Viele Plätze am Millerntor waren um 17.30 Uhr noch unbesetzt

Hamburg. Spiele des FC St. Pauli sind seit vielen Jahren gut besucht, doch gestern setzte ein echter Run auf das Millerntor ein. Immer wieder hasteten zahlreiche Fans die Stufen zu den Tribünen hinauf und drängelten sich zu ihren Plätzen, während das Spiel bereits lief. Die fortgeschrittene Zerstückelung der Bundesligaspieltage ist zwar bereits seit mehr als drei Jahren Standard, doch in einer englischen Woche bekommen Fußballfans, Stadiongänger sowie TV-Konsumenten die Folgen der veränderten Anstoßzeiten noch einmal deutlich vor Augen geführt. Die offizielle Zuschauerzahl von 20 932 mag den gekauften Karten entsprochen haben, die gefühlte Anwesenheitsstärke lag deutlich darunter. Tausende Plätze waren zum spätnachmittäglichen Anpfiff um 17.30 Uhr frei geblieben, das Millerntor füllte sich erst mit zunehmender Spieldauer.

Das Abendblatt hörte sich im Vorfeld der Partie bei den Fans um und erhielt nicht eine positive Rückmeldung zu der frühen Anstoßzeit. Stattdessen: Verärgerung auf allen vier Tribünen. "Mein Chef hat heute erlaubt, dass ich zwei Stunden früher gehen darf. Sonst hätte ich das Spiel nicht sehen können", sagte Jill Falken aus Schnelsen, die die verlorene Arbeitszeit aber nachholen muss: "Jetzt muss ich Freitag länger bleiben." Lange Schlangen auch vor dem Fanladen in der Brigittenstraße, wo die letzten Karten ausgegeben wurden. "Diese Zeit ist super", sagte Fanbeauftragter Stefan Schatz mit gespielter Begeisterung, "eine super Zeit für ein Kaffeekränzchen. Für ein Fußballspiel ist es der Horror. Wir schließen hier eine Stunde vor Spielbeginn, aber viele Leute müssen eben arbeiten."

Es ist das Diktat des Fernsehens, das die DFL die fanunfreundlichen Zeiten seit 2009 durchsetzen lässt. Und auch St. Pauli profitiert. Im vergangenen Geschäftsjahr kassierten die Hamburger 7,2 Millionen Euro aus der zentralen TV-Vermarktung. Die Zeche aber zahlen die Fans. "Vor allem die Auswärtsfans. Da brauchst du zwei Tage Urlaub, um als Aalener das Spiel hier zu sehen", weiß Schatz, der nicht glauben mag, dass die Uhr zurück-, beziehungsweise wieder vorgedreht werden kann: "Nein, ich denke, dass es eher noch schlimmer wird." Fußball, wie ihn keiner möchte. "Schlimm ist das", sagt St.-Pauli-Fan Holger Albrecht, "auch die Partien zur Mittagszeit am Wochenende. Da schmeckt das Bier noch gar nicht."