HSV-Trainer Joe Zinnbauer war schon zu Spielerzeiten ein emotionaler Mensch. Nach Niederlagen kann er kaum schlafen

Hamburg. Das war mal wieder so ein typischer Moment für den Coach: Einer seiner Schützlinge hatte im Training unter der Woche wiederholt einen schlampigen Pass gespielt, woraufhin Joe Zinnbauer entschieden dazwischenging, mit Gesten und klaren Worten zur Besserung mahnte. Wo andere Trainer in der Beobachterrolle teilnahmslos am Rand stehen, ist der HSV-Übungsleiter mittendrin. Emotionen gehören bei ihm dazu – manchmal wie in der Halbzeitpause gegen Leverkusen, als Zinnbauer auf Bayer-Coach Roger Schmidt zustürmte, übertreibt er es auch ein wenig. „Ich weiß, dass ich an meinem Verhalten in solchen Situationen weiter arbeiten muss“, sagte Zinnbauer dem „Weser-Kurier“. „Da muss ich meine Emotionen abstellen. Ob das immer so funktioniert, ist eine andere Frage. Jeder Mensch hat eine gewisse Grenze. Wenn die überschritten wird, brechen die Emotionen vielleicht doch mal wieder durch.“

Sich im Zaum zu halten fiel Zinnbauer schon als Spieler schwer. Neben dem Knorpelschaden, der ihn im Alter von 25 Jahren früh ausbremste, war dem Mittelfeldmann auch sein Gemüt im Weg, um sich als Bundesligaspieler zu etablieren. „Ich war kein einfacher Spieler, denn ich habe immer meine Meinung gesagt“, gibt Zinnbauer zu. Er sei sehr direkt gewesen. „Deshalb bin ich bei vielen Trainern angeeckt. Damals wollten die meisten Trainer ja nicht, dass die Spieler sprechen – sondern dass sie ruhig sind. Heute wünscht man sich als Trainer, dass sie auch mal auf den Tisch hauen.“

Verlorene Spiele schaut sich Zinnbauer nachts nochmals auf dem Laptop an

Vor dem Nordderby am Sonntag (15.30 Uhr/Sky und Liveticker auf abendblatt.de) muss niemand auf den Tisch hauen. Wenn der HSV und Werder Bremen aufeinandertreffen, ist die Anspannung bei jedem spürbar. Und Zinnbauer selbst trug seinen Teil dazu bei, die Atmosphäre noch ein wenig anzustacheln. Der Rasen müsse „brennen“, jeder Pfiff für den Gegner sei eine „zusätzliche Motivation“ für sein Team, hatte der 44-Jährige im Vorfeld angekündigt. Doch Zinnbauer fühlte sich missverstanden. Er wollte nicht provozieren, keinen Fan dazu animieren, gegen den Gegner zu pfeifen. „Ich wünsche mir nur, dass das Stadion lautstark hinter uns steht. Denn das beflügelt uns – wenn die Zuschauer uns nach vorne peitschen und antreiben“, stellt der Fußballlehrer klar.

Der besagte 1:0-Sieg gegen Leverkusen kann als Vorbild dienen. Selten war es so laut in der Imtech Arena, die Messung im Stadion hatte 128 Dezibel angezeigt. Die Schmerzgrenze liegt etwa bei 130 Dezibel, dann hält sich ein Mensch automatisch die Ohren zu. Die Folge dieser Atmosphäre: 50 Fouls und neun Gelbe Karten, beides Saisonbestwerte. „Wir haben gegen Leverkusen zwar sieben Gelbe Karten bekommen, aber eine davon wegen Handspiels und zwei wegen Rudelbildung oder wegen Schubsern im Rudel. Das war nicht so schlimm, wie es gemacht wurde. Klar ist aber: Wir wollen guten, flüssigen Fußball zeigen. Ohne Fouls, Rangeleien und Rudelbildung“, erklärt Zinnbauer.

Gegen Werder wäre der Coach wohl auch mit einem „dreckigen“ 1:0-Erfolg wie gegen Leverkusen zufrieden, doch sein Anspruch ist ein anderer. Er will die Anhänger von der Spielweise seines Teams überzeugen, sie emotional mitnehmen, sodass sie das Gleiche fühlen, was auch in ihm selbst vorgeht. So wie Zinnbauer es bei seiner ersten richtigen Trainerstation beim VfB Oldenburg erlebt hat. „Damals haben wir mal ein Aufstiegsspiel verloren. Da war plötzlich das ganze Stadion ruhig. Keiner hat mehr was gesagt. Da waren Kinder, fünf, sechs Jahre alt, und Frauen und Männer, 70, 80 Jahre alt. Die haben geweint, weil wir nicht aufgestiegen sind. Das hat mich geprägt. Genauso, wie es mich geprägt hat, als wir später dann doch aufgestiegen sind und in Oldenburg durch die Straßen gefahren sind. Da standen plötzlich die Leute und haben gewinkt, und im Stadion haben uns 10.000 Zuschauer zugejubelt und sich bedankt, dass wir den Verein mit der Mannschaft in die nächste Liga gehievt haben. Nach dem Gefühl, das man in solchen Momenten hat, habe ich Sehnsucht.“

Diese Sehnsucht teilen auch die HSV-Fans, die ihrem Trainer und dem Team am Sonntagabend wohl nur zu gerne zujubeln würden. Sollte der Bundesliga-Dino jedoch verlieren, droht er auf den letzten Tabellenplatz abzurutschen. Nicht nur für Zinnbauer ein Szenario, das Albträume hervorrufen würde. Denn schlafen kann der Coach nach Niederlagen grundsätzlich schlecht. In den ersten Nächten nach erfolglosen Spielen wacht er oft auf, hinterfragt sich und schaut entscheidende Szenen der Partie nochmals auf dem Laptop an. „Hast du die richtigen Leute aufgestellt? Hast du im Training was falsch gemacht? Hat vielleicht der eine oder andere etwas nicht richtig verstanden? Das dauert dann, bis ich alle Punkte abgearbeitet habe“, erklärt Zinnbauer.

Warum dieser Stress, könnte man fragen, schließlich hat der gebürtige Oberpfälzer bereits mit seinem Finanzdienstleistungsunternehmen vor fast 20 Jahren seine erste Million verdient, das er noch als aktiver Profi gegründet hatte. Doch das Geld treibt ihn nicht an. Sondern der Erfolg. „Ich versuche immer besser zu sein als die anderen. Auf jedem Gebiet“, erklärt Zinnbauer. Momentan würde ihm allerdings schon reichen, wenn sein HSV am Sonntag besser wäre als Werder Bremen – und vor allem erfolgreicher.