Nachdem Investor Klaus-Michael Kühne auf einen Kauf von Clubanteilen verzichtet, bereitet sogar die Lizenz dem Verein Sorgen. Nun ist Karl Gernandt gefragt.

Hamburg. Es war der emotionale Höhepunkt der Mitgliederversammlung im vergangenen Sommer, als am 25. Mai um 16.33 Uhr Karl Gernandt die linke Hand zur Faust ballte und sie mehrfach in die Luft schleuderte. 7992 Mitglieder hatten für die von langer Hand vorbereitete Ausgliederung und für die Pläne des designierten Aufsichtsratschefs gestimmt. „Wir wollen in den Transferperioden mit breiter Brust auftreten können, weil die Finanzen endlich geregelt sind“, rief Gernandt den begeisterten Mitgliedern zu, die sich applaudierend von ihren Plätzen erhoben. Das Versprechen: Durch die Ausgliederung sollte der Weg frei gemacht werden für Investoren, mit Milliardär Klaus-Michael Kühne stand der erste Geldgeber sogar schon bereit.

Knapp sieben Monate später ist vom Hochgefühl wenig geblieben. Sportlich läuft es trotz Millionen-Investitionen genauso mies wie in der Vorsaison. Und finanziell ist die Lage angespannter denn je. Von den angekündigten Investoren ist schon lange nicht mehr die Rede. Und seit diesem Donnerstag steht nun sogar fest, was seit Wochen befürchtet wurde: HSV-Edelfan Klaus-Michael Kühne verzichtet darauf, sein 25-Millionen-Euro-Darlehen in Anteile umzuwandeln. „Herr Kühne wird sein bis Ende dieses Jahres vereinbartes Optionsrecht nicht wahrnehmen. Bis zum Ende des Jahres werden wir mit Sicherheit keine Kapitalerhöhung verkünden“, bestätigt Finanzvorstand Frank Wettstein auf Nachfrage.

Doch was bedeutet die Absage Kühnes für den ohnehin finanziell angeschlagenen HSV? Aufsichtsratschef Gernandt, der pikanterweise gleichzeitig Kühnes Generalbevollmächtigter ist, wollte sich öffentlich nicht äußern. Kühne selbst war für eine Stellungsnahme nicht zu erreichen. Und der als neuer Finanzvorstand verpflichtete Wettstein hat sich nur bereit erklärt, einen vom Abendblatt eingereichten Fragenkatalog schriftlich und ohne der Möglichkeit der Nachfrage zu beantworten. Er schreibt: „Die Situation hat sich im Laufe der Saison nicht sonderlich verändert, sie ist absolut beherrschbar. Die Saison 2014/15 ist auch nach Einschätzung der DFL im Zwischenlizenzierungsverfahren gesichert.“

Bilanztrick bei Holtbys Verpflichtung

Viel Lärm also um nichts? Mitnichten! Tatsächlich gerät der Club durch Kühnes Verzicht finanziell noch stärker unter Druck. Längst haben die Verbindlichkeiten die Schallmauer von 100 Millionen Euro durchbrochen. Trotzdem wurde der Gehaltsetat, der vor der Saison mit 38 Millionen Euro prognostiziert wurde, um zwölf Millionen Euro angehoben. Um überhaupt ein konkurrenzfähiges Team zu präsentieren, wurden neue Spieler überwiegend auf Raten gekauft. So wurde etwa Lewis Holtbys Verpflichtung für 6,5 Millionen Euro lediglich durch einen Bilanztrick möglich, die Ablöse muss erst in den kommenden Jahren bezahlt werden.

Dabei stand schon im Sommer fest, dass die Fananleihe für den HSV-Campus von 17,5 Millionen Euro ausgegeben ist und auch die Sondereffekte durch die Vertragsverlängerungen mit Sportfive (bis 2020) und Adidas (bis 2024) längst verplant waren. Drohende Lizenzprobleme konnten schon damals nur umgangen werden, da Kühne sein Darlehen von acht Millionen auf 25 Millionen Euro aufstockte. Auch die Vertragsmodalitäten wurden angepasst. Die eigentlich am 15. Oktober fällige erste Rate von zwei Millionen Euro muss nun erst im kommenden Jahr zurückgezahlt werden. Dabei hofften die Verantwortlichen damals, dass die Rückzahlung dann kein Thema mehr sein würde, da Kühne sein Millionendarlehen zu diesem Zeitpunkt längst in HSV-Anteile umgewandelt habe.

Der Traum vom „frischen Kapital“, wie HSVPlus-Initiator Otto Rieckhoff die erhoffte Millionenspritze immer nannte, ist nun ausgeträumt. Kühne wird keine Anteile kaufen – und auch sonst scheint kein Geldgeber in Sicht. „Wir müssen den Club als Investment attraktiv machen. Dazu gehört vor allem der sportliche Erfolg und dann auch die Verlässlichkeit als Partner“, sagt Finanzchef Wettstein, der nun sogar erwägt, Anteile unter dem Kurs des KPMG-Gutachtens, nach dem die HSV AG um die 330 Millionen Euro wert sein soll, abzugeben: „Unternehmensbewertungen sind keine Preisschilder, und sie basieren auf geplanten, aber unsicheren Zukunftsereignissen. Wie der Ausgabekurs neuer Aktien ist, entscheidet immer der Markt zum Zeitpunkt der Kapitalerhöhung und kein Gutachter.“

„Sollten in der Lage sein, Kaderkosten zu reduzieren“

Die Sorgen einiger HSV-Insider, die bestens über die verschärfte Finanzsituation Bescheid wissen und sogar die Lizenz in Gefahr sehen, will Wettstein so nicht teilen: „Für uns gilt auch wie für alle anderen, dass wir langfristig nicht mehr ausgeben können als einnehmen. In der laufenden Saison hat der HSV deutliche Transfererlöse erzielt, die wieder in den Kader reinvestiert wurden. Gelänge dies wieder, so verbliebe ein größerer Handlungsspielraum als für den Fall, dass keine Transfererlöse erzielt würden.“

„Da auch eine deutliche Anzahl an Spielerverträgen ausläuft, sollten wir in der Lage sein, auch Kaderkosten zu reduzieren. Aus diesem Zusammenspiel ergibt sich auch, ob die DFL eventuell ihre Lizenzentscheidung an Bedingungen knüpft.“ Doch obwohl Wettstein die Liquidität derzeit als nicht gefährdet erachtet, will er sich für die kommende Spielzeit nicht verbürgen: „Für die Zeit nach der Saison gilt, dass die Rückzahlung von Verbindlichkeiten refinanziert werden muss, wenn die Ertragslage nicht deutlich verbessert werden kann.“ Ein positives Geschäftsergebnis, hier legt sich Wettstein fest, wird es nicht geben: „Die Höhe des Defizits hängt aber von vielen Faktoren ab.“

Immerhin darf sich Wettstein freuen, dass er die wohl schwerste Finanzkrise der HSV-Clubgeschichte nicht alleine bewerkstelligen muss. So leistet sich der HSV den einmaligen Luxus, neben dem neuen Finanzvorstand mit Oliver Peter auch einen Finanzdirektor zu bezahlen. Dessen Vorgänger Cay Dingwort ist im Übrigen schon lange nicht mehr als Finanzchef tätig – bezahlt wird aber auch er noch vom HSV. Natürlich.