheit seiner Verpflichtung vor Ort unter die Lupe nahm, hatte erklärt, mit dem abstiegskampferfahrenen Frontzeck seinen Wunschtrainer geholt zu haben. Dabei spricht die bisherige Bilanz des Übungsleiters kaum für die erhoffte Wende am Millerntor. Zwar erwarb der gebürtige Mönchengladbacher 2001 die Trainerlizenz wie seine Vorgänger Holger Stanislawski und André Schubert als Jahrgangsbester, es folgten jedoch bittere Lehrjahre bei Borussia Mönchengladbach, Arminia Bielefeld und Alemannia Aachen. Nicht einmal ein Jahr blieb Frontzeck im Schnitt im Amt, nur 23 Prozent seiner Spiele konnte er gewinnen. In 137 Partien setzte es bei seinen Klubs 66 Niederlagen. Zuletzt war er im Februar 2011 nach einem 1:3 gegen St. Pauli in Mönchengladbach entlassen worden. Alles vergessen, wenn es nach Frontzeck geht. Die Freude, endlich wieder auf dem Platz stehen zu dürfen, war ihm gestern anzusehen.

Auf dem Rasen nahm der 48-Jährige, der als Spieler von Jupp Heynckes und als Co-Trainer bei Hans Meyer lernte, jeden Schritt seiner Akteure unter die Lupe. Während Athletiktrainer Timo Rosenberg das Team auf Temperatur brachte, suchte Frontzeck lange den Dialog mit Assistent Timo Schultz. Teamwork - darauf legt der frühere Außenverteidiger großen Wert. "Jeder sollte sich nicht so wichtig nehmen. Alle Spieler müssen wissen, dass sie Fehler machen dürfen. Diese abzustellen, versuchen wir Tag für Tag in der Trainingsarbeit. Was absolut nicht geht, ist, wenn jemand sein Ego auf Kosten der Gruppe auslebt", so sein Credo.

Nach nur zwei Trainingseinheiten wird der 48-Jährige heute erstmals in sportlicher Verantwortung an der Seitenlinie des FC St. Pauli stehen. Im schleswig-holsteinischen Kellinghusen trifft die Mannschaft im Testspiel auf Bundesliga-Aufsteiger Greuther Fürth (17 Uhr). Dort sollen vor allem die Profis ran, die zuletzt wenig Spielpraxis erhielten. Kapitän Fabian Boll, der sich zuletzt mit einer Grippe und Rückenproblemen plagte, erhält beispielsweise eine Pause. Der neue Trainer will sich schnellstmöglich ein Bild von der Breite des Kaders machen.

Der Kampf um die Stammplätze begann unter Frontzeck bereits gestern von vorne. Im Trainingsspiel ging es engagiert zur Sache, Zweikämpfe wurden verbissen geführt, ein jeder wollte sich gleich zu Beginn in den Fokus des Coaches spielen. Der erste Treffer der Ära Frontzeck war schließlich Mittelfeldspieler Florian Bruns vorbehalten. Auch Mahir Saglik verdiente sich mit einem Doppelpack anschließend ein erstes Sternchen in des Trainers Notizbuch. Weitere sollen in den Testspielen heute gegen Fürth und am Sonnabend bei der von Toni Polster trainierten Wiener Viktoria folgen. Zwei Wochen Zeit bleiben Frontzeck aufgrund der Länderspielpause bis zum schweren Auswärtsauftakt beim SC Paderborn. "Das ist ganz angenehm, dass ich die Mannschaft jetzt zunächst 14 Tage kennenlernen darf", sagte er.

Nach 90 intensiven Minuten war das erste Kennenlernen zwischen Spielern und der neuen Führungskraft gestern schließlich beendet. Als das Gros des Teams bereits auf dem Weg in die Kabine war, schnappte sich Michael Frontzeck die Trainingshütchen, schrieb fleißig Autogramme und wagte sich dann doch noch auf die große Bühne vor die Kameras. Das Resümee seines ersten Arbeitstages fiel knapp aus: "Fantastisch" sei es gewesen.